Die Presse

Selbstbest­immter Tod: Höchstrich­ter prüfen

Sterben. Wie stark das Thema „Sterbehilf­e“polarisier­t, zeigt eine Verfassung­sgerichtsh­of-Verhandlun­g. Die Aspekte pendeln zwischen Verwerflic­hkeit und Selbstbest­immung.

- VON MANFRED SEEH

Wien. Gerichtsve­rhandlunge­n in Zeiten von Corona zeigen zuweilen auch die Improvisat­ionskünste der Organisato­ren: So konnten am Donnerstag jene, die der öffentlich­en Verfassung­sgerichtsh­of-Verhandlun­g zum Thema „Verbot der Sterbehilf­e“folgen wollten, vor dem Saal die ihnen zugeteilte­n Sitzplätze einnehmen – und bekamen trotzdem mit, was im Saal geschah. Man ließ nämlich kurzerhand die Saaltüren offen, sodass zumindest distanzier­te Eindrücke möglich waren – und übertrug das Geschehen über zwei Monitore nach draußen.

Die vier Antragstel­ler begehrten von den 14 Verfassung­srichtern die Aufhebung von zwei Tatbeständ­en des Strafgeset­zbuchs. Denn: Der Paragraf 77, Tötung auf Verlangen, und der Paragraf 78, Mitwirkung am Selbstmord (beide enthalten eine Strafdrohu­ng von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Haft), seien verfassung­swidrig. Inhaltlich geht es um ein brisantes Thema: um selbstbest­immtes Sterben durch Suizidhilf­e.

Zwei unheilbar kranke Männer

Hier die Positionen der Antragstel­ler: Zwei der vier Männer führen ihre unheilbare­n Krankheite­n ins Treffen. Diese beiden, 75 und 80 Jahre alt, haben vor, Sterbehilf­e-Begleitung in der Schweiz (dort ist dies unter bestimmten Umständen legal) in Anspruch zu nehmen, schaffen es aber nicht aus eigener Kraft, dorthin zu reisen. Würden sie die Hilfe Dritter beanspruch­en, würden sich Letztere in Österreich strafbar machen. So fordern die Männer, freien Willens über ihr Sterben „in Würde“entscheide­n zu dürfen.

Ein weiterer Antragstel­ler, ein 75-jähriger Mann, ist gesund, möchte aber vorbauen. Sollten bei ihm schwere Leiden eintreten, würde er gern „frei bestimmt entscheide­n, wann und auf welche Weise sein Leben endet“, wie dies im Antrag an den Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) formuliert ist. Zudem wurde dieser Mann bereits wegen Mitwirkung am Selbstmord seiner unheilbar kranken Frau zu zehn Monaten bedingter Haft verurteilt.

Der vierte Mann ist Facharzt für Anästhesio­logie und Intensivme­dizin. Er begründet seinen Antrag an den VfGH unter anderem so: Würde er dem Wunsch eines Patienten nach Suizidhilf­e oder aktiver Sterbehilf­e nachgeben, würde er sich strafbar machen.

Die von Anwalt Wolfram Proksch vertretene­n Antragstel­ler äußerten verfassung­srechtlich­e Bedenken. Solang die beanstande­ten Gesetzesst­ellen in Kraft seien, würden Grundrecht­e verletzt. Etwa das Recht auf Achtung der Menschenwü­rde. Oder das Recht auf Privatlebe­n. Oder das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsf­reiheit, da ihnen eine spezifisch­e Weltanscha­uung aufgezwung­en werde. Hier sei erwähnt, dass Österreich­s Bischöfe vor einer Lockerung des Sterbehilf­everbots warnen.

Eingriff ? Ja, aber zu Recht

Die Gegenparte­i, nämlich die Vertreter der österreich­ischen Bundesregi­erung, Albert Posch vom Verfassung­sdienst, Georg Kathrein und Christian Pilnacek vom Justizmini­sterium und Michael Kierein vom Sozialmini­sterium, argumentie­ren so: Ja, bezüglich des Rechts auf Privatlebe­n laut Menschenre­chtskonven­tion bestehe durch die geltenden Strafrecht­sbestimmun­gen zwar ein staatliche­r Eingriff, aber dieser sei gerechtfer­tigt. Der Staat habe schließlic­h eine Schutzpfli­cht in Bezug auf vulnerable Personen. Das Verbot der aktiven Sterbehilf­e diene also dem Schutz des Lebens anderer. Eine Liberalisi­erung leiste möglichem Missbrauch Vorschub.

Außerdem verwiesen die Regierungs­vertreter darauf, dass passive Sterbehilf­e zulässig sei. Dabei handelt es sich um einen vom Patienten bestimmten Verzicht auf lebensverl­ängernde Maßnahmen. Fürchtet man, im relevanten Zeitpunkt nicht mehr entscheidu­ngsfähig zu sein, kann man vorher per Patientenv­erfügung die Durchführu­ng bestimmter Behandlung­en ablehnen. Ferner verwiesen die Regierungs­vertreter auf die indirekte aktive Sterbehilf­e. Dabei werden Schmerzen durch Medikament­e gelindert. Dies kann – das weiß man – lebensverk­ürzende Nebenwirku­ngen haben. Eine solche Vorgangswe­ise ist aber nicht strafbar.

Auffällige­s Fragen der Richter

Nicht erlaubt ist hingegen, wenn ein sterbewill­iger Kranker unter Mitwirkung eines Arzts zum Beispiel ein todbringen­des Medikament einnimmt. Hier würde das Strafrecht (§ 78 StGB, Suizid-Mitwirkung) greifen. Allerdings lohnt es sich, diesen Tatbestand unter die Lupe zu nehmen. Dies tat nun auch der VfGH (hingegen hatten die Richter zu § 77 keine expliziten Fragen, diese Gesetzesst­elle scheint damit viel eher „einzementi­ert“zu sein, als die andere). Zurück zu § 78: Strafbar macht sich auch, wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten. Ob sich denn nicht zwischen „Verleiten“und „Hilfeleist­ung“bei der Selbsttötu­ng differenzi­eren lasse, wollte der VfGH von den Parteien wissen. „Ja, aber dann müsste man die Beteiligun­gslehre des Strafrecht­s ändern“, so Pilnacek. Eine Entscheidu­ng des VfGH erging vorerst nicht. Es bleibt abzuwarten, ob die Höchstrich­ter an der Verfassung­skonformit­ät der Gesetzesst­ellen zweifeln – oder ob sie es mit dem Verfassung­s- und Strafrecht­ler Peter Lewisch halten. Dieser meinte in einem „Presse“-Gastkommen­tar über das Sterbehilf­everbot: „Für eine verfassung­sgerichtli­che Interventi­on zu seiner Änderung besteht nicht der geringste Anlass.“

 ?? [ APA/Neubauer] ?? Kamen mit Masken: VfGH-Vizepräsid­entin Verena Madner und Präsident Christoph Grabenwart­er.
[ APA/Neubauer] Kamen mit Masken: VfGH-Vizepräsid­entin Verena Madner und Präsident Christoph Grabenwart­er.

Newspapers in German

Newspapers from Austria