Die Vorboten einer Wachablöse
French Open. Bedeutet ausgerechnet die Corona-Saison den Anfang vom Ende der Herrschaft Rafael Nadals in Paris? Was tatsächlich gegen – und doch für – den Rekordmann spricht.
Paris/Wien. Allzu viel Tennis wurde 2020 noch nicht gespielt, eines aber fiel auf: Rafael Nadal zog heuer sowohl gegen Dominic Thiem als auch gegen Novak Djokovic´ – und damit gegen seine beiden großen Herausforderer bei den French Open – den Kürzeren. Bevor ab Sonntag in Paris aufgeschlagen wird, häufen sich die Indizien, dass das Ende der bisher unumschränkten Regentschaft des 34-jährigen Spaniers (zwölf Titel) zu Ende gehen könnte: Nadal hat bei seinem bisher einzigen Sandplatzturnier der Saison in Rom nur zwei Runden überstanden (Viertelfinal-Aus gegen Diego Schwartzman). Zwar ist die Tennissaison 2020 nicht mit anderen vergleichbar, dennoch reist Nadal heuer erstmals ohne Sandplatztitel im Rücken nach Paris.
Hinzu kommt: Nadal braucht Matchpraxis, um seine beste Leistung abzurufen. Während des Corona-Lockdowns hat er zwei Monate lang keinen Schläger berührt.
In Paris ist heuer alles anders. Nur wenige Zuschauer werden in den Arenen sein (zugelassen sind 5000 pro Tag), wegen der Verschiebung um vier Monate wird kälteres und feuchteres Herbstwetter Nadals Topspinschläge entschärfen – wie zuletzt in Rom gegen Schwartzman. Außerdem kommen statt der auf Nadals Spiel zugeschnittenen Babolat-Bälle heuer erstmals langsamere Wilson-Bälle zum Einsatz. Thiem und Djokovic´ präsentieren sich im Gegensatz zum Spanier in Topform. Der Österreicher ist nach seinem US-Open-Triumph ausgeruht am Mittwoch in Paris angekommen und weiß nach drei Finalniederlagen bei MajorTurnieren (zwei davon in Paris gegen Nadal) nun, wie man ein Major-Endspiel gewinnt. An Nadal hat er sich in den vergangenen Jahren in Paris herangearbeitet: Erst standen sieben gewonnene Games (2017), dann neun (2018), zuletzt der erste Satzgewinn (2019).
Djokovic’´ aktuelle Siegesserie ist vergleichbar mit 2011 und 2015. So er sich nicht selbst aus dem Spiel nimmt wie bei den US Open (Disqualifikation), war er 2020 unantastbar (31:1 Siege, fünf Titel). Er ist zudem einer von nur zwei Spielern, die Nadal in Paris besiegt haben, auch wenn der Spanier damals (Viertelfinale 2015) im Formtief steckte. Djokovic’´ Bilanz gegen Top-Ten-Spieler heuer: 7:0.
Nadals Trumpfkarten
Doch selbst für Djokovic´ bleibt Nadal der French-Open-Favorit. „Mit Blick auf die Geschichte, auf seine Bilanz und seine Ergebnisse kann man einfach niemanden vor ihm nennen“, meinte er in Rom. Vieles spricht nach wie vor für Nadal. Der Spanier hält bei einer 92:3-Matchbilanz in Roland Garros. Es reichte für Nadal auch zum Titel, wenn er nicht sein bestes Tennis gezeigt hat. Zuletzt hat er mehr denn je dominiert: In den vergangenen drei Jahren gab er nur drei Sätze ab.
Eine Partie wie gegen Schwartzman in Rom, als Nadal in zwei Sätzen 30 unerzwungene Fehler produzierte, ist die Ausnahme. Der Schnitt in seinen jüngsten drei Paris-Endspielen liegt bei gerade einmal sieben unerzwungenen Fehlern pro Satz. Nadal auf Sand in einem Best-of-five-Duell zu besiegen, ist zudem eine der größten Herausforderungen der Sportwelt. So besiegte Thiem den Spanier bereits vier Mal über zwei Gewinnsätze und blieb in Paris dennoch bisher chancenlos. Zusätzliche Motivation für Nadal: Ein 13. French-Open-Titel wäre zugleich sein 20. Major-Erfolg. Damit würde er mit Rekordmann Roger Federer gleichziehen und wäre der erfolgreichste Tennisspieler der Geschichte. Noch in Rom meinte Nadal: „Es ist ein sehr spezielles Jahr. Und ein unvorhersehbares Jahr.“