Die Presse

US-Politik bewegt die Börsen

Analyse. Die Nominierun­g der kalifornis­chen Senatorin für die Vizepräsid­entschaft heizt die Euphorie weiter an. Zeit, daran zu erinnern, dass Börsianer im heurigen Wahljahr mehr als sonst ein Auge auf die Details der US-Politik werfen sollten.

- VON STEFAN RIECHER

Die Nominierun­g von Kamala Harris als Vizepräsid­entschafts­kandidatin heizt die Euphorie an der Wall Street weiter an.

New York. Nicht nur das Coronaviru­s und eine etwaige Impfung dagegen können die Börsen bewegen. Sondern auch eine in normalen Zeiten für die Märkte eher unbedeuten­de Angelegenh­eit wie die Nominierun­g einer Kandidatin für das Amt der US-Vizepräsid­entin. Joe Biden zieht, wie diese Woche bekannt geworden ist, mit Kamala Harris in den Wahlkampf – und als Folge kratzen die wichtigste­n Indizes an der Wall Street einmal mehr an ihren Rekorden. Was ist da los?

In der Tat waren die Bewegungen nach der Nominierun­g von Harris vorhersehb­ar und Börsianer, die sich auch im Detail mit der USPolitik beschäftig­en, hätten von den Zugewinnen unmittelba­r nach Bidens Verlautbar­ung profitiere­n können. Der wichtigste Punkt: Das von den Händlern befürchtet­e Schreckens­szenario einer Vizepräsid­entin vom ganz linken Rand ist Geschichte. Hätte sich Biden etwa für Elizabeth Warren entschiede­n, wären die Kurse wohl gefallen. So aber sahen ohnehin bereits euphorisch­e Investoren abermals einen Grund zum Zukauf.

Aufatmen bei Tech-Firmen

Egal also, was bei den Wahlen am 3. November passiert, zu den Gewinnern dürfen sich schon jetzt die Tech-Firmen zählen. Eine Zerschlagu­ng ist vorerst vom Tisch, eine solche forderten vor allem linksliber­ale Demokraten, und mit Harris an Bidens Seite haben sie nun an Einfluss verloren. Freilich: Für den herkömmlic­hen Kleinanleg­er ist trotzdem Vorsicht angesagt, weil die Bewertunge­n in abartigen Höhen liegen. Aber zumindest kann man ein paar große Namen wie Apple, Amazon, Alphabet oder Facebook im Portfolio liegen lassen. Eine Korrektur ist natürlich nicht ausgeschlo­ssen, aber die Politik steht weiteren Zugewinnen erst einmal nicht im Weg.

Börsenweis­heit gilt nur bedingt

Anders sieht die Lage für Banken aus. Harris gilt als Anhängerin einer Finanztran­saktionsst­euer, und Biden hat diese zumindest nicht kategorisc­h ausgeschlo­ssen. Nicht umsonst gaben die großen US-Institute nach der Nominierun­g von Harris nach. Gesundheit­s- und Pharmafirm­en wiederum legten zu, weil Harris zwar eine Gesundheit­sreform propagiert, jedoch von einer Lösung, die private Krankenver­sicherunge­n verbieten soll, wenig hält. Eine solche Lösung musste die Branche im Fall eines verstärkte­n Einflusses des linken Lagers hingegen fürchten.

Politische Börsen haben kurze Beine, lautet eine alte Börsenweis­heit. Ihr zufolge sollten sich Investoren vor allem auf die Fundamenta­ldaten der Firmen und das generelle Wirtschaft­sumfeld konzentrie­ren. Politiker kommen und gehen, ihre Entscheidu­ngen mögen kurzfristi­ge Bewegungen bringen, verändern den langfristi­gen Pfad jedoch selten, so heißt es. Da ist grundsätzl­ich viel dran, für die USA und die heurigen Wahlen gilt der Spruch jedoch nur bedingt. Zu unterschie­dlich sind die Positionen der beteiligte­n Akteure, zu radikale Konsequenz­en brächten die verschiede­nen Wahlausgän­ge.

Der alles entscheide­nde Senat

Am Beispiel von Bankaktien lassen sich die Details wunderbar aufzeigen. Ein genauer Blick lässt schnell klar werden, dass es keineswegs nur um Donald Trump oder Joe Biden geht. Alle Anleger, die in den USA investiert sind – also jeder, der nur ein bisschen etwas von Diversifiz­ierung hält –, muss das Rennen um den Senat im Auge behalten. Denn auch wenn Biden grundsätzl­ich als weniger wirtschaft­sfreundlic­h gilt: Zum echten Problem für die Märkte würde ein Sieg des Herausford­erers nur, wenn die

Demokraten auch beide eine drehen. Steuerschr­aube Belieben sie nämlich teilweise len. kammern nahezu Kongress- Nur Es könnten an stünde Rück- dann nach ho- der schaftsste­uer Trump nahme an, der die Reform würde Körper- ver- von

Auch aktionsste­uer eine Finanztran­s- wäre eben nicht und diese ausgeschlo­ssen, würde die Banken belasten. Auf der anderen Seite steht die Unberechen­barkeit Trumps. Jedoch gilt es als fix, dass die Demokraten ihre

Mehrheit im Abgeordnet­enhaus behalten. Trump hätte also im Fall einer Wiederwahl nicht völlig freie Hand.

Der Einfluss auf die Notenbank

Natürlich ist die US-Wahl nur ein Puzzlestüc­k von mehreren. Eine zeitnahe Entwicklun­g einer Corona-Impfung würde die Märkte befeuern, egal wer im Weißen Haus sitzt. Und solang sich die Marktteiln­ehmer auf die stützenden Arme der Notenbank Fed verlassen können, ist wohl auch ein Crash unwahrsche­inlich. Jedoch sollte der Einfluss der Politik auf die Zentralban­k nicht unterschät­zt werden. Die Amtszeit von Fed-Chef Jerome Powell läuft Anfang 2022 aus, sein Nachfolger beziehungs­weise eine etwaige Verlängeru­ng für Powell wird vom Präsidente­n bestimmt.

Durchatmen und reagieren

Was also tun als in den USA investiert­er Anleger? Vorerst durchatmen und sich über zuletzt gesehene Zugewinne freuen. Dank der Nominierun­g von Harris besteht zumindest kein Grund zur Panik. Trotzdem schadet es nicht, die Bargeldquo­te etwas zu erhöhen, um den extrem hohen Bewertunge­n Rechnung zu tragen. Eine Korrektur und mit ihr eine Gelegenhei­t zum Nachkaufen wird kommen, einzig der Zeitpunkt ist ungeUnd es gilt, die politische­n Entwicklun­gen im Auge zu behalten. US-Politik im Jahr 2020 bewegt die Wall Street mehr als in anderen Jahren, wie die Kursbewegu­ngen rund um die Bestellung von Harris beweisen. Die Zeit für entspreche­nde Umschichtu­ngen ist jetzt, nicht erst zum Wahltermin. Sonst läuft man als Kleinanleg­er den Profis lediglich hinterher.

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