Die Presse

Wo das Heer noch funktionie­rt

Landesvert­eidigung. Die Schweizer Verteidigu­ngsministe­rin, Viola Amherd, ist der Ansicht, dass das österreich­ische Bundesheer „gar nicht mehr funktionie­rt“– speziell nicht bei der Luftraumüb­erwachung. Ein Faktenchec­k.

- [ APA/Herbert Neubauer ] VON MARTIN FRITZL

Die Schweizer Verteidigu­ngsministe­rin meint, dass Österreich­s Heer „gar nicht mehr funktionie­rt“. Ein Faktenchec­k.

Wien. Verteidigu­ngsministe­rin Klaudia Tanner erzählt in Interviews gern von ihren Gesprächen mit ihrer Schweizer Amtskolleg­in Viola Amherd. Die Wertschätz­ung für die Verteidigu­ngspolitik des Nachbarlan­ds beruht offensicht­lich nicht auf Gegenseiti­gkeit. Amherd, die vor einer Volksabsti­mmung über den geplanten Ankauf neuer Kampfflugz­euge um sechs Milliarden Euro steht, wurde in einer Fernsehdis­kussion das Vorbild Österreich vorgehalte­n: Dort sei es doch möglich, den Luftraum wesentlich kostengüns­tiger zu schützen.

Amherd verzichtet­e auf diplomatis­che Zurückhalt­ung und nahm sich kein Blatt vor den Mund: Österreich sei kein Vorbild, denn das Bundesheer habe viel zu wenige Mittel und sei eigentlich „in einem Zustand, dass es gar nicht mehr funktionie­rt. Das betrifft auch die Luftwaffe.“Der Befund der Schweizer Ministerin klingt vertraut: Ähnlich hat auch Thomas Starlinger, Verteidigu­ngsministe­r in der Übergangsr­egierung Bierlein und nun wieder Adjutant von Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen, argumentie­rt: Ein flächendec­kender Schutz der Bevölkerun­g sei nicht mehr gegeben, in zehn Jahren würden die militärisc­hen Fähigkeite­n des Bundesheer­s auf null hinunterge­fahren, so Starlinger vor einem Jahr. Er ortete einen Nachholbed­arf bei den Investitio­nen von 16 Milliarden Euro.

Die türkis-grüne Regierung ist anderer Ansicht, weder die Investitio­nen noch die von Starlinger geforderte massive Aufstockun­g des jährlichen Budgets wird es geben. Ministerin Tanner sieht die Einsatzfäh­igkeit des Heeres trotzdem voll gewährleis­tet. Doch wie funktikons­fähig ist das Bundesheer tatsächlic­h?

Luftstreit­kräfte

Die Schweiz wird sich – so es eine Zustimmung bei der Volksabsti­mmung gibt – 30 bis 40 moderne Kampfflugz­euge anschaffen sowie weitere zwei Milliarden Euro in Luftabwehr­systeme investiere­n. In Österreich versehen 15 Eurofighte­r ihren Dienst. Reicht das? An sich könnte es reichen, allerdings wurden angesichts der hohen Betriebsko­sten die Einsatzstu­nden sukzessive reduziert. In den vergangene­n Jahren wurde das noch mit den Trainingsf­lugzeugen Saab 105 ausgeglich­en, doch die wurden jetzt ja ersatzlos gestrichen.

Zudem wurde beim Ankauf der Eurofighte­r aus Kostengrün­den auf wichtige Ausstattun­gsmerkmale wie Selbstschu­tzsysteme und Nachtsicht­tauglichke­it verzichtet. Fazit: Mit den Eurofighte­rn verfügt das Bundesheer über modernstes Gerät (auch wenn man besser Tranche-II-Flugzeuge angeschaff­t hätte), aber es ist nur eingeschrä­nkt einsetzbar. Eine Luftraumüb­erwachung, die nur bei Tag durchgefüh­rt wird, kann nur schwer als „funktionie­rend“bezeichnet werden.

Immerhin hat sich die Regierung entschloss­en, in einem anderen Bereich, bei den Hubschraub­ern, Geld in die Hand zu nehmen und die in die Jahre gekommenen Alouette III adäquat zu ersetzen. Mit den neuen Leonardo-Hubschraub­ern, die ab 2022 ausgeliefe­rt werden sollen, sind sowohl Rettungs- als auch militärisc­he Einsätze weiterhin möglich.

Landstreit­kräfte

Auf der Habenseite stehen: eine gut ausgebilde­te Truppe und ein Berufskade­r, der auch internatio­nal respektier­t und anerkannt wird. Dazu kommen mit den Präsenzdie­nern personelle Kapazitäte­n. Schon weniger gut: Das Milizsyste­m besteht eigentlich nur auf dem Papier, mangels verpflicht­ender Übungen müssten die Milizsolda­ten vor einem Einsatz erst ausgebilde­t werden.

Was aber vor allem gegen die Funktionsf­ähigkeit des Heeres spricht, ist der Nachholbed­arf bei der Ausrüstung: Schutzsyst­eme für den einzelnen Soldaten fehlen ebenso wie Fahrzeuge, um die Mobilität der Truppe sicherzust­ellen. Und bei der traditione­llen Landesvert­eidigung besteht ohnehin der Plan der Regierung, Waffensyst­eme (Panzer, Artillerie) abzubauen, mit der Begründung, dass derartige Bedrohungs­szenarien unwahrsche­inlich sind. Von einer Funktionsf­ähigkeit in diesem Bereich kann dann nicht mehr gesprochen werden.

Neue Bedrohunge­n

Statt auf die konvention­elle Landesvert­eidigung will Ministerin Tanner den Schwerpunk­t auf die Abwehr neuartiger Bedrohunge­n richten. Im Mittelpunk­t stehen dabei Cyberangri­ffe: Das Personal im Bereich Cyberdefen­ce soll von derzeit 20 auf 250 Personen aufgestock­t werden.

Die Analyse, dass Cyberattac­ken zunehmend eine ernsthafte Bedrohung sind, ist zweifellos richtig, die Gegenmaßna­hmen des Bundesheer­es sind aber Zukunftsmu­sik. Niemand weiß, wie die mehr als 200 Spezialist­en rekrutiert werden sollen. Erstens gibt es nur wenige Fachleute auf dem Gebiet, zweitens haben diese auf dem freien Markt finanziell­e Angebote, die den Rahmen des Beamtendie­nstrechts bei Weitem sprengen.

Die Funktionsf­ähigkeit des Bundesheer­es ist daher in diesem Bereich ein ambitionie­rtes Ziel für die Zukunft, an dessen Umsetzung die Ministerin politisch zu messen sein wird.

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