US-Politik bewegt die Börsen
Analyse. Die Nominierung der kalifornischen Senatorin für die Vizepräsidentschaft heizt die Euphorie weiter an. Zeit, daran zu erinnern, dass Börsianer im heurigen Wahljahr mehr als sonst ein Auge auf die Details der US-Politik werfen sollten.
Die Nominierung von Kamala Harris als Vizepräsidentschaftskandidatin heizt die Euphorie an der Wall Street weiter an.
New York. Nicht nur das Coronavirus und eine etwaige Impfung dagegen können die Börsen bewegen. Sondern auch eine in normalen Zeiten für die Märkte eher unbedeutende Angelegenheit wie die Nominierung einer Kandidatin für das Amt der US-Vizepräsidentin. Joe Biden zieht, wie diese Woche bekannt geworden ist, mit Kamala Harris in den Wahlkampf – und als Folge kratzen die wichtigsten Indizes an der Wall Street einmal mehr an ihren Rekorden. Was ist da los?
In der Tat waren die Bewegungen nach der Nominierung von Harris vorhersehbar und Börsianer, die sich auch im Detail mit der USPolitik beschäftigen, hätten von den Zugewinnen unmittelbar nach Bidens Verlautbarung profitieren können. Der wichtigste Punkt: Das von den Händlern befürchtete Schreckensszenario einer Vizepräsidentin vom ganz linken Rand ist Geschichte. Hätte sich Biden etwa für Elizabeth Warren entschieden, wären die Kurse wohl gefallen. So aber sahen ohnehin bereits euphorische Investoren abermals einen Grund zum Zukauf.
Aufatmen bei Tech-Firmen
Egal also, was bei den Wahlen am 3. November passiert, zu den Gewinnern dürfen sich schon jetzt die Tech-Firmen zählen. Eine Zerschlagung ist vorerst vom Tisch, eine solche forderten vor allem linksliberale Demokraten, und mit Harris an Bidens Seite haben sie nun an Einfluss verloren. Freilich: Für den herkömmlichen Kleinanleger ist trotzdem Vorsicht angesagt, weil die Bewertungen in abartigen Höhen liegen. Aber zumindest kann man ein paar große Namen wie Apple, Amazon, Alphabet oder Facebook im Portfolio liegen lassen. Eine Korrektur ist natürlich nicht ausgeschlossen, aber die Politik steht weiteren Zugewinnen erst einmal nicht im Weg.
Börsenweisheit gilt nur bedingt
Anders sieht die Lage für Banken aus. Harris gilt als Anhängerin einer Finanztransaktionssteuer, und Biden hat diese zumindest nicht kategorisch ausgeschlossen. Nicht umsonst gaben die großen US-Institute nach der Nominierung von Harris nach. Gesundheits- und Pharmafirmen wiederum legten zu, weil Harris zwar eine Gesundheitsreform propagiert, jedoch von einer Lösung, die private Krankenversicherungen verbieten soll, wenig hält. Eine solche Lösung musste die Branche im Fall eines verstärkten Einflusses des linken Lagers hingegen fürchten.
Politische Börsen haben kurze Beine, lautet eine alte Börsenweisheit. Ihr zufolge sollten sich Investoren vor allem auf die Fundamentaldaten der Firmen und das generelle Wirtschaftsumfeld konzentrieren. Politiker kommen und gehen, ihre Entscheidungen mögen kurzfristige Bewegungen bringen, verändern den langfristigen Pfad jedoch selten, so heißt es. Da ist grundsätzlich viel dran, für die USA und die heurigen Wahlen gilt der Spruch jedoch nur bedingt. Zu unterschiedlich sind die Positionen der beteiligten Akteure, zu radikale Konsequenzen brächten die verschiedenen Wahlausgänge.
Der alles entscheidende Senat
Am Beispiel von Bankaktien lassen sich die Details wunderbar aufzeigen. Ein genauer Blick lässt schnell klar werden, dass es keineswegs nur um Donald Trump oder Joe Biden geht. Alle Anleger, die in den USA investiert sind – also jeder, der nur ein bisschen etwas von Diversifizierung hält –, muss das Rennen um den Senat im Auge behalten. Denn auch wenn Biden grundsätzlich als weniger wirtschaftsfreundlich gilt: Zum echten Problem für die Märkte würde ein Sieg des Herausforderers nur, wenn die
Demokraten auch beide eine drehen. Steuerschraube Belieben sie nämlich teilweise len. kammern nahezu Kongress- Nur Es könnten an stünde Rück- dann nach ho- der schaftssteuer Trump nahme an, der die Reform würde Körper- ver- von
Auch aktionssteuer eine Finanztrans- wäre eben nicht und diese ausgeschlossen, würde die Banken belasten. Auf der anderen Seite steht die Unberechenbarkeit Trumps. Jedoch gilt es als fix, dass die Demokraten ihre
Mehrheit im Abgeordnetenhaus behalten. Trump hätte also im Fall einer Wiederwahl nicht völlig freie Hand.
Der Einfluss auf die Notenbank
Natürlich ist die US-Wahl nur ein Puzzlestück von mehreren. Eine zeitnahe Entwicklung einer Corona-Impfung würde die Märkte befeuern, egal wer im Weißen Haus sitzt. Und solang sich die Marktteilnehmer auf die stützenden Arme der Notenbank Fed verlassen können, ist wohl auch ein Crash unwahrscheinlich. Jedoch sollte der Einfluss der Politik auf die Zentralbank nicht unterschätzt werden. Die Amtszeit von Fed-Chef Jerome Powell läuft Anfang 2022 aus, sein Nachfolger beziehungsweise eine etwaige Verlängerung für Powell wird vom Präsidenten bestimmt.
Durchatmen und reagieren
Was also tun als in den USA investierter Anleger? Vorerst durchatmen und sich über zuletzt gesehene Zugewinne freuen. Dank der Nominierung von Harris besteht zumindest kein Grund zur Panik. Trotzdem schadet es nicht, die Bargeldquote etwas zu erhöhen, um den extrem hohen Bewertungen Rechnung zu tragen. Eine Korrektur und mit ihr eine Gelegenheit zum Nachkaufen wird kommen, einzig der Zeitpunkt ist ungeUnd es gilt, die politischen Entwicklungen im Auge zu behalten. US-Politik im Jahr 2020 bewegt die Wall Street mehr als in anderen Jahren, wie die Kursbewegungen rund um die Bestellung von Harris beweisen. Die Zeit für entsprechende Umschichtungen ist jetzt, nicht erst zum Wahltermin. Sonst läuft man als Kleinanleger den Profis lediglich hinterher.