Wenn die Sozialpartner plötzlich positiv überraschen
Ein Lohnabschluss, den es so noch nie gab, in einer Zeit, die es so noch nie gab. Die Metaller zeigen, dass viel mehr möglich ist, als wir dem „System“zutrauen.
Damit konnte wirklich niemand rechnen. Normalerweise beginnen Lohnverhandlungen wie eine sozialpartnerschaftliche Polonaise. Die Arbeitnehmer übergeben ihren Forderungskatalog, Fototermin, ein paar Stehsätze, und das war’s dann auch schon. Dann folgen wochenlange Verhandlungen, samt Würstelessen zu nächtlicher Stunde. Und irgendwann, nach mehreren Streikdrohungen, kommt es zu einer schweren staatstragenden Geburt. Heuer ist alles anders. Die Metaller haben sich am ersten Verhandlungstag auf eine Lohnerhöhung von 1,45 Prozent geeinigt und damit gezeigt, dass außergewöhnliche Zeiten auch außergewöhnliche Maßnahmen erfordern. Die Unternehmer können nichts geben, sondern müssen einmal den wirtschaftlich eisigen Winter überstehen. Und die Arbeitnehmer, von denen viele nach wie vor in Kurzarbeit sind, sollen zumindest nichts an Kaufkraft einbüßen. Für viele wird der Lohnabschluss ohnehin zum Hohnabschluss, weil sie ihren Job längst verloren haben oder dieser zumindest am seidenen Faden hängt.
Ja, die Sozialpartner haben erkannt, dass in diesen Zeiten für Folklore kein Platz ist. Kein Opernball, keine KV-Verhandlung nach alter Manier. Die Botschaft ist angekommen, und sie tut gut. Es zeigt, dass es Gott sei Dank immer an den handelnden Personen liegt, ob etwas weitergeht – und nicht an Institutionen oder, wie bei uns gern gesagt wird, „am System“. Wenn sich kluge, besonnene Köpfe zusammentun, kommt in der Regel auch etwas Gescheites dabei heraus. Lehre Nummer eins: Wir müssen nicht immer „das System“verändern, wir müssen nur die richtigen Leute finden.
Die rasche Einigung ohne politisches Hickhack demonstriert natürlich auch den Ernst der Lage. Die Verhandler wissen längst, dass nach dem harten Winter ein nicht minder schwerer Frühling kommen wird – und vermutlich ein sehr forderndes Jahr 2021. Viele Unternehmer gerade in der Autozuliefererbranche schöpfen die Kurzarbeit nur deshalb nicht voll aus, weil sie bereits Kündigungen planen. Schon jetzt vergeht kaum ein Tag, an dem nicht große Unternehmen Kündigungen bekannt geben. Bei den Casinos, FACC,
MAN, Doka, Mayr-Melnhof oder im Hotel Sacher werden in den kommenden Wochen Tausende Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Die Kündigungswelle ist also längst angekommen, und sie wird so schnell nicht abebben. Im Gegenteil: Das ist erst der Anfang.
Natürlich geht es jetzt in erster Linie darum, so viele Unternehmen und Arbeitsplätze wie möglich zu retten. Aber gleichzeitig bietet sich nun ein – hoffentlich kleines – Zeitfenster, in dem die Weichen für Reformen gestellt werden können. Reformen nämlich, die in normalen Zeiten politisch viel zu heikel sind. Jetzt hat die Regierung die Chance, das Steuersystem zu modernisieren, den Faktor Arbeit dramatisch zu entlasten.
Und so ganz nebenbei muss auch die Administration der Arbeit schleunigst vereinfacht waren. Der Grund, dass in Österreich die Anträge für Kurzarbeit anfangs so schleppend angelaufen sind, liegt in der viel zu komplexen Lohnverrechnung. Wenn von Lohnnebenkosten die Rede ist, dann zählt das Bürokratiemonster Lohnverrechnung auch dazu.
Wir werden damit kurzfristig den Jobabbau nicht verhindern, aber mittelfristig werden so schneller wieder neue Arbeitsplätze entstehen. Und wer weiß: Vielleicht wird Österreich so nicht nur ein Ort, an dem es sich gut leben, sondern auch gut arbeiten und verdienen lässt?
„Die Leute werden auch unpopuläre Schritte verstehen“, sagte jüngst ein Unternehmer und meinte damit sogar eine Reform des Pensionssystems. Hundertmal von Regierungen versprochen, nie auch nur ansatzweise in Angriff genommen, weil man ja auch immer an die nächste Wahl denken muss. Wenn man den Menschen erklärt, wie viele Milliarden wir in guten Zeiten dafür verwenden, (Pensions-)Löcher zu stopfen, Milliarden, die uns in der Krise fehlen, dann werden das viele verstehen.
Lehre Nummer zwei: Es ist viel mehr möglich, als wir „dem System“zutrauen. Mehr zum Thema: