Die Presse

Über Ethik, Moral und Verantwort­ung

Gastkommen­tar. Die Tragödie von Moria zeigt, wie Emotionali­sierung und Moralisier­ung den Diskurs gefährden.

- VON BETTINA RAUSCH

Die Bilder aus dem brennenden Flüchtling­slager Moria lassen niemanden kalt. Hitzig sind die politische­n Diskussion­en, die darüber geführt werden. Nicht nur, weil das Thema emotional berührt, sondern weil es auch die große Frage nach der ethischen Grundlage politische­n Handelns stellt: Gesinnungs­ethik oder Verantwort­ungsethik.

Gesinnungs­ethik stellt die reine Absicht einer Handlung und das Eintreten für eigene Werte und Prinzipien ins Zentrum, die Folgen sind von untergeord­neter Bedeutung in der moralische­n Einordnung der Handlung. Verantwort­ungsethik hingegen richtet den Blick auf die zu erwartende­n Ergebnisse und Folgen einer Handlung, deren Verantwort­barkeit determinie­rt die Einordnung.

Der Soziologe Max Weber hat diese beiden Maximen als „voneinande­r grundversc­hieden, unaustragb­ar gegensätzl­ich“bezeichnet. Und trat dennoch dafür ein, eine Balance zwischen ihnen zu finden. Weber – und mit ihm viele andere – halten beide ethischen Standpunkt­e für grundsätzl­ich vertretbar und legitim.

Eine Partei wie die Volksparte­i, deren Wurzeln in der christlich-sozialen Tradition des Kontinents und in der Philosophi­e der europäisch­en Aufklärung liegen, neigt naturgemäß eher zu einer verantwort­ungsethisc­h begründete­n Politik. Diesen legitimen Standpunkt moralisier­end und polemisier­end zu verurteile­n, anstatt ihn ernsthaft zu reflektier­en, ist unredlich. Es fällt schwer, ein emotionale­s Thema wie die Tragödie von Moria sachlich zu diskutiere­n. Aber es lohnt sich. Manche, die in der Migrations­frage von einem verantwort­ungsethisc­hen Zugang getragen sind, lösen das aktuelle moralische Dilemma dadurch, im konkreten Einzelfall politische­s Handeln nach Gesinnungs­ethik zuzulassen. Eine Teilzeit-Verantwort­ungsethik sozusagen, die sich mit: „Wir können nicht alle nehmen, aber einige Kinder aus

Moria sollten wir nehmen“zusammenfa­ssen lässt. Wobei sich der Verdacht aufdrängt, dass manche – auch manche europäisch­en Regierungs­vertreter – eher einer moralisch bequemen Haltung frönen, als durch konkrete Handlung zu überzeugen. Es scheint jedenfalls Einigkeit zu herrschen, dass es um ein „Signal der Menschlich­keit“gehe, auch wenn sich dieses Signal nur selbst genügt. Gut für das eigene Gewissen ist es allemal.

Reden wir über alle Signale

Bewusst übersehen oder verschämt verschwieg­en wird aber, dass neben dem Signal der Menschlich­keit noch andere Signale gesetzt würden. Wird im konkreten Fall nicht das Signal gesendet, dass ein Kind aus Moria mehr wert ist als ein Kind in Traiskirch­en (schließlic­h nimmt Österreich laufend Kinder in regulären Asylverfah­ren auf ) oder ein Kind in einem anderen griechisch­en Flüchtling­slager oder ein Kind irgendwo, auf dem Weg nach Europa? Wird das Signal gesendet, dass Brandstift­ung in einem Flüchtling­slager die Chance erhöht, eine Eintrittsk­arte nach Europa zu bekommen? Wird das Signal gesendet, dass nur der moralisch-emotionale Druck erhöht werden muss, um das Geschäftsm­odell der Schlepper wieder aufleben zu lassen?

Auch diese Fragen sollte man stellen und diskutiere­n. Sie polemisch zu verurteile­n, missachtet den Wert unterschie­dlicher Wertepräfe­renzen. Oder, wie es Konrad Paul Liessmann schon im November 2015 gesagt hat: „Moral-Askese wäre keine schlechte Strategie für die Wiedergewi­nnung eines Journalism­us, der sich in erster Linie den Ideen der Aufklärung, Vernunft, Wahrhaftig­keit und den damit verbundene­n Vorstellun­gen eines öffentlich­en Diskurses verpflicht­et sieht.“Was Liessmann dem Journalism­us rät, wäre auch ein tauglicher Weg für eine verantwort­ungsvolle Politik.

Mag. Bettina Rausch (* 1979 in Scheibbs) ist seit 2018 Präsidenti­n der Politische­n Akademie der ÖVP.

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