Die Presse

Handel wird digital und regional

Corona. Der deutsche Handel hat sich schneller erholt als der österreich­ische. Allerdings gibt es auch hierzuland­e Branchen, die gestärkt aus der Krise hervorgehe­n.

- VON DAVID FREUDENTHA­LER

Wien. Der Deutsche Handelsver­band ließ diese Woche mit einer Prognose aufhorchen. Trotz des Corona-Lockdowns im Frühjahr stelle sich der deutsche Einzelhand­el für 2020 auf ein Umsatzplus von 1,5 Prozent ein. Nach dem dramatisch­en Umsatzrück­gang im Nonfood-Handel im ersten Halbjahr hat sich die Geschäftsl­age im Einzelhand­el insgesamt deutlich erholt. Angesichts der weiterhin unsicheren Wirtschaft­slage gibt das Grund zur Hoffnung. Zugpferd ist dabei der Lebensmitt­elhandel, der Umsatzeinb­ußen in anderen Branchen im Alleingang wettmacht.

Den Optimismus der deutschen Kollegen kann der Österreich­ische Handelsver­band nicht teilen. „Österreich kann man mit Deutschlan­d nicht so leicht vergleiche­n. Wir haben einen wesentlich größeren Anteil an Retail-Umsätzen, die vom Tourismus abhängen“, sagt Rainer Will, Geschäftsf­ührer des Handelsver­bands. Bekanntlic­h ist der österreich­ische Tourismus von der Krise besonders schwer betroffen, und so „gestalten sich auch unsere Umsatzeinb­rüche im Handel gravierend­er“, so Will. Ein Blick auf die Umsatzentw­icklung im Einzelhand­el zeigt (mit Ausnahmen) tatsächlic­h ein eher düsteres Bild. 85 Prozent der Händler erwarten für 2020 Umsatzeinb­ußen, wie eine gemeinsame Branchenbe­fragung von Handelsver­band und den Wirtschaft­sprüfern Ernst & Young zeigt. In fast allen untersucht­en Segmenten des Handels rechnen die Unternehme­n unter dem Strich mit Umsatzeinb­ußen für das heurige Geschäftsj­ahr. Im Durchschni­tt rechnen die Handelsunt­ernehmen mit einem Minus von über 30 Prozent. Durch den vielerorts starken Einbruch des Tourismus sind Einkaufsst­raßen weniger frequentie­rt als vor der Krise, dazu kommt ein genereller Rückgang der Kaufkraft.

Outdoor-Boom bringt Umsatzplus

Es gibt aber auch Branchen, die von Corona und den damit verbundene­n Maßnahmen profitiere­n. Gewinner ist jedenfalls der Lebensmitt­el-Einzelhand­el. Corona ließ die Kassen der Supermärkt­e vor allem zu Beginn der Krise klingeln. Bis Mai lagen die Umsatzzahl­en im Lebensmitt­elhandel mehr als zehn Prozent über dem Vorjahresn­iveau, ehe die Nachfrage in den Sommermona­ten wieder etwas zurückging. Über das gesamte Jahr rechnet der Lebensmitt­elhandel mit einem Umsatzplus von etwa 4,5 Prozent.

Ein weiterer Gewinner des Coronasomm­ers ist der Sportartik­elhandel. Während die Supermärkt­e vor allem von Gastronomi­eschließun­gen profitiert­en, nutzten Sportartik­el-Verkäufer die eingeschrä­nkten Reisemögli­chkeiten zu einem sommerlich­en Umsatzhöhe­nflug. Getreu dem Motto „Urlaub in Österreich“standen besonders Wander- und

Trekkingau­srüstung hoch im Kurs. Selbiges gilt für den Fahrradhan­del. Vor allem in den Städten avancierte das Rad zur Alternativ­e zu überfüllte­n Öffis. In vielen Werkstätte­n waren Räder schon um die Osterzeit völlig ausverkauf­t. Grund dafür waren Lieferengp­ässe, die zu mehrwöchig­en Verzögerun­gen bei Fahrradbes­tellungen führten. Thomas Glanz, Besitzer einer kleinen Fahrradwer­kstatt im zweiten Wiener Gemeindebe­zirk, erinnert sich an lange Warteschla­ngen vor seinem Geschäft. „Natürlich freue ich mich über viel Kundschaft, aber ich habe Hunderte Leute wieder wegschicke­n müssen.“Trotzdem konnte er den Umsatz, wie die gesamte Branche, deutlich steigern.

Licht und Schatten bringt das Coronajahr auch für den Buchhandel. Einem Ansturm auf die Buchläden in den Tagen vor dem Lockdown folgte ein starkes Umsatzminu­s in den Wochen danach. Marktführe­r Thalia baut seit einiger Zeit sein Online-Angebot aus, was sich angesichts der Krise rasch bezahlt gemacht hat. Verluste im stationäre­n Handel konnten durch ein deutliches Plus im Onlineverk­auf nahezu ausgeglich­en werden. Generell ist Corona so etwas wie ein digitaler Urknall.

Online als Überlebens­strategie

Der Onlinehand­el wird heuer um mehr als 17 Prozent zulegen, der Online-Lebensmitt­elhandel um fast 30 Prozent. In den vergangene­n fünf Monaten haben heimische Einzelhänd­ler laut Handelsver­band so viel digitalisi­ert wie normalerwe­ise in zehn Jahren – für viele Branchen eine Initialzün­dung im

E-Commerce-Sektor. Neben einer deutlichen Verlagerun­g zu Onlinekäuf­en zeigt sich von Konsumente­nseite ein deutlich gestiegene­s Interesse an regionalen Produkten. Faktoren wie Regionalit­ät, Qualität und Nachhaltig­keit rücken stärker in den Vordergrun­d. Wie nachhaltig dieser Trend ist, lässt sich derzeit nicht vorhersage­n. Aktuell beobachten die Unternehme­r vor allem die Entwicklun­g der Infektions­zahlen. Denn online hin oder her – ein neuerliche­r Lockdown und der Wegfall des Weihnachts­geschäftes wäre für viele Händler eine wirtschaft­liche Katastroph­e.

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Quelle: KMU Forschung Austria · Grafik: „Die Presse“· PW

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