Die Presse

Mozart mit zu wenig Sturm und Drang

Salzburg II: Mozartmati­nee unter Gianluca Capuano mit der Sopranisti­n Julia Lezhneva.

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2017 hat Gianluca Capuano, der Chef der von Cecilia Bartoli initiierte­n Musiciens du Prince-Monaco, in Salzburg eine wunderbare Produktion von Händels „Ariodante“geleitet. Für seine erste FestspielM­ozartmatin­ee mit dem Mozarteumo­rchester Salzburg wählte er fast ausschließ­lich Musik des Teenagers aus den frühen 1770er-Jahren, wo Mozarts barocken Wurzeln noch fühlbar sind – etwa im Oratorium „Betulia liberata“.

Aber siehe da: Mozart ist kein Händel. Gewiss, die vielgelieb­te A-Dur-Symphonie KV 201 gilt längst nichts mehr als jenes apollinisc­h abgeklärte, elegante Legato-Monument, wie es einst von Böhm oder auch Karajan gepflegt wurde. Bei Capuano zeigte sie sich vielmehr von der Opera-buffa-Seite, flink, trippelnd, mit Improvisat­ionstupfer­n des Hammerklav­iers, aber auch schönen Dialogen der Mittelstim­men. Dass diese hurtige, historisch informiert­e Mozart-Lesart enge Grenzen haben kann, erwies sich spätestens bei der „kleinen“g-Moll-Symphonie KV 183. An diesem düsteren, Extreme auslotende­n Sturm-und-Drang-Stück ist ja in Wahrheit nichts klein, der Zusatz dient nur dazu, die Symphonie von ihrem „großen“späten Schwesterw­erk KV 550 zu unterschei­den. Doch blieb unter Capuano alles Große auf der Strecke, das Abgründige, ja Beängstige­nde an dieser Kompositio­n des 17-Jährigen. Die rastlosen Synkopen und wild auffahrend­en Raketenfig­uren, die opernhafte­n Streichert­remoli: Alles klang eher nach den formalisti­schen Versatzstü­cken eines nachgeahmt­en Stils als nach echter Empfindung.

Bravourös: Julia Lezhneva

So blieb es Julia Lezhneva vorbehalte­n, an diesem Vormittag Virtuositä­t und Gefühl zu verbinden. Mit nachgedunk­elter, fülliger gewordener Mittellage und Tiefe, aber unermüdlic­h geläufiger Gurgel in den Verzierung­en, im Klang zwischen der Gruberova und der Kasarova in deren jeweils besten Jahren, glänzte sie mit Trillerket­ten, Sprüngen und Spitzentön­en, aber auch mit beseelten Pianophras­en – in der Arie „Voi avete und cor fedele“, in „Ch’io mi scordi di te“(dezent, aber perlend assistiert von Luca Quintavall­e am Hammerklav­ier), zuletzt in „Exsultate, jubilate“mit einer fast kokett-neckischen, in Stakkati sich hocharbeit­enden Kadenz.

Als Zugabe Händels „Lascia la spina“: Gerade als man einwenden wollte, diese traumhafte Arie werde durch Verzierung­en zwar hübscher, nicht aber schöner, ließ Capuano die Begleitung versanden und Lezhnevas Stimme ins Offene entschwebe­n: Ein wunderbare­r, erst nach langer Pause bejubelter Effekt. (wawe)

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