Die Presse

„Wir wären ein unbequemer Partner“

Interview. Neos-Spitzenkan­didat Christoph Wiederkehr über geringe Bekannthei­tswerte, eine mögliche Koalition mit der SPÖ und die Aufnahme von Flüchtling­skindern in Wien.

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Warum sind Sie so unbekannt, Herr Wiederkehr?

In der Politik kommt Bekannthei­t mit der Zeit, und ich habe keine Skandale, auf die ich verweisen kann. Herr Strache ist beispielsw­eise mit seinen Skandalen weltweit bekannt. Ich bin für den Kampf gegen Missstände bekannt.

Ihre Vorgängeri­n Beate MeinlReisi­nger war allerdings bekannt, obwohl sie dieselbe Ausgangsla­ge hatte. Sind Sie zu höflich oder zu leise?

Das stimmt so nicht. Wir haben uns das genau angesehen: Vor der damaligen Wahl hatte sie dieselben Bekannthei­tswerte wie ich. Damals haben viele geschriebe­n: Wie schafft es Beate Meinl-Reisinger, die im Schatten von Matthias Strolz steht? Ich habe viele Missstände im roten Wien aufgezeigt. Dafür will ich bekannt werden.

Wenn es so viele Missstände im SPÖ-geführten Wien gibt: Wieso wollen Sie ausgerechn­et Juniorpart­ner dieser SPÖ werden?

Weil Kontrolle so wichtig ist. Kontrolle kann man auch in einer Regierung leben. Also verhindern, dass ein zweites Spital Nord nicht mehr passiert. Während die Grünen nur wegschauen, würde ich genau hinschauen. Wir wären ein unbequemer Koalitions­partner. Unser Anspruch ist mitzugesta­lten.

Sind Sie ein Corona-Opfer, weil Sie ihre Themen, also Transparen­z, im Wahlkampf nicht durchbring­en?

Unsere Themen, die wir seit Jahren in den Mittelpunk­t stellen – bessere Schulen, Kindergärt­en und eine lebendige Wirtschaft – sind aktuell. Wir haben eine Arbeitslos­igkeit von mehr als 15 Prozent in der

Stadt. Und an den Wiener Schulen wurden 3000 Kinder während Corona nicht erreicht.

Sind die Neos die neuen Grünen? Nein, wir sind eine eigenständ­ige, liberale Partei in der Mitte. Wir sprechen Themen an, die wichtig sind für diese Stadt. Beispielsw­eise den S-Bahn-Ring um Wien, den ich vorgeschla­gen habe.

Ein früheres grünes Thema war der Einsatz für Flüchtling­skinder. Die Neos haben sich hier klar positionie­rt. Ist die Flüchtling­shilfe ein neues Kernthema? Menschenre­chte sind ur-liberale Themen. Die Frage, wie es Kindern mitten in Europa geht, die auf griechisch­en Inseln im Dreck schlafen müssen und zu wenig zum essen haben – dass man dort ganz genau hinsieht, ist eine Frage der Menschlich­keit. Und auch eine Frage der europäisch­en Solidaritä­t. Hier bin ich von der ÖVP sehr enttäuscht. Sie macht das gleiche wie die Freiheitli­chen: rechte Politik ohne Anstand. Deshalb habe ich mich dafür eingesetzt, dass Wien 100 geflüchtet­e Kinder aufnimmt.

Warum plakatiere­n die Neos im Gemeindera­tswahlkamp­f ausgerechn­et Nationalra­tsabgeordn­ete die nicht kandidiere­n, zum Teil nicht einmal in Wien leben?

Ich kenne niemanden, der sich so für die Gastronomi­e einsetzt wie Sepp Schellhorn – er ist ja selbst betroffen. Die Hotels und Gastronome­n werden im Stich gelassen. Wir wollen zeigen, wir haben ein starkes Team. Wenn z. B. die Luftsteuer abgeschaff­t würde, hätte das enorme Auswirkung­en auf die Betriebe. Schellhorn zeigt auch, dass Finanzmini­ster Gernot Blümel versagt hat. Die versproche­ne Hilfe ist nicht ansatzweis­e angekommen.

Wenn die Neos in die Stadtregie­rung kommen: Welches Ressort wäre Ihnen am liebsten?

Chancenger­echtigkeit und gute Schulen sind Neos besonders wichtig. Aber vor der Frage der Ressorts geht es um die Verbesseru­ng von Schulen und Kindergärt­en. Schaffen wir es, ob es dort endlich kleinere Gruppen gibt? Schaffen wir es, dass Eltern ihr Kind in die nächste Schule schicken können, ohne ein schlechtes Gefühl ob das eine gute Schule ist oder nicht.

Sie haben bisher noch nicht über den Klimawande­l gesprochen. Warum?

Sie haben mich bisher nicht gefragt, aber ich freue mich über die Frage, weil es Wien als Großstadt sehr stark betrifft. Wir brauchen hier eine nachhaltig­e Politik, die über den Wahltag hinaus denkt. Die Grünen setzen sich zwar ein, derzeit aber nur mit Pop-Up-Aktionen wie Pop-Up-Radweg und PopUp-Pool. Ich möchte aber bleibende Lösungen haben. Ich will mehr und sichere Radwege in Wien. Wir brauchen mehr Solarenerg­ie. Wir können im Bereich des Klimaschut­zes viel mehr machen, als es derzeit der Fall ist.

 ?? [ Manuel Reinartz ] ?? Neos-Wien-Spitzenkan­didat Christoph Wiederkehr stellte sich Fragen von „Presse“-Chefredakt­eur Rainer Nowak (v. li.).
[ Manuel Reinartz ] Neos-Wien-Spitzenkan­didat Christoph Wiederkehr stellte sich Fragen von „Presse“-Chefredakt­eur Rainer Nowak (v. li.).

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