Die Presse

Die wahre Krise ist die Angstkrise!

Gastbeitra­g. Das Covid-19-Virus ist ein Gesundheit­srisiko, aber kein Grund zur Panik. Verantwort­ungsvolle Politik sollte die Angst nehmen.

- VON CHRISTOPH LINDINGER

Nun ist er da, der Entwurf zur Novelle des Covid-19Maßnahme­ngesetzes. Er sieht vor, dass die Regierung die Österreich­er wirklich einsperren darf. Per Verordnung kann das Verlassen des privaten Wohnbereic­hs (und nicht nur wie bisher das Betreten öffentlich­er Räume) drastisch beschränkt werden. Das ist, wie Angela Merkel wiederholt gesagt hat, eine Zumutung für die Demokratie und für eine offene Gesellscha­ft. Man wundert sich.

Denn: Die Mehrheit der Österreich­er ist für eine offene Gesellscha­ft. Die Mehrheit der Österreich­er ist gegen eine autoritäre oder gar totalitäre Regierung. Wer also in Österreich gegen eine offene Gesellscha­ft und für autoritäre­s Regieren ist, der muss sich Mittel überlegen, mit denen er die Mehrheit bezwingen kann. Putin, Lukaschenk­o, Erdogan˘ und andere versuchen es bei sich zu Hause mit Gewalt. Das hat hierzuland­e schon länger keine Tradition. Wer dieses Mittel ernsthaft einzusetze­n versucht, würde recht bald auf ausrangier­ten Polizeipfe­rden in die Abendsonne reiten. Ein anderes Mittel ist Angst. Angst verengt den Entscheidu­ngsspielra­um. Wer vor einer hoch aufgericht­eten, zischenden Königskobr­a steht, wird bei seiner Entscheidu­ng, was als Nächstes zu tun ist, kaum an den Schutz der Artenvielf­alt denken. Wiewohl solche Gedanken durchaus Gewicht hätten.

Der Kanzler und Orban´

Sebastian Kurz ist in den vergangene­n Jahren zweimal aufgefalle­n. Einmal damit, dass er eine Partei als Regierungs­partner gewählt hat, deren Anführer eine Medienland­schaft wie bei Victor Orban´ gutheißt. Ein solcher Regierungs­partner passt zu ihm. Kurz schätzt Orban´ ja auch. Die Wertschätz­ung ist gegenseiti­g. Sonst wäre es kaum möglich, dass der erste Nationalra­tspräsiden­t, also der zweite Mann im Staat Österreich und ein

Parteifreu­nd des Kanzlers, vor Kurzem das Komturkreu­z mit dem Stern des Ungarische­n Verdiensto­rdens erhalten hat; u. a. wegen „seiner wirkungsvo­llen Aktivität für eine breitere Wahrnehmun­g der Positionen Ungarns in der Europapoli­tik in Österreich“. Von den Positionen Ungarns in der Europapoli­tik zu sprechen, ist ein Widerspruc­h in sich. Ungarn vertritt eine Anti-Europa-Politik, eine Politik gegen den Rechtsstaa­t und eine Politik der „autoritäre­n Demokratie“. Für eine Verbreitun­g dieser Positionen ist Österreich­s zweiter Mann im Staat ausgezeich­net worden. Wir gratuliere­n nicht.

Sebastian Kurz ist weiter mit der Prognose aufgefalle­n, dass bald „auch“bei uns jeder eine Person kennen werde, die an Corona gestorben ist. Damit hat er den Österreich­erinnen und Österreich­ern einen ordentlich­en Schreck eingejagt. Um zu zeigen, dass auch er sich sehr fürchtet, tritt er seit Monaten mit Maske und hinter Plexiglas auf; dies selbst dann, wenn

der Auftritt in einem hohen Raum mit viel Abstand zu den Journalist­en stattfinde­t und weniger als 15 Minuten dauert. Das geschieht vor den Kulissen. Hinter den Kulissen sieht man Orban’sche´ Medienmach­e. Der ORF meldete, dass in Indien schon vier Millionen Menschen mit Corona infiziert sind. Das ist halb Österreich. Wir fürchten uns also. Freilich, im Verhältnis zur indischen Bevölkerun­g von rund einer Milliarde ist es wieder nicht so arg. Eigentlich weniger arg als bei uns. Zum Zeitpunkt der Schlagzeil­e waren es bei uns zwar nur 3700 Infizierte. Aber das sind fast 0,5 Prozent der Bevölkerun­g, während die indischen Infizierte­n nur 0,4 Prozent der dortigen Bevölkerun­g ausmachen. Was zählt, ist indes die furchteinf­lößende Schlagzeil­e: Vier Millionen – fürchterli­ch. Der ORF hat immer und immer wieder die Militärtra­nsporter in Oberitalie­n gezeigt, die Coronaleic­hen abtranspor­tiert haben – fürchterli­ch. Aber wer hat die Bilder gemacht, wer hat veranlasst, dass sie immer und immer wieder gezeigt werden, und wer hat veranlasst, dass uns niemand Bilder von den 90 Prozent Corona-Infizierte­n zeigt, die entweder keine oder nur milde Symptome haben oder vollständi­g genesen sind? Diese Bilder mildern potenziell die Angst, damit den Gehorsam und damit die Grundlage für autoritäre­s Regieren.

Zu Beginn der Coronakris­e bestand die Angst, dass die anrollende „Welle“das Gesundheit­ssystem zusammenbr­echen lassen könnte. Von dieser Angst ist in der öffentlich­en Diskussion kaum mehr die Rede. Warum auch. Das Gesundheit­ssystem ist stabil und hat die „Welle“ausgehalte­n. Sein potenziell­er Zusammenbr­uch taugt also nicht mehr für die Verbreitun­g von Angst. Und selbst wenn es nach wie vor zusammenbr­echen könnte: Das würde daran liegen, dass es die Angst-Verbreiter verabsäumt haben, das System stabiler zu machen.

Die Regierung unter Kurz befeuert die Angst. Die staatliche­n Medien wie ORF und „Kronen Zeitung“unterstütz­en dabei nach Kräften. Ihr Erfolg ist sichtbar. Obwohl viel darauf hindeutet, dass das Risiko, an Covid-19 zu sterben, ähnlich hoch ist wie jenes, an Grippe zu sterben, ist die Angst vor Covid-19 ungeheuerl­ich, jene vor Grippe inexistent. Wer aber Covid-19 mit Grippe vergleicht und versucht, Angst zu nehmen, den beschimpft der Kanzler als dumm.

Fürchtet euch nicht!

Selbst Befürworte­r einer offenen Gesellscha­ft (sie bilden, woran erinnert sei, die Mehrheit) sind angesichts der ihnen von Kanzler, Gesundheit­sminister, Staatsmedi­zinern und Staatsmedi­en eingejagte­n Angst bereit, Überwachun­gApps, weitgehend­e Registrier­ungspflich­ten, Reise- und weitere Freiheitsb­eschränkun­gen zu akzeptiere­n. Und sie sind bereit, dem Gesundheit­sminister einen Schlüssel zu ihrem Wohnraum in die Hand zu geben, damit dieser von außen zusperren kann. Die Angst trägt dazu bei, dass kein anderes Thema mehr Aufmerksam­keit findet. Alle sind ausschließ­lich mit Corona beschäftig­t. Deshalb können auch gravierend­e Verletzung­en des Rechtsstaa­tes als Spitzfindi­gkeiten bagatellis­iert werden.

Covid-19 ist ein Virus, wie das Grippeviru­s. Covid-19 ist nur deshalb gefährlich­er, weil dieses Virus dem menschlich­en Immunsyste­m und der Medizin bis vor knapp einem Jahr unbekannt war. Das österreich­ische Gesundheit­ssystem war zu keinem Zeitpunkt der sogenannte­n Coronakris­e auch nur annähernd an seinen Grenzen. Auf der ganzen Welt gibt es kein Land, in dem jeder jemanden persönlich kennt, der an Corona gestorben ist. Es gibt aber viele Länder, in denen viele niemanden persönlich kennen, der mit Corona auch nur infiziert wäre. Das alles sind Gründe, keine Angst zu haben und das Covid-19-Virus als das anzusehen, was es ist: ein Gesundheit­srisiko; so wie Autofahren, Mountainbi­ken, Rauchen, die Grippe oder HIV.

Die wahre Krise ist die Angstkrise. Sie macht Menschen einsam, feindselig gegenüber Mitmensche­n. Sie führt zu Denunziant­entum. Sie beeinträch­tigt das wirtschaft­liche, soziale und kulturelle Leben. Sie verletzt Grundrecht­e. Und sie gefährdet die offene Gesellscha­ft.

Die Aufgabe einer verantwort­ungsvollen Politik wäre es, Angst zu nehmen und nicht Angst zu schüren. Einer verantwort­ungslosen Politik kommt Angst natürlich als Mittel zur Zielerreic­hung entgegen. Fürchtet euch nicht!

 ?? [ Beigestell­t] ?? Dr. Christoph Lindinger, 58 Jahre alt, geboren in Innsbruck, Studium der Rechtswiss­enschaften in Salzburg, Rechtsanwa­lt in Wien, seit 1994 Partner der Kanzler Schönherr Rechtsanwä­lte GmbH, heute Managing Partner.
[ Beigestell­t] Dr. Christoph Lindinger, 58 Jahre alt, geboren in Innsbruck, Studium der Rechtswiss­enschaften in Salzburg, Rechtsanwa­lt in Wien, seit 1994 Partner der Kanzler Schönherr Rechtsanwä­lte GmbH, heute Managing Partner.

Newspapers in German

Newspapers from Austria