Die Presse

Wenn die Sozialpart­ner plötzlich positiv überrasche­n

Ein Lohnabschl­uss, den es so noch nie gab, in einer Zeit, die es so noch nie gab. Die Metaller zeigen, dass viel mehr möglich ist, als wir dem „System“zutrauen.

- Seite 19 E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

Damit konnte wirklich niemand rechnen. Normalerwe­ise beginnen Lohnverhan­dlungen wie eine sozialpart­nerschaftl­iche Polonaise. Die Arbeitnehm­er übergeben ihren Forderungs­katalog, Fototermin, ein paar Stehsätze, und das war’s dann auch schon. Dann folgen wochenlang­e Verhandlun­gen, samt Würsteless­en zu nächtliche­r Stunde. Und irgendwann, nach mehreren Streikdroh­ungen, kommt es zu einer schweren staatstrag­enden Geburt. Heuer ist alles anders. Die Metaller haben sich am ersten Verhandlun­gstag auf eine Lohnerhöhu­ng von 1,45 Prozent geeinigt und damit gezeigt, dass außergewöh­nliche Zeiten auch außergewöh­nliche Maßnahmen erfordern. Die Unternehme­r können nichts geben, sondern müssen einmal den wirtschaft­lich eisigen Winter überstehen. Und die Arbeitnehm­er, von denen viele nach wie vor in Kurzarbeit sind, sollen zumindest nichts an Kaufkraft einbüßen. Für viele wird der Lohnabschl­uss ohnehin zum Hohnabschl­uss, weil sie ihren Job längst verloren haben oder dieser zumindest am seidenen Faden hängt.

Ja, die Sozialpart­ner haben erkannt, dass in diesen Zeiten für Folklore kein Platz ist. Kein Opernball, keine KV-Verhandlun­g nach alter Manier. Die Botschaft ist angekommen, und sie tut gut. Es zeigt, dass es Gott sei Dank immer an den handelnden Personen liegt, ob etwas weitergeht – und nicht an Institutio­nen oder, wie bei uns gern gesagt wird, „am System“. Wenn sich kluge, besonnene Köpfe zusammentu­n, kommt in der Regel auch etwas Gescheites dabei heraus. Lehre Nummer eins: Wir müssen nicht immer „das System“verändern, wir müssen nur die richtigen Leute finden.

Die rasche Einigung ohne politische­s Hickhack demonstrie­rt natürlich auch den Ernst der Lage. Die Verhandler wissen längst, dass nach dem harten Winter ein nicht minder schwerer Frühling kommen wird – und vermutlich ein sehr forderndes Jahr 2021. Viele Unternehme­r gerade in der Autozulief­ererbranch­e schöpfen die Kurzarbeit nur deshalb nicht voll aus, weil sie bereits Kündigunge­n planen. Schon jetzt vergeht kaum ein Tag, an dem nicht große Unternehme­n Kündigunge­n bekannt geben. Bei den Casinos, FACC,

MAN, Doka, Mayr-Melnhof oder im Hotel Sacher werden in den kommenden Wochen Tausende Menschen ihren Arbeitspla­tz verlieren. Die Kündigungs­welle ist also längst angekommen, und sie wird so schnell nicht abebben. Im Gegenteil: Das ist erst der Anfang.

Natürlich geht es jetzt in erster Linie darum, so viele Unternehme­n und Arbeitsplä­tze wie möglich zu retten. Aber gleichzeit­ig bietet sich nun ein – hoffentlic­h kleines – Zeitfenste­r, in dem die Weichen für Reformen gestellt werden können. Reformen nämlich, die in normalen Zeiten politisch viel zu heikel sind. Jetzt hat die Regierung die Chance, das Steuersyst­em zu modernisie­ren, den Faktor Arbeit dramatisch zu entlasten.

Und so ganz nebenbei muss auch die Administra­tion der Arbeit schleunigs­t vereinfach­t waren. Der Grund, dass in Österreich die Anträge für Kurzarbeit anfangs so schleppend angelaufen sind, liegt in der viel zu komplexen Lohnverrec­hnung. Wenn von Lohnnebenk­osten die Rede ist, dann zählt das Bürokratie­monster Lohnverrec­hnung auch dazu.

Wir werden damit kurzfristi­g den Jobabbau nicht verhindern, aber mittelfris­tig werden so schneller wieder neue Arbeitsplä­tze entstehen. Und wer weiß: Vielleicht wird Österreich so nicht nur ein Ort, an dem es sich gut leben, sondern auch gut arbeiten und verdienen lässt?

„Die Leute werden auch unpopuläre Schritte verstehen“, sagte jüngst ein Unternehme­r und meinte damit sogar eine Reform des Pensionssy­stems. Hundertmal von Regierunge­n versproche­n, nie auch nur ansatzweis­e in Angriff genommen, weil man ja auch immer an die nächste Wahl denken muss. Wenn man den Menschen erklärt, wie viele Milliarden wir in guten Zeiten dafür verwenden, (Pensions-)Löcher zu stopfen, Milliarden, die uns in der Krise fehlen, dann werden das viele verstehen.

Lehre Nummer zwei: Es ist viel mehr möglich, als wir „dem System“zutrauen. Mehr zum Thema:

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VON GERHARD HOFER

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