Wird Siesta zur Realität?
Klima. Steigende Durchschnittstemperaturen führen dazu, dass sich Städte an den Klimawandel anpassen. Wien ist von der städtischen Erhitzung besonders betroffen, erklärt Klimatologe und Mitglied des Wiener Klimarats Simon Tschannett.
Wie sehr Wien von der Klimaerwärmung betroffen sein wird.
Wien.
HUEMER
Wärmeinseln. Nein, dabei handelt es sich nicht um karibische Urlaubsinseln, sondern um schweißtreibende Hitzeorte mitten in Wien. „Da Gebäude und asphaltierte Flächen die Sonnenenergie speichern, heizen sich Städte im Sommer besonders auf. Dadurch entsteht der sogenannte Wärmeinseleffekt“, so der Stadtklimatologe und CEO von Weatherpark, Simon Tschannett. Begünstigt wird dieser Effekt durch die allgemeine Klimaerwärmung.
Politisch ist der Klimawandel inzwischen ein heißes Thema, die Grünen haben ihm nach dem Hitzesommer 2019 gar ihr stärkstes Ergebnis bei Nationalratswahlen zu verdanken. Längst macht er sich sich über Parteigrenzen hinweg breit, so auch im Wiener Wahlkampf. SPÖ wie Neos möchten an der Popularität des Themas mitnaschen und tatsächlich, das Monopol der Grünen auf ihr Kernthema beginnt zu bröckeln. Doch wie steht es in puncto Hitze eigentlich um Wien?
Besonders stark betroffen
Die Tendenz der städtischen Erwärmung ist, wenig überraschend, steigend. Eine Nachfrage der „Presse“beim internationalen Wetterdienst Ubimet hat ergeben, dass Hitzetage (Temperaturen über 30°C) in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen haben: Waren es im Mittelwert von 1961 bis 1990 neun Hitzetage pro Jahr in Wien, hat sich die mittlere Anzahl in den vergangenen dreißig Jahren mehr als verdoppelt, nämlich auf 20 Hitzetage pro Jahr. Im Extremsommer 2019 wurden gar 38 Hitzetage in Wien verzeichnet.
Wien ist laut einer Studie von 2019 im europaweiten Großstadtvergleich besonders betroffen, Grund dafür ist vor allem die geo
grafische Lage. „Da kommen mehrere Aspekte zusammen. Wir liegen beispielsweise relativ weit im Kontinent, so gibt es keinen dämpfenden Effekt vom Meer“, erklärt Tschannett. Weiters befindet sich Wien in der Übergangszone zwischen den Alpen und der pannonischen Tiefebene. Die Temperaturen ändern sich in dieser Lage durch den Klimawandel stärker als an anderen Orten. Deshalb sind auch Hitzewellen in Wien besonders spürbar.
Die gesundheitlichen Auswirkungen der Hitze treffen vor allem Babys, Menschen mit Vorerkrankungen sowie ältere Personen. Diese gesonderte Vulnerabilität müsse in der Stadtplanung berücksichtigt werden, fordert der Stadtklimatologe. „Spitäler und Altersheime sollen so positioniert werden, dass sie sich nicht unbedingt an Orten befinden, wo es besonders heiß wird.“Schon jetzt übersteigt in Österreich die Anzahl der Hitzetoten jene der Verkehrstoten. Die Übersterblichkeitsrate, erhoben von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages), verzeichnet von 2015 bis 2019 österreichweit rund 2600 Hitzetote. „Wir sehen, dass die Belastung in den Ballungszentren am größten ist“, so der Leiter der Ages, Franz Allerberger. Doch selbst im Ballungszentrum Wien macht es einen Unterschied, ob man sich im Hitzezentrum der inneren Bezirke oder am kühleren Stadtrand nahe der Donau befindet.
Anpassung
„Klimaschutz ist grundsätzlich extrem wichtig“, betont Tschannett. Das Ziel der internationalen Klimapolitik sieht vor, die Erderwärmung auf maximal 1,5° Celisus gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Hielte man dieses Limit nicht ein, so werde laut dem Stadtklimatologen die Anpassung an die Hitze in Städten sehr schwierig.
Dennoch kann ein kleiner Tropfen wie Wien das Feuer nicht komplett löschen, Adaption an unvermeidbare Veränderungen lautet somit die Devise. „Man kann vielerlei Schritte in der Stadt set
zen, damit es trotz Hitze angenehm ist. Dazu muss man aber die Infrastruktur anpassen“, so der Klimatologe.
Unterschieden wird zwischen sichtbaren und unsichtbaren Maßnahmen. Zu ersteren zählen die Baumpflanzung und das Aufstellen von Nebelduschen. Sogenannte Frischluftschneisen wirken als unsichtbare Maßnahme wie ein Korridor und sorgen dafür, dass kühlende Frischluft in die Stadt kommt – beispielsweise aus dem Wienerwald. Diese Schneisen sollen darum von einer weiteren Bebauung freigehalten werden. Ganz so einfach ist das alles freilich nicht, müssen doch viele Interessen und bauliche Aspekte berücksichtigt werden: Bäume wurzeln in Gebieten mit vielen Leitungen, Tiefgaragen und U-Bahnen eher schlecht als recht, Pendler sind von einer Reduktion der Parkplätze und Fahrspuren nur mittelmäßig begeistert.
Doch „es muss nicht unbedingt ein Baum sein, sondern es ist eine Vielzahl von Maßnahmen, an die man so direkt gar nicht denkt“, erklärt Tschannett. Neben der technischen Anpassung sehen Allerberger und Tschannett das Potenzial einer kulturellen Adaption, darunter eine Änderung der Arbeitszeitmodelle. Anders gesagt: Kennt man das Siesta-Mittagsschläfchen bis dato nur aus dem südländischen Urlaub, so könnte es bei steigenden Temperaturen auch in Wien zukünftig Realität werden, prophezeien die beiden Experten.