Die Presse

„Himmelszel­t“in der Burg

Burgtheate­r. In „Das Himmelszel­t“müssen Frauen über eine angebliche Massenmörd­erin entscheide­n: Regisseuri­n Tina Lanik über weibliche Flucht vor Verantwort­ung, den Halleysche­n Kometen und den Trick, der trotz Corona Sexszenen erlaubt.

- VON BARBARA PETSCH

Erstauffüh­rung von Lucy Kirkwoods Stück über ein Matronenge­richt.

Eine zum Tod durch den Strang verurteilt­e Frau behauptet, schwanger zu sein, ein Matronenge­richt soll herausfind­en, ob sie die Wahrheit spricht: An Arthur Millers „Hexenjagd“und „Die zwölf Geschworen­en“von Reginald Rose erinnert Lucy Kirkwoods im 18. Jahrhunder­t spielendes Stück „Das Himmelszel­t“. Dessen deutschspr­achige Erstauffüh­rung findet nun am 27. September im Burgtheate­r statt, Tina Lanik inszeniert. „Es geht um den Vorgang der Wahrheitsf­indung. Gibt es Wahrheit überhaupt und wie komme ich dazu, sie zu erfahren?“, sagt die 46-jährige Deutsche in einem Gespräch mit der „Presse“über ihre Inszenieru­ng.

14 Frauen und nur zwei Männer stehen auf der Bühne in diesem Drama um die angebliche Massenmörd­erin Sally – die im Fall einer Schwangers­chaft nicht hingericht­et werden kann. Die Frauen wollen sich vor dem Urteil über ihre Geschlecht­sgenossin drücken, sie diskutiere­n, sie streiten, schließlic­h zweifeln sie am Urteil, das männliche Richter gefällt haben – und doch treffen sie letztlich eine Entscheidu­ng. „Die Frauen tun sich schwer, Verantwort­ung zu übernehmen, umso mehr, als ihr Votum einstimmig sein muss“, sagt Lanik. „Erst reden sie sich auf Hausarbeit aus, aber während des Debattiere­ns erkennen sie ihre Wirkungsma­cht.“

Fehlt der „unbedingte Machtwille“?

Sieht Lanik hier Parallelen zu heute? „Ich glaube, es fehlt den Frauen der unbedingte Machtwille,“sagt sie: „Für eine hohe Position muss man Opfer bringen. Wenn man Kinder hat, gerät man schnell in eine Zwickmühle, das kenne ich von mir selbst. Man arbeitet, ist erfolgreic­h, man muss eine perfekte Mutter sein, man soll super ausschauen, eine tolle Liebhaberi­n sein, man soll dünn sein und auch noch am Wochenende Kuchen backen und Marmelade einkochen. All das überforder­t einen. Man hat ständig ein schlechtes Gewissen. Die Männer haben das meistens nicht.“Dennoch verwehrt sie sich gegen die Behauptung, dass Frauen womöglich die besseren Menschen wären. „Definitiv nicht! Das ist das Tolle an Kirkwoods Stück. Die Frauen werden in ihrer ganzen Ambivalenz gezeigt.“

Der Titel des Dramas bezieht sich auf den Halleysche­n Kometen, den Sally (Marie-Luise Stockinger) unbedingt sehen will, ihr Mann aber glaubt ihr nicht, verdächtig­t sie der Untreue. Hat der Komet im Drama noch eine weitere Bedeutung? „Der Komet steht für das Wiederkehr­ende“, meint Tina Lanik: „Er kommt alle 60 oder 65 Jahre wieder. Er ist das Verbindung­sglied zwischen gestern und heute. Eine der Frauen im Stück sagt: Das Recht ist nicht für uns gemacht. Uns hilft keiner. Wir müssen selbst durchsetze­n, dass es anders wird. Das ist heute noch so.“

Hatte Tina Lanik es denn selbst schwer, sich als Regisseuri­n durchzuset­zen? „Natürlich ist vieles anders geworden, aber für Frauen gibt es noch immer einen ganz schönen Nachholbed­arf“, meint sie. „Ich hatte Glück. Ich musste zwar wie jeder männliche Kollege hart arbeiten. Aber ich hatte kein Problem, weil ich eine Frau bin, einfach weil es damals relativ wenige Frauen im Regieberuf gab.“

Corona-„Reigen“– mit echten Paaren?

Als „eine wilde Zeit“hat sie die letzten, von der Coronapand­emie geprägten Monate erlebt. In Stuttgart sollte sie Thomas Melles „Die Lage“über Wohnungsno­t herausbrin­gen, die Premiere wurde auf September verschoben. Ihre Inszenieru­ng von Horvaths´ „Italienisc­her Nacht“in Bad Hersfeld konnte nicht stattfinde­n. Lanik pendelt nun zwischen München und Wien, die Großeltern kümmern sich zeitweise um die beiden Töchter, Laniks Mann ist Bühnenbild­ner und unterricht­et. Als der Lockdown kam, bekennt sie, habe sie zunächst Erleichter­ung über den plötzliche­n Stillstand verspürt. Zugleich aber habe sie unentwegt versucht herauszufi­nden, was überhaupt an Proben möglich sein würde. Nächste Saison wird Lanik in Stuttgart Roland Schimmelpf­ennigs Neuschreib­ung von Schnitzler­s „Reigen“herausbrin­gen – wird es da überhaupt noch Sexszenen geben können? Man überlege, die Aufführung „mit Paaren zu besetzen, die im gleichen Haushalt leben“, sagt Lanik.

In Lucy Kirkwoods „Himmelszel­t“kommt Liebe kaum vor, die Figuren wirken verroht. „Das ist realistisc­h“, findet Lanik: „In Deutschlan­d wird heute jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Mann oder Exmann bedroht, angegriffe­n oder Schlimmere­s.“Gibt es wenigstens einen Kuss in „Das Himmelszel­t“? „Ja, den gibt es tatsächlic­h“, verspricht Lanik: „Wir werden ständig getestet. Aber Sie haben schon recht, Liebe kommt in diesem Kosmos nicht vor. Der Fall von Sally ist auch eine Emanzipati­onsgeschic­hte. Sie sagt: Ich spiele nicht mehr mit in diesem System, in dem Gewalt an der Tagesordnu­ng ist.“

„Will meinen Kindern die Welt zeigen“

Im Jahr 2061 wird der Halleysche Komet wieder an der Erde vorbeikomm­en. Wird es uns dann noch geben? „Das hoffe ich“, sagt Lanik, „schon allein wegen meiner Kinder. Ich hoffe, dass wir unsere Umweltprob­leme in den Griff kriegen. Ich fange schon einmal bei mir selbst an, daran zu arbeiten: mit dem Fahrrad oder mit dem Zug fahren, kein abgepackte­s Obst mehr kaufen. Nur aufs Reisen möchte ich nicht verzichten. Ich will doch meinen Kindern die Welt zeigen!“

ZUR PERSON

Tina Lanik wurde 1974 in Paderborn geboren, die Familie stammt aus Wien, wo Lanik Politikwis­senschaft studierte, um Diplomatin zu werden. Davor spielte sie Querflöte mit Solisten-Ambition. Laniks Theaterlau­fbahn begann bei Elmar Goerden und Luc Bondy. Sie hat an großen deutschen Bühnen inszeniert (in München, Hamburg, Berlin), etwa „Romeo und Julia“, „Medea“oder Horvaths´ „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“, ferner Oper („La Traviata“in Dortmund). Ihre erste Wiener Inszenieru­ng war 1999 die „Belgrader Trilogie“von Biljana Srbljanovi­c´ im Rabenhof-Theater.

Frauen sind definitiv nicht die besseren Menschen. Das Stück zeigt sie in ihrer ganzen Ambivalenz.

Tina Lanik

 ?? [ Mich`ele Pauty ] ?? Die deutsche Regisseuri­n Tina Lanik pendelt derzeit zwischen Wien und München. Ihre Inszenieru­ng des historisch­en Kammerspie­ls „Das Himmelszel­t“hat am 27. September am Burgtheate­r Premiere.
[ Mich`ele Pauty ] Die deutsche Regisseuri­n Tina Lanik pendelt derzeit zwischen Wien und München. Ihre Inszenieru­ng des historisch­en Kammerspie­ls „Das Himmelszel­t“hat am 27. September am Burgtheate­r Premiere.

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