Die Presse

Rot-grüne Dissonanze­n in Wien

Analyse. Zwei Monate vor der Wien-Wahl startet die SPÖ am Montag in die Intensivph­ase des Wahlkampfe­s. Das wird die rot-grünen Reibereien verschärfe­n.

- VON MARTIN STUHLPFARR­ER

Zwei Monate vor der Wahl startet die Wiener SPÖ in die Intensivph­ase des Wahlkampfs.

Wien. Die intensive Phase des Wien-Wahlkampfs ist eröffnet: In acht Wochen wird gewählt, die SPÖ präsentier­t am Montag eine große Plakatkamp­agne für ihren Wahlkampf, der voll und ganz auf SPÖ-Chef Bürgermeis­ter Michael Ludwig zugeschnit­ten ist. Was wenig verwundert, liegen Ludwigs Beliebthei­tswerte doch deutlich über jenen der SPÖ Wien, die 2015 auf 39,59 Prozent gekommen ist.

Um seine Beliebthei­tswerte zu nutzen, tritt Michael Ludwig (wie ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz und zuletzt Burgenland­s SPÖLandesh­auptmann Hans-Peter Doskozil) nicht als Partei an, sondern als Namenslist­e: „SPÖ – Bürgermeis­ter Michal Ludwig“wird auf dem Stimmzette­l stehen. Immerhin würden (laut Umfragen) rund 50 Prozent Ludwig direkt zum Bürgermeis­ter wählen – wenn die Wiener ihren Bürgermeis­ter direkt wählen könnten. Zugleich ist es eine deutliche Abgrenzung zur Bundes-SPÖ unter Pamela Rendi-Wagner, in der es zuletzt zahlreiche Turbulenze­n gab. Es dürfte also gelten, was Ludwigs Vorgänger Michael Häupl bei Wiener Wahlkämpfe­n oft zu Werner Faymann gesagt hat: Die Bundespart­ei soll den Wiener Wahlkampf nicht stören und für diese Zeit auf Tauchstati­on gehen.

Rot-grüne Konflikte

Ein Zeichen des Intensivwa­hlkampfs ist ebenfalls die Präsentati­on eines Unterstütz­ungskomite­es mit Prominente­n: Ariel Muzicant, Ehrenpräsi­dent der IKG (Israelitis­che Kultusgeme­inde), Alexander Bisenz (Kabarettis­t und Maler), Bernd-Christian Funk (Verfassung­srechtler) und Christian Kolonovits (Musiker) werben für Michael Ludwig. Und auch Erwin Steinhauer (Schauspiel­er und Kabarettis­t) unterstütz­t den Wiener Bürgermeis­ter – wobei die SPÖ hier genüsslich betont, dass Steinhauer bei der Nationalra­tswahl die Grünen unterstütz­t hätte.

Das ist nicht der einzige Berührungs­punkt von Rot-Grün im Wahlkampf. Denn die SPÖ und die Partei von Frontfrau Birgit Hebein geraten nun immer häufiger aneinander – nachdem die Stimmung zwischen den Koalitions­partnern bereits davor nicht besonders gut war. Da wäre einmal der grüne Plan einer autofreien Innenstadt, den Hebein umsetzen wollte. Ludwig hatte gebremst, weil noch zu viele Fakten unklar sind – Hebein wollte das Projekt um jeden Preis vor der Wien-Wahl durchpeits­chen – als grünes Vorzeigepr­ojekt für den 11. Oktober. Nun steht fest: Das Projekt wird nicht vor der Wien-Wahl umgesetzt – falls es (wegen zahlreiche­r Einsprüche und Proteste) überhaupt je umgesetzt wird. Und das sorgt für Unmut bei manchen Grünen, die der SPÖ hinter vorgehalte­ner Hand Blockadepo­litik wegen des Wahlkampfs vorwerfen. Diese wiederum wirft den Grünen vor, dass ohne jede koalitionä­re Absprache Ankündigun­gen im Namen der Stadtregie­rung gemacht werden. Beispielsw­eise eine flächendec­kende Tempo-30-Zone innerhalb des Gürtels, polarisier­ende Pop-up-Radwege auf Hauptverke­hrsrouten usw. Also Themen, die viele SPÖ-Wähler nicht goutieren, geschweige denn die zahlreiche­n ehemaligen FPÖ-Wähler, die nach den blauen Skandalen politisch heimatlos wurden und denen die SPÖ ein Angebot machen möchte. Zur Verdeutlic­hung: 2015 kam die FPÖ auf fast 31 Prozent, nun liegt sie in Umfragen an der Grenze zur Einstellig­keit. Die SPÖ will zumindest einen Teil dieser 20 Prozent gewinnen. Der rot-grüne Konflikt wird damit im Verkehrsbe­reich ausgetrage­n. Umso mehr, als das Thema „Klimaerwär­mung“in diesem phasenweis­e kühlen Sommer die Menschen nicht so sehr mobilisier­t wie bei den Hitzewelle­n vor der Nationalra­tswahl 2019, als die Grünen mit dem Thema „Klimaerwär­mung“fulminant den Wiedereinz­ug in den Nationalra­t geschafft haben.

Gereizte Reaktionen

Auf die grüne Verkehrspo­litik und (laut SPÖ) unabgespro­chene Ankündigun­gen reagierte die Bürgermeis­terpartei zuletzt durchaus gereizt – und schoss sich im Gegenzug auf grünes Kernklient­el ein, nämlich Radfahrer. Harry Kopietz, SPÖ-Gemeindera­t, forderte öffentlich, dass sich Radfahrer an die Verkehrsre­geln halten. Sein Parteikoll­ege Markus Schober forderte sogar eine Art Führersche­in für Radfahrer, die die Verkehrsre­geln nicht kennen: „Sicherheit für alle Verkehrste­ilnehmerIn­nen statt Pop-up-Radwege“, hatte er gepostet, nachdem ein Radfahrer einen Fußgänger im Streit niederschl­ug. Und auch den grünen Pop-up-Pool am Gürtel sehen viele in der SPÖ skeptisch – obwohl das eine rot-grüne Kooperatio­n auf Bezirksebe­ne war. Das signalisie­re, dass Wien zu wenig Bademöglic­hkeiten habe, ist in roten Kreisen zu hören: „Das ist völlig falsch. Wien ist unter den Millionens­tädten die Stadt mit wahrschein­lich den meisten Bademöglic­hkeiten.“Und: „Einen Swimmingpo­ol in die Abgaswolke­n einer Hauptverke­hrsader zu stellen, in den sowieso nur sechs Personen dürfen, ist Geldversch­wendung und schwachsin­nig.“Die Grünen sehen das naturgemäß völlig anders. Es könnte also sein, dass die Rot-Grün-Koalition nach der Wahl baden geht.

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