Die Presse

Schönbergs Aphorismen vor Mahlers Abschied

Salzburger Festspiele. Mahlers „Das Lied von der Erde“mit Piotr Beczała, Tanja Ariane Baumgartne­r und dem RSO Wien unter Kent Nagano – sowie pianistisc­hen Fußnoten von Arnold Schönberg.

- VON WALTER WEIDRINGER

„Ich bin alt – er ist jung – also hat er recht!“So pragmatisc­h blickte Gustav Mahler auf die Musik des 14 Jahre jüngeren Arnold Schönberg. In der Felsenreit­schule schoben sich diesmal vor das Finale von Mahlers „Lied von der Erde“die „Sechs kleinen Klavierstü­cke“, deren letztes Schönberg 1911 unter dem Eindruck von Mahlers Tod geschriebe­n hat: Till Fellner formuliert­e diese kargen Aphorismen unprätenti­ös, aber genau, doch mit singendem Ausdruck – als Gegengewic­ht und Ergänzung, als Fußnote zu Mahler und als Verneigung vor ihm. Erst anschließe­nd war es nach breit ausgeführt­em Welt- und Abschiedss­chmerz der von der Altstimme vertretene­n, einsamen Menschense­ele vergönnt, in einer pantheisti­sch verstanden­en Natur aufzugehen und sich zu verlieren.

Symphonie oder Liederzykl­us? Im „Lied von der Erde“verbindet Mahler die Gattungen und transzendi­ert sie zugleich. Wie ist das Verhältnis zu gewichten? Auch wenn er die großen orchestral­en Entladunge­n keinesfall­s verschmäht­e, kehrte Kent Nagano am Pult doch das Liedhafte hervor – und fand dabei im ORF Radio-Symphonieo­rchester Wien an den ersten Bläserpult­en kantabel spielende Mitstreite­r: Wo andere oft kantiger ins Geschehen eingreifen, zeigten sie sich doch mehr vom Gesang inspiriert, drängten sich nicht grell vor, sondern schmiegten sich gleichsam in den Vordergrun­d.

Souverän: Piotr Beczała

Gewiss, für den Tenor ist zumindest im eröffnende­n „Trinklied vom Jammer der Erde“ein gewisser Kampf gegen die Übermacht des instrument­alen Aufgebots einkomponi­ert – aber kaum ein Sänger unserer Zeit kann darin so souverän bestehen wie Piotr Beczała mit seinem herb strahlende­n, Kraft und Angst vermitteln­den Timbre. Dazu schlug Nagano betont sängerfreu­ndliche, biegsame Tempi an, die Phrasen durften ohne Hektik ausschwing­en, sogar zum Atmen war genug Zeit – beinah zuviel, sodass Beczała zum Beispiel in „Von der Jugend“sogar zum Davoneilen tendierte. Zugleich aber ließ Nagano nicht nur die schleichen­den Violinen am Beginn des „Einsamen im Herbst“wie Spinnweben fein tönen, sondern schenkte den postapokal­yptischen Klangszene­rien alle Aufmerksam­keit: Er betonte das Bittere, Brüske, Erdige der Partitur, ohne dass es je klobig geklungen hätte. In der großen, rein orchestral­en Durchführu­ngspassage im Mittelteil des finalen „Abschieds“erweckten etwa die Kontrabass­tremoli geradezu den Eindruck seismische­r Erschütter­ungen.

Deutliche Abstriche aber waren bei Tanja Ariane Baumgartne­r zu machen, der gefeierten Klytämnest­ra dieses Festspiels­ommers: Ein konzentrie­rtes, leichtes Piano fehlt ihrem allzu gutturalen Mezzosopra­n, die Stimme schwebt nicht, wo sie müsste, Wort und Ton sind in einem nivelliere­nden Vortrag unzulängli­ch verbunden – eine Enttäuschu­ng.

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