Eine Inthronisierung mit Nebengeräuschen
Personalie. Die OMV bekommt einen neuen Aufsichtsratschef. Ungewöhnlich überraschend. Das sorgt für Argwohn im Konzern.
Am Dienstag findet die Hauptversammlung der OMV statt, und das wird interessant. Der börsenotierte Ölund Chemiekonzern soll einen neuen Präsidenten des Aufsichtsrats bekommen. Nämlich Mark Garrett, einen Australier. Und wenn schon? Nun ja, die Sache ist gar so harmlos nicht. Selten zuvor hat eine Rochade in einem Kontrollgremium für so viel Rumoren gesorgt wie diese.
Das liegt zunächst einmal am Überraschungseffekt, böse Zungen sprechen auch von einer Nachtund-Nebel-Aktion. Tatsache ist: Laut Aktienrecht müssen Nominierungen für die Wahl in einen Aufsichtsrat bei Börsenkonzernen innerhalb einer gewissen Frist vor dem Aktionärstreffen veröffentlicht werden. Vor wenigen Wochen also konnte man auf der Website der OMV die Tagesordnung der Versammlung studieren, und dort wurde auch die „Wahl in den Aufsichtsrat“angeführt. Man las weiter und erfuhr: Die Grünen haben niemanden für das Kontrollgremium nominiert, offenbar haben sie andere Themen, als bei der Ökologisierung des größten Energiekonzerns des Landes mitgestalten zu wollen. Dafür war zu erfahren, dass das Aufsichtsratsmandat der ehemaligen EZB-Direktorin Gertrude Tumpel-Gugerell um zwei Jahre verlängert werden soll. Auch der amtierende OMV-Aufsichtsratspräsident, dessen Mandat jetzt ebenfalls ausläuft, sollte wiedergewählt werden, allerdings bloß für ein weiteres halbes Jahr. Irgendwie verständlich: Wolfgang Berndt zählt immerhin 78 Lenze und war im vergangenen Jahr auch so etwas wie eine Verlegenheitslösung: Der damalige Aufsichtsratschef, Peter Löscher, wollte und konnte, wie er kundtat, den politischen Einfluss nicht mehr ertragen. Und ging. Wolfgang Berndt ersetzte ihn also – doch das sollte im Frühjahr 2021 vorbei sein.
Dann kam es zu besagter Überraschung: Am 17. September, dem letztmöglichen Tag vor Fristende, zauberte Öbag-Chef Thomas Schmid den Australier Mark Garrett aus dem Hut. Das ist natürlich sein gutes Recht, weil die Staatsholding 31,5 Prozent an der OMV hält und das Vorschlagsrecht für den Aufsichtsratspräsidenten hat. Garrett sei, so Schmid also in einer Aussendung, der „ideale Kandidat“, der ein gehöriges Maß an „Fachexpertise“mitbringe.
In der Aussendung stand außerdem, dass Wolfgang Berndt mitgeteilt habe, für eine weitere Periode im Aufsichtsrat nicht mehr zur Verfügung zu stehen, was praktisch klingt, aber halt schon ein wenig geflunkert ist: Berndt wäre überaus gern geblieben. Aber Schwamm drüber.
Sonst hat in der Öbag-Aussendung alles seine Richtigkeit gehabt: Mark Garrett ist tatsächlich nicht niemand, er ist international anerkannt und hat einen guten Ruf als Manager.
Und doch löst seine Nominierung maximale Unruhe aus. Nicht nur beim enttäuschten Wolfgang Berndt. Es ist nämlich so, dass Mark Garrett bis vor zwei Jahren Chef des Kunststoffkonzerns Borealis war. Richtig: Borealis ist jener Konzern, für den die OMV mehr als vier Milliarden Euro hinblättert, um ihre Anteile von 36 auf 75 Prozent zu erhöhen.
Die Idee hinter der Personalie ist offenbar die: Um die Integration der Borealis in den OMV-Konzern bestmöglich bewerkstelligen zu können, soll gleichsam ein Borealis-Kenner an die OMV-Aufsichtsratsspitze kommen. Das hat natürlich was, und in der OMV begrüßt man das sogar. Aber: Es wird halt schon darüber gerätselt, wieso Garrett gleich den Aufsichtsrat präsidieren muss. Die Rochade ist jedenfalls beispiellos: Ein „Borealis-Mann“übernimmt den Vorsitz im Kontrollorgan jenes Unternehmens, das Borealis kauft. Das erworbene Unternehmen wird also beim kaufenden Unternehmen nicht wenig zu sagen haben. In der OMV wird das einigermaßen salopp so formuliert: „Wer übernimmt hier eigentlich wen?“
Gut: Ein Aufsichtsratspräsident hat nicht unbedingt endlose Macht. Aber, und das sollte nicht außer Acht gelassen werden: Er kann natürlich die Stimmung im Aufsichtsrat massiv beeinflussen. Auch und gerade in Personalfragen. Was bedeutet das für künftige Vorstandsbesetzungen? Werden Borealis-Intimi dort künftig Oberwasser haben?
Argwohn dieser Art grassiert jedenfalls im OMV-Konzern. Nicht gerade beruhigend ist für viele auch der Umstand, dass es ÖbagChef Schmid mit der Umbesetzung der Aufsichtsratsspitze gar so eilig hatte. Das sogenannte Closing der Borealis-Übernahme wird ja erst zum Jahresende erwartet. Warum konnte man da nicht zuwarten? Dann hätte man, wie eigentlich geplant, den Wechsel des Aufsichtsratspräsidenten im Frühjahr 2021 vornehmen können.
Vorgesehen für den Posten wäre in dem Fall der scheidende Chef des Stromkonzerns Verbund, Wolfgang Anzengruber, gewesen.
Doch jetzt, wo er immer noch Verbund-Chef ist, geht das natürlich nicht.
Öbag-Chef Thomas Schmid wollte sich eine Rochade dieser Art offenbar ersparen. Anzengruber gilt als ÖVP-nahe, und Schmid ist bei allen Aufsichtsratsbesetzungen akribisch darum bemüht, ausschließlich nach fachlichen und nicht nach politischen Kriterien zu entscheiden. Was einerseits durchaus begrüßenswert ist. Andererseits: Anzengruber wäre schon weitaus mehr als bloß ein politisches Signal gewesen.
Der Verbundkonzern erzeugt nämlich mittlerweile rund 95 Prozent des Stroms CO2-frei. Die OMV steht hingegen erst am Anfang des dringend notwendigen ökologischen Transformationsprozesses. Doch statt Anzengruber als Aufsichtsratschef wird dort Mark Garrett sitzen – er ist derzeit Chef des höchst fossilen Hamburger Ölhändlers Marquard & Bahls. Interessant eigentlich, dass die Grünen daran nichts auszusetzen haben. Als OMV-Chef Rainer Seele neulich im Untersuchungsausschuss aussagen musste, begrüßten ihn dort grüne Aktivisten immerhin mit symbolträchtigen Ölfässern und einem „Ölteppich“, um auf die „Klimasünden“des Konzerns aufmerksam zu machen. Jetzt hingegen ist alles seltsam ruhig.
Egal. Die „Ökologisierung“der OMV soll mittels Borealis erfolgen. Die Idee dahinter: Borealis erzeugt Kunststoffprodukte, und dafür soll das Öl der OMV verwendet werden – statt es einfach klimaschädlich zu verbrennen. In der OMV wird auch an einem Verfahren gearbeitet, um Kunststoff zu recyceln und dann beispielsweise als Treibstoff für Flugzeuge zu verwenden.
Doch reicht das, um den Konzern zukunftsträchtig klimafreundlich zu machen? Da gibt es viele Skeptiker. Mark Garrett wird da wohl viel Überzeugungsarbeit leisten müssen.