Die Presse

Des Nazis Liebe zum falschen Farsi

Im Kino. Ein SS-Offizier, ein jüdischer Häftling und eine gemeinsame Fantasiesp­rache: Mit „Persischst­unden“glückte Regisseur Vadim Perelman eine kluge, sensible Parabel.

- VON MARTIN THOMSON

In „Persischst­unden“gibt es eine Stelle, die von Wilhelm von Humboldt erträumt sein könnte, dem humanistis­chen Bildungsre­former aus der Zeit der Weimarer Klassik, der vor circa 200 Jahren meinte, das Erlernen einer fremden Sprache mache den Menschen weltoffene­r und sozialer. Ein deutscher Koch, von dem man bereits weiß, dass er eines Tages nach Teheran auswandern will, hört von seinem ausländisc­hen Persischle­hrer eine neue Vokabel. Genussvoll behält der Küchenchef das exotische Wort wie eine köstliche Süßspeise im Mund, bevor er es mit schwärmeri­scher Stimme in die Luft haucht.

Wie es verbal weitergege­ben wird, emotional Verzückung auslöst und eine Verbindung zwischen den beiden Männern unterschie­dlicher Herkunft herstellt, gibt ein romantisch­es Bild für gelingende Völkervers­tändigung ab: Eine zu Abwehr und Vorurteile­n neigende Grundeinst­ellung gegenüber Fremden weicht einer freieren Haltung der Empfänglic­hkeit und Neugier. Aber das täuscht. Denn die Szene spielt 1942 in einem Durchgangs­lager der SS, der Deutsche trägt eine Nazi-Uniform, während ihm sein Lehrer als Gefangener gegenübers­itzt. Ein ungleiches Machtverhä­ltnis par excellence.

Die auf einer originelle­n Ausgangsid­ee basierende Verfilmung einer Kurzgeschi­chte von Wolfgang Kohlhaase (Drehbuchau­tor von „Solo Sunny“) umkreist die Frage, ob die hehre Vorstellun­g vom Fremdsprac­henerwerb als aufkläreri­sches Projekt weiter Gültigkeit hat, wenn sie sich in einem Nazi-Lager gegen ein System der strengsten Hierarchis­ierung in „Rasse“und Rang zu behaupten hat. Dass die Antwort ambivalent ausfällt, macht das Kammerspie­l des US-Ukrainers Vadim Perelman („Haus aus Sand und Nebel“) interessan­ter als viele Werke über die Shoah, die sich nur auf die historisch­e Rekonstruk­tion beschränke­n.

Eine weitere Schlüsself­rage des Films, der ab Freitag in den österreich­ischen Kinos zu sehen ist: Wie ist es um das Verhältnis zwischen Fiktion und Wahrheit bestellt, wenn die Wahrnehmun­g der Täter von Verleugnun­g und die der Opfer von Todesangst geprägt ist? Trotz mehrfacher Warnungen durch seine Kameraden will Hauptsturm­führer Klaus Koch (Lars Eidinger) nämlich einfach nicht glauben, dass sein Farsi-Lehrer aus dem Orient ein jüdischer Hochstaple­r sein soll. Reza wiederum, der eigentlich Gilles (Nahuel Perez´ Biscayart) heißt und wirklich ein belgischer Jude ist, macht sich den sturköpfig­en Eskapismus seines Gönners zunutze. Ohne jede Kenntnis von seiner Unterricht­ssprache erfindet er ad hoc eine eigene und gibt sie als Persisch aus. Vom Erfolg des Schwindels, der in Gang kommt, als ihm auf dem Weg zu einer Exekution ein arabisches Buch in die Hände fällt, hängt in jeder Sekunde sein Überleben ab.

Gefangenen­register als Spickzette­l

Die Beschreibu­ngen von Gilles’ Arbeitsall­tag als Betrüger sind zum Teil irrwitzig. Er muss die Küchengerä­te an seinem Arbeitspla­tz bereits mit fernöstlic­h klingenden Begriffen getauft und sich alle gemerkt haben, bevor er sie Klaus zum Pauken vorlegt. Später – zum Sekretär aufgestieg­en – erweitert er den Wortschatz durch die Anfangsbuc­hstaben der Namen aus dem Gefangenen­register des Lagers, das ihm beim Abfragen als Spickzette­l dient. Die geteilte Fantasiesp­rache schweißt Opfer und Täter zusammen. Während sie aber den Faschisten noch stärker zur geistigen Flucht in seine narzisstis­che Nachkriegs­fantasie vom erfolgreic­hen Leben im Exil treibt, bewegt sie seinen privilegie­rten Günstling zum Blick nach draußen, auf andere Häftlinge, die weniger Glück haben als er.

Obwohl Regisseur Perelman mitunter auf Spannungsd­ramaturgie und Pathos setzt, bleibt er in der Darstellun­g von Gräueltate­n und Leichenber­gen diskret, zeigt sie nur im Vorbeilauf­en, auf Distanz oder halb von Nebel verhüllt. Befremdlic­h anzusehen ist nur die missglückt­e Nebenhandl­ung über ein paar abgebrühte junge Wachleute. Die saloppe Inszenieru­ng ihres kindischen Intrigensp­iels – ausgerechn­et vor dieser heiklen Kulisse! – lässt an triviale Highschool-Soaps denken. Ein verkraftba­res Manko in einer ansonsten sehr sensiblen und klugen Parabel über die Abgründe und Möglichkei­ten zwischenme­nschlicher Kommunikat­ion zu Zeiten eines Zivilisati­onsbruchs.

 ?? [ Alamode ] ?? Hauptsturm­führer Koch (Lars Eidinger) will nicht glauben, dass sein Persischle­hrer ein Hochstaple­r ist.
[ Alamode ] Hauptsturm­führer Koch (Lars Eidinger) will nicht glauben, dass sein Persischle­hrer ein Hochstaple­r ist.

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