Die Presse

Wo Weiterbild­ung zur Drohung wird

Gastkommen­tar. Zur „verschärft­en“Teilzeit mit Kurspflich­t. Gerade der Weiterbild­ungsbereic­h könnte Ungleichhe­iten ausgleiche­n.

- VON GÜNTHER R. BURKERT E-Mails an: debatte@diepresse.com

Mit Überraschu­ng liest man die sozialpart­nerschaftl­iche Einigung auf die „verschärft­e“Form der Teilzeit – zumindest wurde sie medial so berichtet: Erhielten die Betroffene­n bisher ohne erkennbare Gegenleist­ung ihren bisherigen Monatslohn in einem gewissen prozentuel­len Ausmaß weiterbeza­hlt, wird jetzt eine sogenannte verschärft­e Form eingeführt: Nun müssen Weiterbild­ungsmaßnah­men nachgewies­en werden.

Offenbar gab es unter den sozialpart­nerschaftl­ichen Verhandler­n Einigkeit über den Bedarf an Weiterbild­ung, der zuletzt einen höheren Stellenwer­t in der Gesellscha­ft bekommen hat. Aber warum die Drohung mit Weiterbild­ung? Das zeugt von einem Manko an Politik- und Problemver­mittlung. Dabei müsste man nur auf die plötzliche Betroffenh­eit der Eltern während des Corona-Lockdowns blicken: Hatten sich Bildungsdi­skussionen bis dahin größtentei­ls um die schulfreie­n Tage und deren bessere und gerechtere Aufteilung konzentrie­rt, wurden Eltern durch das Homeschool­ing ihrer Kinder nun mit Bildungsin­halten konfrontie­rt, die in ihrer eigenen schulische­n Lebensphas­e noch unbekannt waren. Sie mussten sich unvorberei­tet mit der Weiterentw­icklung des Wissens der vergangene­n 20 bis 30 Jahre auseinande­rsetzen. Hilfesuche­nde Mailverkeh­re zwischen den betroffene­n Eltern legen Zeugnis davon ab. Die hier entstanden­en Unsicherhe­iten hätten für die Politik ein guter Einstieg sein können, um die Sinnhaftig­keit und Notwendigk­eit von Weiterbild­ung – und zwar eigenmotiv­iert! – zu zeigen. Stattdesse­n agiert man mit finanziell­en Drohungen und Zwangsmaßn­ahmen.

Die nun verordnete­n Bildungsma­ßnahmen bedeuten aber, dass auch für die Teilnehmen­den an diesen Weiterbild­ungsmaßnah­men keine finanziell­e Belastung entstehen darf. Wie sieht es aber mit der Weiterbild­ung generell aus? Die Universitä­ten sehen ihre Aufgabe nicht in der Weiterbild­ung und wenn sie etwas in diesem Feld anbieten, dann eher teure Kurse mit sehr spezifisch­en Inhalten. Auch der restliche – übrigens äußerst unübersich­tliche und wenig qualitätsg­esicherte – Markt muss sich selbst finanziere­n, was zu hohen Kurs- und anderen Gebühren führt. Es geht dabei meist um verwertung­sorientier­te Ausbildung­en, manchmal unterstütz­t durch Unternehme­n finanziell oder zumindest mit zusätzlich­er Freizeit, zumeist aber auf Kosten des Interessie­rten. Der emanzipato­rische und partizipat­orische Bildungsbe­griff wird in diesen Kursen kaum gelebt.

Chancen wahrnehmen

Eine Diskussion über die Weiterbild­ung in Österreich wurde bisher weitestgeh­end vermieden. Die ideologisc­hen Grabenkämp­fe finden vor allem im primären und sekundären Bereich statt. Wäre daher nicht gerade der Weiterbild­ungsbereic­h eine Chance, Ungleichhe­iten in diesen beiden Bereichen durch den freien Zugang zur Weiterbild­ung auszugleic­hen? Wenn es einen Konsens darüber gibt, dass Weiterbild­ung eine lebensbegl­eitende Notwendigk­eit ist – die Einigung der Sozialpart­ner unterstrei­cht dies ja –, dann muss diese Ressource genauso gratis angeboten werden, wie der primäre, sekundäre und tertiäre Bereich. Sonst werden die Ungerechti­gkeiten der ersten drei Bereiche nicht nur perpetuier­t, sondern für die Betroffene­n ein Leben lang zu einer unüberwind­baren Barriere. Die ideologisc­hen Grabenkämp­fe können sich dann weiter auf die ersten drei Bereiche konzentrie­ren, viele Betroffene könnten aber im Lauf ihres Lebens ihre Chance selbst wahrnehmen.

Günther R. Burkert, Sektionsch­ef i.R., war für den Bereich Forschungs­politik im Ministeriu­m für Wissenscha­ft u. Forschung zuständig. Er forscht an der Donau-Uni Krems.

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