Wandelt die EZB schon auf den Spuren der Reichsbank?
Europas Notenbank gleicht derzeit einem Atomkraftwerk, bei dem drei wichtige Sicherheitssysteme gleichzeitig ausgefallen sind.
Eine überaus steile These stellte der in Deutschland bekannte Ökonom (und Chef einer Goldhandelsfirma) Thorsten Polleit im Juli bei einem Vortrag auf: Die Europäische Zentralbank, meinte er, wandle derzeit „auf den Spuren der Deutschen Reichsbank“.
Eine Diagnose „mit Wumms“, sozusagen. Denn die Deutsche Reichsbank hatte unter ihrem Präsidenten Rudolf Havenstein (1908–1923) jene brutale Hyperinflation zu verantworten, die Millionen Menschen ins Elend trieb und letztlich zu Hitlers Aufstieg beitrug.
Die Politik der EZB damit zu vergleichen klingt auf den ersten Blick absurd. Und doch ist der Vergleich, wenn auch überzogen, nicht ganz falsch. Und das ist beunruhigend genug.
Warum Regierungen und Notenbanken immer wieder diesen mörderischen Weg bestreiten, wissend, wohin der führt, hat der geniale österreichische Nationalökonom Ludwig von Mises im Jahr 1923, wenige Wochen vor dem Ausbruch der Hyperinflation, beschrieben. „Wir sahen, dass eine Regierung sich immer dann genötigt sieht, zu inflationistischen Maßnahmen zu greifen, wenn sie den Weg der Anleihebegebung nicht zu betreten vermag und den der Besteuerung nicht zu betreten wagt“, schreibt von Mises da, „so wird die Inflation zu dem wichtigsten psychologischen Hilfsmittel einer Wirtschaftspolitik, die ihre Folgen zu verschleiern sucht. Man kann sie in diesem Sinne als ein Werkzeug antidemokratischer Politik bezeichnen, da sie durch Irreführung der öffentlichen Meinung einem Regierungssystem, das bei offener Darlegung der Dinge keine Aussicht auf die Billigung durch das Volk hätte, den Fortbestand ermöglicht.“
Um genau das zu verhindern, haben die Väter des Euro drei vermeintlich starke Sicherungen eingebaut. Der EZB ist die Finanzierung der Staaten verboten, denen ist die übermäßige Verschuldung untersagt („Maastricht-Vertrag“) und die Unabhängigkeit der Notenbank von den Regierungen ist in Stein gemeißelt.
Das sollte eigentlich reichen. Sollte. Denn mittlerweile ist der Maastricht-Vertrag nur mehr ein Fetzen Papier, die Schuldenobergrenze ein Relikt aus einem anderen Jahrhundert. Und die EZB betreibt massiv die Finanzierung der EuroStaaten, als wäre das die natürlichste Sache der Welt. Die viel gerühmte Unabhängigkeit der EZB wiederum ist dem „normativen Druck des Faktischen“gewichen: Das Faktum, dass die meisten Staaten der Eurozone überschuldet sind, diktiert das Handeln der EZB, und nicht Verträge. Da steht sie nun und kann nicht anders. Die EZB gleicht damit einem Atomkraftwerk, bei dem drei Sicherheitssysteme gleichzeitig ausgefallen sind. Eine überschaubar komfortable Lage also.
Ökonomische Frohnaturen wenden dagegen ein, dass die EZB schon seit der Finanzkrise 2008 massenhaft Geld druckt, ohne dass die Inflation sich dramatisch entwickelt hätte. Doch auch das stimmt nur teilweise. „Seit seiner Einführung 1999 bis heute hat der Euro 30 % seiner Kaufkraft eingebüßt, gemessen auf Basis der Konsumgüterpreise. Legt man die Häuserpreise im Euroraum zugrunde, betrug der Kaufkraftverlust des Euro 50 %. Wenn man die Preise der US-Aktien zugrunde legt, beläuft sich der Kaufkraftverlust des Euro auf 62 %. Gegenüber dem Gold hat der Euro seit seiner Einführung 81 % seiner Kaufkraft verloren. Sie sollten also nicht denken, der Euro sei stabiles Geld“(Thorsten Polleit). Vor allem hat die EZB nach 2008 zwar jede Menge Geld aus dem Nichts geschaffen, doch dieses Geld verließ nie die Welt der Geschäftsbanken und floß nicht von dort ins wirkliche Leben. Es war sozusagen kastriert.
Das ist jetzt anders, denn die Staaten verwenden das Geld, das ihnen die Zentralbank druckt, direkt für Geldinjektionen in die Realwirtschaft, in Form von Zahlungen an Unternehmen oder Arbeitslose. Das heißt: Hier gelangt tatsächlich Geld in den Umlauf, ohne dass dem eine entsprechende Wirtschaftsleistung gegenübersteht. Das war in den 1920erJahren nicht viel anders.
Das Faktum, dass die meisten Staaten der Eurozone überschuldet sind, diktiert das Handeln der EZB, und nicht Verträge.