Wie China Hongkongs Demokratie-Aktivisten einschüchtern will
Analyse. Joshua Wong, Hongkongs Galionsfigur der Freiheit, wurde kurz verhaftet, um eine Drohbotschaft auszusenden.
Peking/Hongkong. Als Joshua Wong sich am Donnerstagmittag auf dem Weg zur Polizeistation im Hongkonger Stadtteil Central macht, ist es zunächst nur ein Routinebesuch: Der Demokratie-Aktivist hatte schließlich Auflagen einer früheren Bewährungsstrafe zu erfüllen. Wenig später ließ der 23-Jährige jedoch über seinen Anwalt verkünden, wegen der Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration im vorigen Oktober festgenommen worden zu sein. Kurz nachdem jedoch die Eilmeldungen um die Welt gingen, ließ die Polizei ihn gegen Kaution schon wieder laufen.
Für Wong selbst sei dies allerdings kein Grund zum Feiern, wie er auf Twitter schreibt: In einer Woche werde sein Fall vor Gericht verhandelt, ihm drohen möglicherweise bis zu sechs Jahre Haft. „Die heutige Verhaftung ist ein Missbrauch des Strafrechtssystems“, postet Wong: „Ich werde jedoch nicht aufgeben.“
Die Sicherheitsbehörden werfen dem Aktivisten zwei Vergehen vor – zum einen die Teilnahme an einer von der Regierung nicht genehmigten Demonstration im Vorjahr. Zum anderen soll Wong dabei gegen das Vermummungsverbot verstoßen haben. Letzteres ist vor allem deshalb absurd, weil jenes Verbot bereits wenig später als verfassungswidrig umgestoßen wurde.
Von der internationalen Gemeinschaft erntete das Vorgehen des Hongkonger Machtapparats harsche Kritik. Lam Cho Ming von Amnesty International sprach von einem „eskalierenden Vorgehen der Behörden gegen kritische Stimmen, was sich erschreckend auf die Freiheit der friedlichen Versammlung in Hongkong auswirkt“. Der deutsche CDU-Außenpolitikexperte Norbert Röttgen wählte via Twitter ebenfalls deutliche Worte: „Die Festnahme von Joshua Wong zeigt, dass der chinesischen Führung zunehmend egal ist, was der Rest der Welt von China denkt. Es geht um Abschreckung gegenüber der Bevölkerung.“
Machtdemonstration Pekings
Jene Warnbotschaft wird auch von den scheinbar willkürlichen Anklagepunkten untermauert. Die Versammlung vom 5. Oktober letzten Jahres war schließlich nur eine von vielen. Dabei hätte es von Pekings Standpunkt aus kaum einer weiteren Machtdemonstration bedurft: Die Protestbewegung, die seit dem Frühjahr 2019 auf Hongkongs Straßen gegen den zunehmenden Einfluss Festlandchinas zog, liegt im Grunde seit Einführung des sogenannten Sicherheitsgesetzes Anfang Juli brach. Das Dekret, das die Kommunistische Partei im Schnellverfahren den Hongkongern aufgezwungen hat, stellt weitreichende Formen der politischen Opposition unter Gefängnisstrafe. Auch können künftig Pekings Sicherheitskräfte auf Hongkonger Boden Verhaftungen durchführen, die Betroffenen aufs Festland deportieren und von den dortigen Gerichten verurteilen lassen.
Seither hat sich das politische Klima in der Finanzmetropole grundsätzlich gewandelt. Der regierungskritische Zeitungsverleger Jimmy Lai wurde beispielsweise öffentlichkeitswirksam in seinen Redaktionsräumen von Dutzenden Polizisten abgeführt. Und als zuletzt zwölf Aktivisten per Boot ins demokratische Taiwan flüchten wollten, wurden sie von der Küstenwache in ein Gefängnis in Shenzhen transferiert – ohne Kontakt zu eigenen Anwälten.
Gesicht der Protestbewegung
Joshua Wongs Fall wird mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt, ist er doch das internationale Gesicht der Protestbewegung. Auch innerhalb der ehemaligen britischen Kolonie hat sein Wort nach wie vor politisches Gewicht. Für die Parlamentswahlen im September, die schließlich um ein Jahr verschoben wurden, wollte er sich als Kandidat aufstellen lassen, wurde jedoch disqualifiziert. Seine Partei Demosisto löste sich mit Inkrafttreten des Sicherheitsgesetzes auf.
Wie sehr Chinas Kommunisten Wong als rotes Tuch ansehen, machte ein Vorfall vom September 2019 deutlich: Bei einem Berlin-Aufenthalt traf der Aktivist während einer öffentlichen Veranstaltung auf den deutschen Außenminister, Heiko Maas, angeblich kam es ungeplant zur spontanen Konversation. Das Foto, das damals um die Welt ging, wertete die chinesische Staatsführung jedoch als derartige Provokation, dass die bilateralen Beziehungen auf Monate merklich abkühlten: Der Botschafter in Peking musste sich wiederholt rhetorische Zurechtweisungen von Beamten abholen.
Im Gegensatz zu vielen Weggefährten hörte Wong jedoch trotz der neuen Repressionen mit seinem Aktivismus nicht auf, sondern verschärfte im Gegenteil seinen Ton gegenüber Peking. Dass er früher oder später festgenommen werden würde, deutete sich bereits an. Auf seinem Twitter-Konto lud Wong regelmäßig Videomaterial hoch, in denen zu sehen ist, wie er auf dem Weg zu Interviewterminen und politischen Veranstaltungen von mutmaßlichen Sicherheitsbeamten verfolgt wird.
Immer wieder zeigte sich der Hongkonger kampfbereit, ja legte zuweilen auch eine Märtyrerhaltung an den Tag. Dass er bereit ist, für seine Überzeugungen in einem chinesischen Gefängnis zu landen, daran ließ der Demokratie-Aktivist keinen Zweifel. Mehr noch: Regelmäßig berichtete er davon, mit einer baldigen Festnahme zu rechnen.