Diesen Warhol kennen Sie nicht!
Mumok. Eine wunderbar respektlose Ausstellung lässt ein neues Erlebnis dieses Giganten der Pop-Art zu – sie zeigt u. a. das Frühwerk, das Warhol unter Verschluss halten wollte.
Ein sanfter Stups nur, schon taumelt der silberne Polster an die Decke, gesellt sich zu manch anderen, sinkt hierhin, dreht sich dorthin, macht den Raum zum Bild voll glitzernder, Kapriolen schlagender Wolken, „Silver Clouds“. Ein Hauch von Farbe, ein Tropfen nur, sanft fallen gelassen auf die Wasseroberfläche – schon schwärmt die Tinte aus, rinnt zusammen, auseinander, lässt Wellen und Strudel, Schlieren und Ströme auf dem Blatt erscheinen, das vorsichtig sich darüberlegt, „Marbled Paintings“.
Auch das ist Warhol. Eine so leichte, zauberhafte, den Zufall subtil feiernde Ausstellung wie die jetzige im Mumok war diesem Giganten selten, schon gar nicht in Wien gewidmet. Der jungen Kuratorin Marianne Dobner gelang auf drei Stockwerken tatsächlich, dieses vor aller Augen so abgelutschte Werk nicht zu befreien, das ist unmöglich bei diesem Bekanntheitsgrad. Sie wagte vielmehr erstens Frevelhaftes, nämlich zu zeigen, was er nie zeigen wollte – sein Frühwerk und seine Filme. Und zweitens wenig Populäres, weil aufwendig zu gestalten und zu vermitteln – nämlich Warhols ausgefeilte Ausstellungskonzepte zu reinszenieren.
So hat Warhol die Erlebniswelt mit den verspielten silbernen Gasballons 1966 in der New Yorker Galerie Leo Castelli als Antwort oder zumindest als Dialog mit dem Raum davor gedacht – dessen Wände nur eine Tapete mit pinkfarbenen Kuhköpfen füllte. Leer und bunt und passiv steht hier also farblos, voll und aktivierend gegenüber.
Mehr Konzeptkunst als Pop-Art, das wird einem auch in der parallelen Mumok-Schau „Misfitting Together“schon beigebracht. Exemplarisch dafür auch die Ausstellung in der Zürcher Galerie Bischofberger 1983, vier Jahre vor Warhols Tod: Er hängte dort Siebdrucke von Kinderspielzeug in Augenhöhe der sechsjährigen Tochter des Galeristen.
Als ob man den Kühlschrank plünderte
Pionierhaft auch die Idee, die er 1969 am Museum of Art der Rhode Island School of Design verwirklichte: Er durchstöberte das Depot des Hauses nach all dem, was sonst als unpräsentabel galt, vor allem angewandte Kunst holte er so aus den Lagern, 57 Regenschirme, zehn Hutboxen, 194 Paar Schuhe, die Kopien von Skulpturen etc. Ein Affront gegen die bildende Kunst, gegen den Kanon der Kunstgeschichte, es soll sogar zu Studentenprotesten gegen „Raid the Icebox“(den Kühlschrank plündern) gekommen sein. Wohl nicht zufällig fühlt man sich an die Materialschlacht-Ausstellung erinnert, die US-Regisseur Wes Anderson und seine Frau, Juman Malouf, 2018 im KHM hinlegten. Aus den Depots der Antikensammlung und dem Weltmuseum des KHM hat man hier im Mumok jetzt auch das Warhol’sche Kühlschrank-Konzept wieder aufgewärmt. Allerdings vergleichsweise sehr brav.
Und Warhol war alles andere. Der halbrunde, schummrige Filmsaal gehört zum Sinnlichsten, was man in Österreichs Museen in der jüngeren Vergangenheit sehen durfte, samt Teppich und sehr tiefen Sitzsäcken. Hier sinkt man tatsächlich nieder vor sechs der bekannteren Filme Warhols, dessen filmisches Werk von 6000 Rollen übrigens immer noch nicht aufgearbeitet ist. 1972 zog er alle Filme aus den Sechzigerjahren aus dem Verkehr, zuvor hat er sie, wie hier, gleichberechtigt mit Bildern ausgestellt. Diese Behandlung des bewegten Bildes wie ein Gemälde ist tatsächlich erstaunlich, der Bildausschnitt wirkt mehr wie ein Rahmen, die Kameraeinstellung ändert sich praktisch nie. Was zu fast klassischen Porträts führt, auch wenn deren wechselhafte Expression gerade einem „Blow Job“geschuldet ist.
Ebenfalls unter Verschluss wollte er sein Frühwerk halten, zumindest zu Lebzeiten durfte es nicht ausgestellt werden. Die Rache des Ruhms findet sich im Mumok-Erdgeschoß, wo Arbeiten aus genau dieser Zeit gezeigt werden, teilweise erstmals wie die marmorierten Blätter, die er 1954 zu Raumskulpturen faltete, seine erste Installation. In dem vorwiegend zeichnerischen Werk der Fünfzigerjahre ist auch sonst vieles angelegt – das Arbeiten in Serien, die zum Teil lang nicht entschlüsselten Gay-Codes, vor allem aber sein damals auch noch unverschlüsselter homosexueller Drive. Die Porträts junger Männer zum Beispiel, von denen er nicht nur die Gesichter, wie er es später mit der Kamera tun sollte, sondern auch ihre Füße und „Kronjuwelen“, wie er ein Blatt betitelte, zeichnete. Ganz leicht schien ihm das von der Hand gegangen, viel Luft, viel Raum lassend für formale Fragilität und erotische Möglichkeiten. Mit was für einem ganz anderen Warhol im Herzen oder sonstwo man hier nur wieder hinausspazieren darf.