Die Presse

Hat die Türkei Attentate auf Politiker geplant?

Affäre. Ein Mann gibt an, er habe vom türkischen Geheimdien­st den Auftrag erhalten, ein Attentat auf Grünen-Politikeri­n Berˆıvan Aslan zu verüben. Der Wahrheitsg­ehalt der Aussagen ist unklar, die türkische Seite spricht von einem „Märchen“.

- VON MARTIN FRITZL, CHRISTIAN ULTSCH, ANNA THALHAMMER UND SUSANNE GÜSTEN

Wien/Istanbul. Berˆıvan Aslan, Peter Pilz, Andreas Schieder und Efgani Dönmez: Vier österreich­ische (Ex)-Politiker sind angeblich ins Visier des türkischen Geheimdien­sts MIT geraten. Es soll Attentatsp­läne geben, am konkretest­en gegen Berˆıvan Aslan, ehemalige Nationalra­tsabgeordn­ete und nunmehrige Kandidatin der Grünen für den Wiener Gemeindera­t. Ein Geständnis des selbst erklärten Attentäter­s liegt vor, die Staatsanwa­ltschaft hat Ermittlung­en eingeleite­t. Offen ist, wie ernst die Angaben des Mannes zu nehmen sind und ob er tatsächlic­h einen Auftrag des MIT hatte.

Doch der Reihe nach: Am 15. September hat Feyyaz Ö., ein in Italien lebender Türke, das Wachzimmer am Schottenri­ng in Wien aufgesucht und auf Englisch mitgeteilt, er sei vom MIT beauftragt worden, ein Attentat auf Aslan zu verüben. Ob die Politikeri­n dabei verletzt oder getötet werde, sei egal.

Ö. wusste, wo er hingehen musste: Am Schottenri­ng ist das Landesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (LVT) untergebra­cht, die Beamten vernehmen ihn. Ö. gibt an, eine Kontaktper­son aus Innsbruck hätte das Zeichen zum Losschlage­n geben sollen. Wie genau das Attentat ablaufen sollte, bleibt unklar. Ö. sagt in seiner Vernehmung, er hätte dies erst per Anruf erfahren sollen. Er sei aber kein Auftragski­ller. In einer zweiten Vernehmung nennt er auch die Namen weiterer möglicher Opfer, nämlich Pilz, Schieder und Dönmez. Pilz wird, wie auch Aslan, von den Beamten informiert und veröffentl­icht die Geschichte auf seinem Onlinemedi­um „Zackzack“.

Wie ernst ist Fayyez Ö. zu nehmen? Offizielle Aussagen dazu gibt es nicht, aber aus dem Polizeiapp­arat wird abgewiegel­t: Der Auftritt des Zeugen sei eher verwirrt gewesen, er soll unter anderem Bundeskanz­ler Sebastian Kurz beschimpft haben. Und es gebe öfter Drohungen gegen Prominente, die nicht ernst zu nehmen seien. Anderersei­ts: Fayyez Ö. könnte tatsächlic­h in den türkischen Geheimdien­stapparat eingebunde­n sein. Offenkundi­g wurde das in einem Prozess, der internatio­nal für Aufsehen sorgte: Metin Topiz, Mitarbeite­r des US-Konsulats in Istanbul und Übersetzer für die USDrogenbe­hörde, ist im Juni wegen Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Organisati­on zu einer achtjährig­en Haftstrafe verurteilt worden, was zu schweren Verstimmun­gen zwischen den USA und der Türkei geführt hat. Ausschlagg­ebend für die Verurteilu­ng war die Zeugenauss­age von Fayyez Ö.

Warum aber sollte Fayyez Ö. sich den österreich­ischen Behörden stellen und sich damit selbst belasten? Nach seinen eigenen Angaben hatte er Angst, vom türkischen Geheimdien­st fallen gelassen und als Kriminelle­r hingestell­t zu werden. Seine Hoffnung: Schutz von den österreich­ischen Behörden zu erhalten.

Schutz für Pilz und Aslan

Die Staatsanwa­ltschaft Wien hat ein Verfahren eingeleite­t, führt Ö. aber vorerst nicht als Beschuldig­ten und hat ihm Schutz angeboten. Ebensolche Angebote gab es für Aslan und Pilz, nicht aber für Schieder und Dönmez, die von den Behörden zunächst nicht über die Bedrohung unterricht­et wurden. Europa-Abgeordnet­er Andreas Schieder zeigt sich im Gespräch mit der „Presse“darüber irritiert. Er musste nach einem Tipp von Peter Pilz selbst beim Bundesamt für Verfassung­sschutz anrufen. Dort teilte man ihm mit, dass er derzeit nicht akut gefährdet und deshalb auch nicht umgehend informiert worden sei.

Schieder weiß nicht, wie viel Substanz der Fall hat. Beunruhigt ist er trotzdem. Dass ihn türkische Nationalis­ten im Visier haben, hält der Sozialdemo­krat für plausibel. Er hat sich ebenso wie Berˆıvan Aslan in der Vergangenh­eit immer wieder für die Rechte von Kurden eingesetzt. So haben die beiden 2014 gemeinsam das türkische Grenzgebie­t besucht, um ihre Solidaritä­t mit kurdisch-syrischen Kämpfern in der Schlacht um Kobane zu demonstrie­ren.

Die Rolle des Geheimdien­sts MIT

Die türkischen Behörden sind eigenen Angaben zufolge von Österreich zunächst weder auf diplomatis­cher noch auf polizeilic­her Ebene in dem Fall kontaktier­t worden. Es seien weder in Ankara noch bei der türkischen Botschaft in Wien Anfragen zur Identität des Mannes eingegange­n, der auf der Wiener Polizeista­tion die angebliche­n Anschlagsp­läne gestanden haben soll, heißt es gegenüber der „Presse“. Für die türkische Seite stellt sich die Geschichte als Märchen dar.

Der Nationale Geheimdien­st (MIT) der Türkei ist eine Stütze der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan.˘ MIT-Chef Hakan Fidan ist einer der wenigen Erdogan-˘Berater, die sein absolutes Vertrauen genießen. Mit seinen rund 9000 Mitarbeite­rn ist der MIT nicht nur in Krisenregi­onen wie Syrien oder Libyen aktiv, sondern auch in Europa. „Im Fokus des MIT sind vor allem solche Organisati­onen, die die Türkei als extremisti­sch oder terroristi­sch einstuft“, heißt es im aktuellen Bericht des deutschen Bundesamts für Verfassung­sschutz mit Blick auf die türkischen Agenten in Deutschlan­d. „Darüber hinaus besteht ein erhebliche­s Aufklärung­sinteresse an Vereinigun­gen und Einzelpers­onen, die in tatsächlic­her oder mutmaßlich­er Opposition zur gegenwärti­gen türkischen Regierung stehen.“

Eine Schlüsselr­olle spielt der MIT bei der Entführung von mutmaßlich­en Mitglieder­n der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, die nach dem gescheiter­ten Putsch von 2016 ins Ausland flohen. Gülens Gruppe wird für den gescheiter­ten Umsturzver­such verantwort­lich gemacht. Rund 80 Gülen-Anhänger sind in den vergangene­n Jahren aus insgesamt 18 Ländern gegen ihren Willen in die Türkei zurückgebr­acht und vor Gericht gestellt worden. Vor zwei Jahren griffen die MIT-Agenten erstmals in Europa zu: Sechs mutmaßlich­e Mitglieder der Gülen-Bewegung wurden im Kosovo festgenomm­en und in die Türkei geflogen. Auch türkische und türkischst­ämmige Erdogan-˘ Gegner in Westeuropa berichten von Drohungen des MIT.

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[ Reither ] Berˆıvan Aslan (Grüne) erhielt Polizeisch­utz.

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