Rad muss in Unterführung
Schadenersatz. Eine Frau schob ihr Rad über eine Bundesstraße, weil sie sich vor der Unterführung fürchtete. Auch wenn ein unachtsamer Fahrer sie überrollte, ist die Radfahrerin mitschuld.
Ängstliche Frau machte sich mitschuldig an Unfall auf Straße.
Wien. Ist eine Unterführung in der Nähe, dann sollte man sie auch benutzen. Das zeigt ein Urteil zu einer Radfahrerin, die eine Bundesstraße lieber oberirdisch querte. Während sie das Rad über die Straße schob, wurde sie aber von einem 17 Meter langen und rund zweieinhalb Meter breiten Sattelkraftfahrzeug überrollt. Aber wer ist nun schuld an dem Unglück?
Der Unfall war auf Höhe einer Kreuzung passiert. Die Frau hatte ihr Rad bis zur Mitte geschoben, dann aber wegen des Gegenverkehrs wieder ein bisschen zurück. Hätte der dort in der Kolonne stehende Fahrzeuglenker, der wegen einer roten Ampel angehalten hatte, vor dem Losfahren in seinen Frontspiegel geschaut, hätte er die Frau mit dem Rad gesehen. So aber fuhr er los und überfuhr mit dem linken Vorderrad die Frau.
Als diese Schadenersatz forderte, wandte der Verband der Versicherungsunternehmen ein, dass sie allein schuld am Unglück sei. Sie habe die Bundesstraße an einer völlig ungeeigneten Stelle überquert. Und so knapp vor dem Sattelkraftfahrzeug, dass der Lenker sie nicht habe sehen können. Die Frau hätte stattdessen die Unterführung nehmen sollen.
Tatsächlich war diese Unterführung, durch die man die Bundesstraße meiden konnte, in der Nähe. Und die Frau hatte die Unterführung in der Vergangenheit auch schon benützt. Aber diesmal hatte die Radfahrerin sich dagegen entschieden. Denn in der als Gehweg gekennzeichneten Unterführung würden andere Radfahrer mit hoher Geschwindigkeit durchfahren. Und deswegen fühle sie sich dort nicht sicher, betonte die Frau. Sie habe das Recht gehabt, diese Unterführung wegen der „Ungeregeltheit“zu meiden, erklärte sie.
StVO: Pflicht zur Unterführung
Vor Gericht klagte die verletzte Radfahrerin nun rund 27.000 Euro ein, überdies solle die Versicherung des Wagens für alle künftig noch entstehenden Schäden aus dem Unfall zahlen.
Beide seien gleichermaßen am Unglück schuld, befand aber das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen. Der Lenker des Fahrzeugs hätte in den Spiegel schauen müssen. Der Radfahrerin aber müsse man vorwerfen, nicht die Unterführung benutzt zu haben. Dazu sei sie gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) verpflichtet gewesen. Demnach sind Unterführungen von Fußgängern zu nutzen, sofern sie nicht mehr als 25 Meter entfernt sind.
Vor dem Oberlandesgericht Wien (OLG) behauptete die Frau sodann, die Unterführung sei rund hundert Meter von ihr entfernt gewesen. Das stimme nicht, laut dem von der ersten Instanz erstellten Plan habe die Entfernung weniger als 25 Meter betragen, sagte das OLG. Überhaupt verstoße die Frau mit der erst jetzt aufgestellten Behauptung gegen das Neuerungsverbot. In der Sache befand daher auch das OLG eine Verschuldensteilung von eins zu eins als gerecht.
Beide Seiten gingen noch vor den Obersten Gerichtshof (OGH). Auch er meinte, dass der Fahrer des Sattelkraftfahrzeugs vor dem Losfahren in den Frontspiegel blicken hätte müssen. Umgekehrt verwarf der OGH aber ebenfalls das Argument der Radfahrerin, laut dem sie hundert Meter von der Unterführung entfernt gewesen sei. Denn darauf komme es gar nicht an. Die Frau hätte unabhängig davon, wie weit die Unterführung weg war, so niemals die Bundesstraße überqueren dürfen.
OGH: Niemanden behindern
Der OGH gab eine Anleitung, wie man eine breite Fahrbahn als Fußgänger zu überqueren hat. So müsse man sich, wenn man in der Mitte ist, vergewissern, dass nicht von der rechten Seite ein Fahrzeug kommt. Falls nötig, solle man dann in der Mitte stehen bleiben – und zwar so, dass man nicht den von links kommenden Verkehr stört. Da die Frau aber ein Rad schob, habe sie in dieser Situation (Kolonne auf der Fahrbahn) die Straße gar nicht queren dürfen, weil sie in der Mitte jemanden behindert hätte, mahnte der OGH (2 Ob 21/20g).
Schon allein deswegen sei die Frau mitschuld am Unglück, fanden die Höchstrichter. Es bleibt bei der Verschuldensteilung eins zu eins.