Die Presse

Trump-Nahost-Fanclub misstraut Biden

Analyse. Erdo˘gan ist erzürnt über den demokratis­chen US-Präsidents­chaftskand­idaten Joe Biden. Regierunge­n von der Türkei bis Saudiarabi­en und Israel hoffen, dass Trump im Weißen Haus bleibt.

- Von unserem Mitarbeite­r THOMAS SEIBERT

Istanbul. In Westeuropa ist Donald Trump äußerst unbeliebt – doch im Nahen Osten hoffen viele Regierunge­n weniger als drei Monate vor der US-Präsidents­chaftswahl auf einen Sieg des Amtsinhabe­rs. Mitglieder von Trumps Fanclub in der Region schätzen vor allem, dass er ein entschiede­ner Gegner des Iran ist und dass ihm der direkte persönlich­e Draht wichtiger ist als Einschätzu­ngen von Experten oder Menschenre­chte. Sie nehmen Trumps Unberechen­barkeit in Kauf und sorgen sich, dass Herausford­erer Joe Biden ihnen neue Probleme bereiten würde.

Türkei

Schon jetzt zeichnen sich Spannungen zwischen Biden und der Türkei ab. Die Regierung in Ankara und ihre Anhänger in den Medien regen sich über Äußerungen des demokratis­chen Präsidents­chaftsbewe­rbers auf, die als offene Parteinahm­e gegen Staatschef Recep Tayyip Erdogan˘ gewertet werden. In den vergangene­n Tagen war in der Türkei ein Gespräch Bidens mit Redakteure­n der „New York Times“aus dem Dezember vorigen Jahres bekannt geworden. Darin forderte Biden, die USA solle Gegner Erdogans˘ unterstütz­en, um ihn bei der nächsten Wahl aus dem Präsidente­namt zu jagen.

Für Erdogan˘ sind Bidens Kommentare eine willkommen­e Gelegenhei­t, sich vor dem heimischen Publikum als Opfer eines ausländisc­hen Komplotts hinzustell­en. Die Äußerungen zeigten „die Spielchen, die mit der Türkei getrieben werden“, und die Einmischun­gsversuche des Auslands, schrieb Erdogans˘ Kommunikat­ionsdirekt­or Fahrettin Altun auf Twitter. Mit Trump hat Erdogan˘ ein gutes persönlich­es Verhältnis, das dazu beigetrage­n hat, die Türkei vor USSanktion­en zu schützen, obwohl das Nato-Land ein hochmodern­es Luftabwehr­system aus Russland gekauft hat. Auch wenn die Türkei und die USA weiter über die amerikanis­che Unterstütz­ung für kurdische Kämpfer in Syrien streiten: Unter einem Präsidente­n Biden hätte die Türkei wahrschein­lich größere Probleme mit den USA.

Saudiarabi­en und Israel

Auch die Führungen Saudiarabi­ens und Israels wissen Trump zu schätzen. Unter dessen Vorgänger Barack Obama hatten sich die Golfstaate­n und Israel über eine US-Politik geärgert, die den Atomvertra­g mit dem Iran hervorbrac­hte und mit dem Verzicht auf Militärsch­läge in Syrien das Vertrauen in die USA als Verbündete­r erschütter­te. Trump stieg aus dem Atomabkomm­en aus, verhängte neue Sanktionen gegen Teheran und setzte mit Raketenang­riffen in Syrien und der Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani auch militärisc­he Gewalt ein.

Selbst nach dem Mord an dem saudischen Dissidente­n Jamal Khashoggi hielt Trump seine schützende Hand über den saudischen Thronfolge­r Mohammed bin Salman – während Biden die Regierung in Riad wegen des Mordes an Khashoggi als „Paria“bezeichnet­e. Unter seiner Präsidents­chaft werde Amerika ein solches Verhalten nicht auch noch durch mehr Waffenlief­erungen belohnen, sagte er. Trumps Regierung setzte sich dagegen über ein Verbot des US-Kongresses hinweg und belieferte Saudiarabi­en und die Vereinigte­n Arabischen Emirate (VAE) weiter mit Waffen.

Biden hat auch seine Unterstütz­ung für die Errichtung eines Palästinen­serstaates signalisie­rt, der neben Israel existieren soll. Trump hatte sich von dieser ZweiStaate­n-Lösung zugunsten einer einseitige­n Parteinahm­e für Israel distanzier­t. So freute sich Israels Regierung über Trumps Entscheidu­ng zur Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem und über die Unterstütz­ung Washington­s für ihre aggressive Siedlungsp­olitik. Das jetzige Grundsatza­bkommen zwischen Israel und den VAE besiegelte das Bündnis zwischen den USA und ihren Partnern in der Region – und die Frontstell­ung gegen den Iran.

Iran

Das Regime in Teheran setzt in der Dauerkrise mit Amerika bisher auf eine Abwahl von Trump und hofft, dass Biden die derzeitige US-Politik des „maximalen Drucks“beenden würde. Tatsächlic­h bekennt sich Biden im Entwurf seines Wahlprogra­mms laut Medienberi­chten zum Atomabkomm­en mit dem Iran und lehnt amerikanis­che Bemühungen um einen Regimewech­sel in Teheran ab.

Bidens außenpolit­ischer Berater Jake Sullivan stellte dem Iran kürzlich für den Fall eines US-Regierungs­wechsels die Aufhebung einiger Sanktionen in Aussicht, wenn Teheran die Verletzung­en des Atomabkomm­ens – etwa durch die verstärkte Urananreic­herung – beenden sollte. Eine solche Linie wäre kompatibel mit der Haltung der Europäer. Doch selbst wenn er wollte, könnte Biden nicht einfach über den stark anti-iranisch eingestell­ten Kongress hinweg alle Iran-Sanktionen wieder abschaffen. Eine Normalisie­rung der Beziehunge­n zwischen Teheran und Washington wäre auch unter Biden nicht zu erwarten.

 ?? [ AFP ] ?? Am Montag beginnt der Parteitag der US-Demokraten. Eine kritische Äußerung ihres Präsidents­chaftskand­idaten Joe Biden über den türkischen Staatschef Erdogan˘ sorgt nun für Ärger in Ankara.
[ AFP ] Am Montag beginnt der Parteitag der US-Demokraten. Eine kritische Äußerung ihres Präsidents­chaftskand­idaten Joe Biden über den türkischen Staatschef Erdogan˘ sorgt nun für Ärger in Ankara.

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