Hat die Türkei Attentate auf Politiker geplant?
Affäre. Ein Mann gibt an, er habe vom türkischen Geheimdienst den Auftrag erhalten, ein Attentat auf Grünen-Politikerin Berˆıvan Aslan zu verüben. Der Wahrheitsgehalt der Aussagen ist unklar, die türkische Seite spricht von einem „Märchen“.
Wien/Istanbul. Berˆıvan Aslan, Peter Pilz, Andreas Schieder und Efgani Dönmez: Vier österreichische (Ex)-Politiker sind angeblich ins Visier des türkischen Geheimdiensts MIT geraten. Es soll Attentatspläne geben, am konkretesten gegen Berˆıvan Aslan, ehemalige Nationalratsabgeordnete und nunmehrige Kandidatin der Grünen für den Wiener Gemeinderat. Ein Geständnis des selbst erklärten Attentäters liegt vor, die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen eingeleitet. Offen ist, wie ernst die Angaben des Mannes zu nehmen sind und ob er tatsächlich einen Auftrag des MIT hatte.
Doch der Reihe nach: Am 15. September hat Feyyaz Ö., ein in Italien lebender Türke, das Wachzimmer am Schottenring in Wien aufgesucht und auf Englisch mitgeteilt, er sei vom MIT beauftragt worden, ein Attentat auf Aslan zu verüben. Ob die Politikerin dabei verletzt oder getötet werde, sei egal.
Ö. wusste, wo er hingehen musste: Am Schottenring ist das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) untergebracht, die Beamten vernehmen ihn. Ö. gibt an, eine Kontaktperson aus Innsbruck hätte das Zeichen zum Losschlagen geben sollen. Wie genau das Attentat ablaufen sollte, bleibt unklar. Ö. sagt in seiner Vernehmung, er hätte dies erst per Anruf erfahren sollen. Er sei aber kein Auftragskiller. In einer zweiten Vernehmung nennt er auch die Namen weiterer möglicher Opfer, nämlich Pilz, Schieder und Dönmez. Pilz wird, wie auch Aslan, von den Beamten informiert und veröffentlicht die Geschichte auf seinem Onlinemedium „Zackzack“.
Wie ernst ist Fayyez Ö. zu nehmen? Offizielle Aussagen dazu gibt es nicht, aber aus dem Polizeiapparat wird abgewiegelt: Der Auftritt des Zeugen sei eher verwirrt gewesen, er soll unter anderem Bundeskanzler Sebastian Kurz beschimpft haben. Und es gebe öfter Drohungen gegen Prominente, die nicht ernst zu nehmen seien. Andererseits: Fayyez Ö. könnte tatsächlich in den türkischen Geheimdienstapparat eingebunden sein. Offenkundig wurde das in einem Prozess, der international für Aufsehen sorgte: Metin Topiz, Mitarbeiter des US-Konsulats in Istanbul und Übersetzer für die USDrogenbehörde, ist im Juni wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt worden, was zu schweren Verstimmungen zwischen den USA und der Türkei geführt hat. Ausschlaggebend für die Verurteilung war die Zeugenaussage von Fayyez Ö.
Warum aber sollte Fayyez Ö. sich den österreichischen Behörden stellen und sich damit selbst belasten? Nach seinen eigenen Angaben hatte er Angst, vom türkischen Geheimdienst fallen gelassen und als Krimineller hingestellt zu werden. Seine Hoffnung: Schutz von den österreichischen Behörden zu erhalten.
Schutz für Pilz und Aslan
Die Staatsanwaltschaft Wien hat ein Verfahren eingeleitet, führt Ö. aber vorerst nicht als Beschuldigten und hat ihm Schutz angeboten. Ebensolche Angebote gab es für Aslan und Pilz, nicht aber für Schieder und Dönmez, die von den Behörden zunächst nicht über die Bedrohung unterrichtet wurden. Europa-Abgeordneter Andreas Schieder zeigt sich im Gespräch mit der „Presse“darüber irritiert. Er musste nach einem Tipp von Peter Pilz selbst beim Bundesamt für Verfassungsschutz anrufen. Dort teilte man ihm mit, dass er derzeit nicht akut gefährdet und deshalb auch nicht umgehend informiert worden sei.
Schieder weiß nicht, wie viel Substanz der Fall hat. Beunruhigt ist er trotzdem. Dass ihn türkische Nationalisten im Visier haben, hält der Sozialdemokrat für plausibel. Er hat sich ebenso wie Berˆıvan Aslan in der Vergangenheit immer wieder für die Rechte von Kurden eingesetzt. So haben die beiden 2014 gemeinsam das türkische Grenzgebiet besucht, um ihre Solidarität mit kurdisch-syrischen Kämpfern in der Schlacht um Kobane zu demonstrieren.
Die Rolle des Geheimdiensts MIT
Die türkischen Behörden sind eigenen Angaben zufolge von Österreich zunächst weder auf diplomatischer noch auf polizeilicher Ebene in dem Fall kontaktiert worden. Es seien weder in Ankara noch bei der türkischen Botschaft in Wien Anfragen zur Identität des Mannes eingegangen, der auf der Wiener Polizeistation die angeblichen Anschlagspläne gestanden haben soll, heißt es gegenüber der „Presse“. Für die türkische Seite stellt sich die Geschichte als Märchen dar.
Der Nationale Geheimdienst (MIT) der Türkei ist eine Stütze der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan.˘ MIT-Chef Hakan Fidan ist einer der wenigen Erdogan-˘Berater, die sein absolutes Vertrauen genießen. Mit seinen rund 9000 Mitarbeitern ist der MIT nicht nur in Krisenregionen wie Syrien oder Libyen aktiv, sondern auch in Europa. „Im Fokus des MIT sind vor allem solche Organisationen, die die Türkei als extremistisch oder terroristisch einstuft“, heißt es im aktuellen Bericht des deutschen Bundesamts für Verfassungsschutz mit Blick auf die türkischen Agenten in Deutschland. „Darüber hinaus besteht ein erhebliches Aufklärungsinteresse an Vereinigungen und Einzelpersonen, die in tatsächlicher oder mutmaßlicher Opposition zur gegenwärtigen türkischen Regierung stehen.“
Eine Schlüsselrolle spielt der MIT bei der Entführung von mutmaßlichen Mitgliedern der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, die nach dem gescheiterten Putsch von 2016 ins Ausland flohen. Gülens Gruppe wird für den gescheiterten Umsturzversuch verantwortlich gemacht. Rund 80 Gülen-Anhänger sind in den vergangenen Jahren aus insgesamt 18 Ländern gegen ihren Willen in die Türkei zurückgebracht und vor Gericht gestellt worden. Vor zwei Jahren griffen die MIT-Agenten erstmals in Europa zu: Sechs mutmaßliche Mitglieder der Gülen-Bewegung wurden im Kosovo festgenommen und in die Türkei geflogen. Auch türkische und türkischstämmige Erdogan-˘ Gegner in Westeuropa berichten von Drohungen des MIT.