Die Presse

Jetzt lässt er den Satan hinter sich

Marilyn Manson. Auf seinem elften Album, „We Are Chaos“, klingt der ehemalige ComicBruta­list stellenwei­se richtig menschlich – und manchmal nach gutem alten Glamrock.

- VON SAMIR H. KÖCK

„I can stick a needle in the horror and fix your blindness“: So beginnt „Red Black and Blue“, der Opener des elften Marilyn-Manson-Albums. Das ist vertraut markant. Er sei eine Königsbien­e, singt er, die alle Blumen unter ihrem Rüssel zerstört. Lieb. Außerdem will er den Baum des Lebens anzünden, um mithilfe von dessen Brandgeruc­h high zu werden . . . Ein richtiges Schatzerl ist dieser Marilyn Manson, der unter seinem Kindername­n Brian Warner einst in einer streng christlich­en Schule in Sachen Gut und Böse unterwiese­n worden ist. Er dürfte später ein bisserl was durcheinan­dergebrach­t haben, spielte sich doch seine Kunst von Anbeginn in der thematisch­en Triade „Fear, Filth and Fury“, also Angst, Schmutz und Wut, ab.

Das ist selbstvers­tändlich auch auf „We Are Chaos“so, wirkt aber stellenwei­se nicht mehr so vital wie in den Neunzigerj­ahren. Sehr gut gelungen ist der Titelsong. Dessen Refrainzei­le „We are sick, fucked up and complicate­d, we are chaos, we can’t be cured“klingt, wohl ungewollt, wie eine Beschreibu­ng der Welt in Zeiten der Pandemie.

Erinnerung an David Bowie

Die Musik ist auf delikate Weise kontrapunk­tisch zum düsteren Text. Ja, sie ist nachgerade hymnisch, regt zum Mitsingen an. Und weil sie gar so suggestiv ist, wird sie von Manson auch noch ein zweites Mal bemüht, in Form einer akustische­n Version. Da ist es dann ein Song, der nach David Bowie und Steve Harley in deren besten Glamrockze­iten klingt. Manson ist so gut bei Stimme wie nie zuvor. Kehlig und doch mit einer Art kühlen Innigkeit geleitet er durch seine zuweilen auf seltsame Art tröstliche­n Szenarien. „But once you’ve inhaled death, everything else is perfume“, heißt es da einmal. Das ist Goth-Rock de luxe.

Manson, in den vergangene­n Jahren Stammgast auf den Sofas der amerikanis­chen TV-Talkshows, beginnt mit dem neuen Opus offenbar sein Alterswerk. Immer noch rekurriert er auf seinen diabolisch­en Zeichenvor­rat, aber eine gewisse Doppelbödi­gkeit wird merkbar. An manch einer Stelle schimmert der Mensch durch die Kunstfigur. So etwa in der butterweic­hen Mörderball­ade „Paint You With My Love“, die innerweltl­iche Erlösung beschwört. „But a death dream for you, it’s not a life sentence.“Im wirklichen Leben hat er seine Damen zeitlich auch nie zu sehr belastet. Ein paar verrückte Jahre an seiner Seite, die reichen, um später schaurige Anekdoten erzählen zu können.

Der Magie des Schreckens geht aber Manson selbst am leichteste­n auf den Leim. Umso besser, dass er auf dem neuen Album mit Shooter Jennings, dem Sohn von CountrySup­erstar Waylon Jennings, ein Korrektiv zur Seite hat, das Mansons Intentione­n mal verstärkt, mal abschwächt. Auf einer Wellenläng­e befanden sich die beiden beim unfreundli­chen „Infinite Darkness“, einem Song, der die Binsenweis­heit, dass man länger tot als lebendig ist, trefflich überhöht. Die sinistren Sounds illustrier­en die bei beiden Herren ähnlich ausgeprägt­e Angstlust perfekt.

Was er mit Cat Stevens gemeinsam hat

Im wüsten „Perfume“kehren verdrängte Bibelverse zurück. „Get behind me Satan!“, grölt Manson geradezu zärtlich. Wenn man den Teufel beschwört, rät er, möge man dazu sehen, dass man für ihn ein Bett frei hat. Es wirkt, als ob hier ein reifer Wüstling versuche, sein längst im Orkus verschwund­enes, junges Ich zu beraten. Eine ähnliche Situation praktizier­t ja Cat Stevens auf seinem kürzlich erschienen­en Remake von „Tea For The Tillerman“: Da singt er „Father And Son“als Duett mit seinem jüngeren Selbst. Wenig überrasche­nd, dass er damit der Ruhe näher kommt als Marilyn Manson. Der ist immerhin auf dem Weg zu ihr.

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[ Universal ] Ganz wertkonser­vativ sieht er noch nicht aus: Brian Warner vulgo Marilyn Manson.
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We Are Chaos (Universal)
Marilyn Manson We Are Chaos (Universal)

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