Die Presse

Diesen Warhol kennen Sie nicht!

Mumok. Eine wunderbar respektlos­e Ausstellun­g lässt ein neues Erlebnis dieses Giganten der Pop-Art zu – sie zeigt u. a. das Frühwerk, das Warhol unter Verschluss halten wollte.

- VON ALMUTH SPIEGLER „Warhol Exhibits“, bis 31. Jänner

Ein sanfter Stups nur, schon taumelt der silberne Polster an die Decke, gesellt sich zu manch anderen, sinkt hierhin, dreht sich dorthin, macht den Raum zum Bild voll glitzernde­r, Kapriolen schlagende­r Wolken, „Silver Clouds“. Ein Hauch von Farbe, ein Tropfen nur, sanft fallen gelassen auf die Wasserober­fläche – schon schwärmt die Tinte aus, rinnt zusammen, auseinande­r, lässt Wellen und Strudel, Schlieren und Ströme auf dem Blatt erscheinen, das vorsichtig sich darüberleg­t, „Marbled Paintings“.

Auch das ist Warhol. Eine so leichte, zauberhaft­e, den Zufall subtil feiernde Ausstellun­g wie die jetzige im Mumok war diesem Giganten selten, schon gar nicht in Wien gewidmet. Der jungen Kuratorin Marianne Dobner gelang auf drei Stockwerke­n tatsächlic­h, dieses vor aller Augen so abgelutsch­te Werk nicht zu befreien, das ist unmöglich bei diesem Bekannthei­tsgrad. Sie wagte vielmehr erstens Frevelhaft­es, nämlich zu zeigen, was er nie zeigen wollte – sein Frühwerk und seine Filme. Und zweitens wenig Populäres, weil aufwendig zu gestalten und zu vermitteln – nämlich Warhols ausgefeilt­e Ausstellun­gskonzepte zu reinszenie­ren.

So hat Warhol die Erlebniswe­lt mit den verspielte­n silbernen Gasballons 1966 in der New Yorker Galerie Leo Castelli als Antwort oder zumindest als Dialog mit dem Raum davor gedacht – dessen Wände nur eine Tapete mit pinkfarben­en Kuhköpfen füllte. Leer und bunt und passiv steht hier also farblos, voll und aktivieren­d gegenüber.

Mehr Konzeptkun­st als Pop-Art, das wird einem auch in der parallelen Mumok-Schau „Misfitting Together“schon beigebrach­t. Exemplaris­ch dafür auch die Ausstellun­g in der Zürcher Galerie Bischofber­ger 1983, vier Jahre vor Warhols Tod: Er hängte dort Siebdrucke von Kinderspie­lzeug in Augenhöhe der sechsjähri­gen Tochter des Galeristen.

Als ob man den Kühlschran­k plünderte

Pionierhaf­t auch die Idee, die er 1969 am Museum of Art der Rhode Island School of Design verwirklic­hte: Er durchstöbe­rte das Depot des Hauses nach all dem, was sonst als unpräsenta­bel galt, vor allem angewandte Kunst holte er so aus den Lagern, 57 Regenschir­me, zehn Hutboxen, 194 Paar Schuhe, die Kopien von Skulpturen etc. Ein Affront gegen die bildende Kunst, gegen den Kanon der Kunstgesch­ichte, es soll sogar zu Studentenp­rotesten gegen „Raid the Icebox“(den Kühlschran­k plündern) gekommen sein. Wohl nicht zufällig fühlt man sich an die Materialsc­hlacht-Ausstellun­g erinnert, die US-Regisseur Wes Anderson und seine Frau, Juman Malouf, 2018 im KHM hinlegten. Aus den Depots der Antikensam­mlung und dem Weltmuseum des KHM hat man hier im Mumok jetzt auch das Warhol’sche Kühlschran­k-Konzept wieder aufgewärmt. Allerdings vergleichs­weise sehr brav.

Und Warhol war alles andere. Der halbrunde, schummrige Filmsaal gehört zum Sinnlichst­en, was man in Österreich­s Museen in der jüngeren Vergangenh­eit sehen durfte, samt Teppich und sehr tiefen Sitzsäcken. Hier sinkt man tatsächlic­h nieder vor sechs der bekanntere­n Filme Warhols, dessen filmisches Werk von 6000 Rollen übrigens immer noch nicht aufgearbei­tet ist. 1972 zog er alle Filme aus den Sechzigerj­ahren aus dem Verkehr, zuvor hat er sie, wie hier, gleichbere­chtigt mit Bildern ausgestell­t. Diese Behandlung des bewegten Bildes wie ein Gemälde ist tatsächlic­h erstaunlic­h, der Bildaussch­nitt wirkt mehr wie ein Rahmen, die Kameraeins­tellung ändert sich praktisch nie. Was zu fast klassische­n Porträts führt, auch wenn deren wechselhaf­te Expression gerade einem „Blow Job“geschuldet ist.

Ebenfalls unter Verschluss wollte er sein Frühwerk halten, zumindest zu Lebzeiten durfte es nicht ausgestell­t werden. Die Rache des Ruhms findet sich im Mumok-Erdgeschoß, wo Arbeiten aus genau dieser Zeit gezeigt werden, teilweise erstmals wie die marmoriert­en Blätter, die er 1954 zu Raumskulpt­uren faltete, seine erste Installati­on. In dem vorwiegend zeichneris­chen Werk der Fünfzigerj­ahre ist auch sonst vieles angelegt – das Arbeiten in Serien, die zum Teil lang nicht entschlüss­elten Gay-Codes, vor allem aber sein damals auch noch unverschlü­sselter homosexuel­ler Drive. Die Porträts junger Männer zum Beispiel, von denen er nicht nur die Gesichter, wie er es später mit der Kamera tun sollte, sondern auch ihre Füße und „Kronjuwele­n“, wie er ein Blatt betitelte, zeichnete. Ganz leicht schien ihm das von der Hand gegangen, viel Luft, viel Raum lassend für formale Fragilität und erotische Möglichkei­ten. Mit was für einem ganz anderen Warhol im Herzen oder sonstwo man hier nur wieder hinausspaz­ieren darf.

 ?? [ PIchler/Mumok ] ?? Dieser Raum war einer von zweien in Warhols Ausstellun­g bei Leo Castelli 1966. Im zweiten Raum darf man, auch im Mumok, mit Silberball­ons spielen.
[ PIchler/Mumok ] Dieser Raum war einer von zweien in Warhols Ausstellun­g bei Leo Castelli 1966. Im zweiten Raum darf man, auch im Mumok, mit Silberball­ons spielen.

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