Das machen die Schweden anders
Pandemie. Die Strategien sind sehr unterschiedlich. Wie die Zahl der Toten.
Ein Vergleich der Corona-Strategien von Österreich und Schweden.
Wien. Während die Zahl der Infektionen in den meisten europäischen Ländern steigt, ist die Situation in Schweden unter Kontrolle. Dort setzten die Behörden von Anfang an auf Eigenverantwortung statt Verordnungen, auch bekannt als der „schwedische Weg“. Hätte ihn auch Österreich gehen sollen?
Lockdown
Die gängige Meinung über den „schwedischen Weg“lautet, dass das öffentliche sowie soziale Leben kaum eingeschränkt wurde und die Überlastung der Spitäler dennoch ausblieb. Ein Missverständnis – ebenso wie die Annahme, Schweden sei wirtschaftlich glimpflich davongekommen. Tatsächlich sind die Aussichten wegen der Abhängigkeit vom europäischen Binnenmarkt ähnlich trüb wie in anderen Ländern.
Das ist aber nicht der einzige Grund. Zwar gab es in Schweden im März und April keinen formalen Lockdown mit Ausgangsbeschränkungen und Schließungen von Schulen, Geschäften, Restaurants und Cafes,´ der Alltag unterschied sich aber dennoch kaum von jenem in Österreich.
Viele Gastronomiebetriebe waren geschlossen oder hatten nur sehr kurze Öffnungszeiten, weil sich der Großteil der Bevölkerung an die „dringenden Empfehlungen“der Regierung hielt, soziale Kontakte zu reduzieren. Die wenigen geöffneten Restaurants, Bars und Cafes´ waren verwaist. Ebenso wie Geschäfte, die nicht den täglichen Bedarf decken.
Und auch in den Schulen blieben nur die Unterstufen geöffnet, sie wurden aber bei Weitem nicht von allen Schülern besucht, viele Eltern stellten von sich aus auf Home-Schooling um. Letztlich herrschte in Schweden ein Lockdown-ähnlicher Zustand, der aber auf Freiwilligkeit basierte.
Strukturen
Dass Schweden die Pandemie mit Eigenverantwortung statt mit Verboten bekämpfte, ist nicht nur auf seine traditionell selbstbestimmte Gesellschaft zurückzuführen, sondern auch auf gewachsene Strukturen auf dem Bildungs- und Gesundheitssektor. Distance Learning, Telemedizin und ein Gatekeeper-System sind dort vor allem wegen der enormen Distanzen etablierte Modelle. Letzteres bedeutet, dass Patienten über eine Hotline an die richtige Stelle, also an den zuständigen Facharzt, vermittelt werden, und nicht selbst entscheiden, mit welchen Beschwerden sie welche Einrichtung aufsuchen.
Die Angst, dass sich das Coronavirus in kurzer Zeit unkontrolliert ausbreitet, hielt sich also in
Grenzen. Die Behörden vernachlässigten anfangs sogar, besonders vulnerable Gruppen wie ältere Menschen zu schützen – anders als in Österreich, wo der Lockdown dem Gesundheitssystem eine Atempause verschaffte, um Krisenpläne zu erstellen und fehlende Schutzausrüstung zu besorgen. Im Frühjahr stieg die Zahl der Todesfälle unter Senioren so stark an, dass zeitweise sogar in Schweden selbst der von Chefepidemiologe Anders Tegnell vorgegebene Weg infrage gestellt wurde – mit einigen verbindlichen Regeln als Folge, etwa in Altersheimen.
Todesfälle
Um eine vorläufige Bilanz – eine endgültige Beurteilung ist selbstverständlich erst nach dem Ende der Pandemie möglich – darüber zu ziehen, ob Schweden bisher besser durch die Krise kam als Österreich, lohnt sich ein Blick auf die Zahl der bestätigten Fälle sowie der am oder mit dem Coronavirus Verstorbenen. Bis Donnerstag wurden in Schweden (zehn Millionen Einwohner) 90.289 positive Tests gemeldet, in Österreich (neun Millionen Einwohner) 41.190. In Schweden wird also ganz offensichtlich viel getestet.
Gestorben sind dort bisher 5878 Covid-19-Patienten, das entspricht 6,5 Prozent der bestätigten Fälle, in Österreich liegt die Zahl der Toten bei 783, also 1,9 Prozent der nachgewiesenen Infektionen. Pro eine Million Einwohner sind in Schweden bis 19. Mai 367 Personen an Covid-19 gestorben, in Österreich waren es 71.
Bis 11. Juli kletterte diese Zahl in Schweden auf 541, in Österreich auf 79, das ist ein Anstieg von 11,3 Prozent, in Schweden beträgt er 47 Prozent. Zwei Monate später liegt die Zahl der Verstorbenen pro eine Million Einwohner in Österreich bei 87 (Zuwachs: 10,5 Prozent), in Schweden bei 576 (Zuwachs: 6,5 Prozent). Aber: Wenn Österreich irgendwann auch 90.000 positive Tests (wie in Schweden schon jetzt) erreicht und die Rate der Todesfälle – gemessen an den nachgewiesenen Infektionen – bei 1,9 Prozent bleibt, wovon auszugehen ist, wären in Österreich dann „nur“1700 Menschen gestorben – ein Drittel der bisherigen Todesfälle in Schweden. Zahlen, die für den effektiven Schutz der Risikogruppen in Österreich sprechen.
Stop-and-go
Was zur Frage nach der Ursache für die Stabilisierung der Neuinfektionen in Schweden führt. „Offensichtlich hat die Strategie, gleich zu Beginn an das freiwillige Einhalten der Empfehlungen zu appellieren anstatt strikte Maßnahmen zu verordnen, mehr Bewusstsein für Eigenverantwortung geschaffen“, sagt Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde am Kepler-Universitätsklinikum. Österreich hingegen habe mit dem Lockdown und der beinahe gänzlichen Aufhebung der Einschränkungen im Sommer ein „Stop-andgo-Konzept“verfolgt. „Auf Zwischentöne legte man wenig Wert, was auch das Scheitern der Corona-Ampel erklärt, die unterschiedliche Gefahrenstufen signalisieren sollte, aber von der Bevölkerung nicht angenommen wurde.“