Handel wird digital und regional
Corona. Der deutsche Handel hat sich schneller erholt als der österreichische. Allerdings gibt es auch hierzulande Branchen, die gestärkt aus der Krise hervorgehen.
Wien. Der Deutsche Handelsverband ließ diese Woche mit einer Prognose aufhorchen. Trotz des Corona-Lockdowns im Frühjahr stelle sich der deutsche Einzelhandel für 2020 auf ein Umsatzplus von 1,5 Prozent ein. Nach dem dramatischen Umsatzrückgang im Nonfood-Handel im ersten Halbjahr hat sich die Geschäftslage im Einzelhandel insgesamt deutlich erholt. Angesichts der weiterhin unsicheren Wirtschaftslage gibt das Grund zur Hoffnung. Zugpferd ist dabei der Lebensmittelhandel, der Umsatzeinbußen in anderen Branchen im Alleingang wettmacht.
Den Optimismus der deutschen Kollegen kann der Österreichische Handelsverband nicht teilen. „Österreich kann man mit Deutschland nicht so leicht vergleichen. Wir haben einen wesentlich größeren Anteil an Retail-Umsätzen, die vom Tourismus abhängen“, sagt Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands. Bekanntlich ist der österreichische Tourismus von der Krise besonders schwer betroffen, und so „gestalten sich auch unsere Umsatzeinbrüche im Handel gravierender“, so Will. Ein Blick auf die Umsatzentwicklung im Einzelhandel zeigt (mit Ausnahmen) tatsächlich ein eher düsteres Bild. 85 Prozent der Händler erwarten für 2020 Umsatzeinbußen, wie eine gemeinsame Branchenbefragung von Handelsverband und den Wirtschaftsprüfern Ernst & Young zeigt. In fast allen untersuchten Segmenten des Handels rechnen die Unternehmen unter dem Strich mit Umsatzeinbußen für das heurige Geschäftsjahr. Im Durchschnitt rechnen die Handelsunternehmen mit einem Minus von über 30 Prozent. Durch den vielerorts starken Einbruch des Tourismus sind Einkaufsstraßen weniger frequentiert als vor der Krise, dazu kommt ein genereller Rückgang der Kaufkraft.
Outdoor-Boom bringt Umsatzplus
Es gibt aber auch Branchen, die von Corona und den damit verbundenen Maßnahmen profitieren. Gewinner ist jedenfalls der Lebensmittel-Einzelhandel. Corona ließ die Kassen der Supermärkte vor allem zu Beginn der Krise klingeln. Bis Mai lagen die Umsatzzahlen im Lebensmittelhandel mehr als zehn Prozent über dem Vorjahresniveau, ehe die Nachfrage in den Sommermonaten wieder etwas zurückging. Über das gesamte Jahr rechnet der Lebensmittelhandel mit einem Umsatzplus von etwa 4,5 Prozent.
Ein weiterer Gewinner des Coronasommers ist der Sportartikelhandel. Während die Supermärkte vor allem von Gastronomieschließungen profitierten, nutzten Sportartikel-Verkäufer die eingeschränkten Reisemöglichkeiten zu einem sommerlichen Umsatzhöhenflug. Getreu dem Motto „Urlaub in Österreich“standen besonders Wander- und
Trekkingausrüstung hoch im Kurs. Selbiges gilt für den Fahrradhandel. Vor allem in den Städten avancierte das Rad zur Alternative zu überfüllten Öffis. In vielen Werkstätten waren Räder schon um die Osterzeit völlig ausverkauft. Grund dafür waren Lieferengpässe, die zu mehrwöchigen Verzögerungen bei Fahrradbestellungen führten. Thomas Glanz, Besitzer einer kleinen Fahrradwerkstatt im zweiten Wiener Gemeindebezirk, erinnert sich an lange Warteschlangen vor seinem Geschäft. „Natürlich freue ich mich über viel Kundschaft, aber ich habe Hunderte Leute wieder wegschicken müssen.“Trotzdem konnte er den Umsatz, wie die gesamte Branche, deutlich steigern.
Licht und Schatten bringt das Coronajahr auch für den Buchhandel. Einem Ansturm auf die Buchläden in den Tagen vor dem Lockdown folgte ein starkes Umsatzminus in den Wochen danach. Marktführer Thalia baut seit einiger Zeit sein Online-Angebot aus, was sich angesichts der Krise rasch bezahlt gemacht hat. Verluste im stationären Handel konnten durch ein deutliches Plus im Onlineverkauf nahezu ausgeglichen werden. Generell ist Corona so etwas wie ein digitaler Urknall.
Online als Überlebensstrategie
Der Onlinehandel wird heuer um mehr als 17 Prozent zulegen, der Online-Lebensmittelhandel um fast 30 Prozent. In den vergangenen fünf Monaten haben heimische Einzelhändler laut Handelsverband so viel digitalisiert wie normalerweise in zehn Jahren – für viele Branchen eine Initialzündung im
E-Commerce-Sektor. Neben einer deutlichen Verlagerung zu Onlinekäufen zeigt sich von Konsumentenseite ein deutlich gestiegenes Interesse an regionalen Produkten. Faktoren wie Regionalität, Qualität und Nachhaltigkeit rücken stärker in den Vordergrund. Wie nachhaltig dieser Trend ist, lässt sich derzeit nicht vorhersagen. Aktuell beobachten die Unternehmer vor allem die Entwicklung der Infektionszahlen. Denn online hin oder her – ein neuerlicher Lockdown und der Wegfall des Weihnachtsgeschäftes wäre für viele Händler eine wirtschaftliche Katastrophe.