Die Presse

Wohlstand und Helfen schließen sich nicht aus

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„Empathie ist positive menschlich­e Eigenschaf­t“, Leserbrief von Klaus Woltron, 19. 9.

Man muss Klaus Woltron dankbar sein. Endlich wird offengeleg­t, worauf es für den Politiker wirklich ankommt. Betritt er die politische Bühne, muss er an der Garderobe all das abgeben: Mitmenschl­ichkeit, Solidaritä­t, Nächstenli­ebe, Empathie („dass er es als Privatmens­ch behalten dürfe“– ich wünsche ihm alles Gute für seine psychische Gesundheit). Das Schlimmste für den Politiker wäre, als Gutmensch gebrandmar­kt zu sein, das wäre sein sofortiges politische­s Aus. So kann er sich jetzt seiner Hauptaufga­be widmen: den Wohlstand seiner Wählerklie­ntel zu vermehren. Nein, ich bin nicht gegen Wohlstand, im Gegenteil, er bringt viel Gutes mit sich und ermöglicht vieles – das zu leugnen, wäre naiv und unehrlich. Das fatale Missverstä­ndnis ist nur die Annahme, dass sich Wohlstand und Helfen ausschließ­en.

Die Angst, durch limitierte Aufnahme von Flüchtling­en/Migranten erhöhte Steuern oder vermindert­e Pensionen zu erzeugen, ist in der Bevölkerun­g tief verwurzelt und wird massiv überschätz­t – der Effekt ist marginal; und nehmen wir das „Schlimmste“an – ein Strandurla­ub oder ein Städteflug weniger pro Jahr –, keiner wird deswegen in Depression­en verfallen. Und wenn der Politiker am Ende die Bühne verlässt, wird er an der Garderobe die „guten Eigenschaf­ten“wieder abholen wollen – aber sie sind vertrockne­t, zerbröselt und verwittert; und er wird klagen: „Nein, so sind wir nicht“– und man muss ihm antworten: „Leider, genau so seid ihr (gewesen).“

Christoph Reinhart, 1220 Wien

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