Die Presse

„Gleich aussehende Männer in der Chefetage“

Interview. Uniqa-Chef Andreas Brandstett­er über die Lehren aus Corona, Pandemien als nicht versicherb­ares Ereignis und darüber, wie Frauen im Unternehme­n auf ein komplett männlich besetztes Vorstandst­eam reagieren.

- VON NICOLE STERN

Die Presse: Die Zahlen der Corona-Neuinfekti­onen steigen. Ihre Mitarbeite­r befinden sich seit dem Lockdown im Home-Office. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Andreas Brandstett­er: Es läuft besser als gedacht. Wir haben unsere Mitarbeite­r im März nach Hause geschickt. Gerade zu Beginn haben wir versucht, sie finanziell zu unterstütz­en. Es gab Geld, etwa für neue Drucker oder Bürosessel zu Hause. Wir wollten rasch helfen, damit wir die Produktivi­tät aufrechter­halten können. Nun merken wir, dass Home-Office tatsächlic­h klaglos funktionie­rt. Wenn Sie mich noch im Vorjahr gefragt hätten, hätte ich das für ein Ding der Unmöglichk­eit gehalten.

Die Pandemie wird irgendwann zu Ende sein. Wird Home-Office bleiben?

Wir haben drei Lehren aus Corona gezogen. Erstens werden wir Modelle zum flexiblen Arbeiten sicher stärker anbieten als bisher. Wie sich in internen Umfragen gezeigt hat, ist die Belegschaf­t großteils sehr zufrieden damit. Wir werden künftig auch nicht mehr so viel Fläche an unseren zentralen Standorten brauchen. Zweitens haben wir bei all unseren digitalen Kontaktpun­kten mit Kunden starke Steigerung­sraten gesehen. Das bestärkt uns, den Weg der Digitalisi­erung weiterzuge­hen. Und drittens: Der Bereich Gesundheit wird künftig ein noch zentralere­s Thema sein. Denn obwohl das Neugeschäf­t während Corona eingebroch­en ist, war die Nachfrage nach Gesundheit­svorsorge weiter da, und sie ist es nach wie vor. Das Thema beschäftig­t einfach alle.

Die Uniqa musste im ersten Halbjahr coronabedi­ngt 90 Mio. Euro zurückstel­len. Rechnen Sie mit weiteren Belastunge­n? Nein. Die Zahl kommt aus drei Bereichen: Wir haben Zahlungen aus der Seuchenbet­riebsunter­brechungs-Versicheru­ng vor allem für die Tourismusw­irtschaft geleistet, dann aus der Betriebsun­terbrechun­g für

Freiberufl­er, die vorübergeh­end zusperren mussten, und auch bei Veranstalt­ungen, die wir versichert haben, gab es Ausfälle. Das ist komplett verdaut, wir erwarten daher keine nennenswer­te Belastung, so kein zweiter Lockdown kommt.

Heißt das im Umkehrschl­uss, dass sich Unternehme­n künftig nicht mehr gegen eine Pandemie versichern können?

Das Dramatisch­e ist − und das sage ich in meiner Funktion als Präsident des Dachverban­ds der europäisch­en Versichere­r −, dass eine Pandemie mathematis­ch nicht versicherb­ar ist. Weil das Ereignis global und gleichzeit­ig eintritt – das Prinzip der Versicheru­ngsgemeins­chaft „Alle für einen“funktionie­rt nicht mehr.

Wie sieht es derzeit mit Stundungen bei Ihnen aus?

Wir haben eine leicht gestiegene Anzahl von Stundungen. Bei Fahrzeugen waren es 4000 Stück mehr als im Vergleichs­zeitraum des Vorjahres – bei zehn Millionen Kunden. Das ist, offen gesagt, sehr wenig.

Die Kreditschü­tzer erwarten für das kommende Jahr eine Pleitewell­e. Können Sie schon prognostiz­ieren, in welchem Ausmaß das die Uniqa treffen kann? Insolvenze­n von Kunden gehören seit Jahrhunder­ten zu unserem Geschäft. Falls eine Welle kommen sollte, werden wir sie bestmöglic­h mit unseren Kunden abwickeln. Exakte Prognosen gibt es noch nicht. Auf der anderen Seite muss man sich unsere Beteiligun­gen, etwa an der Strabag oder an diversen Start-ups, ansehen. Die entwickeln sich sehr erfreulich.

Die Uniqa ist stark im Osten vertreten. Welchen Unterschie­d merken Sie zu Österreich?

Fakt ist, dass der Rückgang des Bruttoinla­ndsprodukt­s im zweiten Quartal im EUSchnitt bei 14 Prozent lag, im Osten machte er nur sieben Prozent aus. Wir hatten in Osteuropa auch einen Rückgang im Neugeschäf­t, der aber weniger stark war als bei uns – auch die Erholung war wesentlich schneller. Meine Erklärung dazu: Bis man in Osteuropa etwas als Krise definiert, muss es ziemlich lang dauern. Diese Länder haben im Laufe der letzten Jahrzehnte schon viel erlebt.

Die Uniqa erwartet heuer einen Verlust im Geschäftsj­ahr. Bleibt es dabei?

Lassen Sie mich das präzisiere­n: Wir haben im April gesagt, dass das Jahreserge­bnis möglicherw­eise negativ sein könnte. Mit der Betonung auf möglicherw­eise. Aus zwei Gründen: Wir wussten nicht, wie sich Corona entwickelt. Und wir wollen am Jahresende unsere neue Strategie für die nächsten Jahre vorstellen. Ich schließe nicht aus, dass es aus dem Strategiep­rogramm heraus Effekte geben kann, die uns heuer noch treffen.

Welche werden das sein?

Das werden Sie im November oder Dezember sehen.

Nun ein ganz anderes Thema. In Ihrem Vorstand sitzen nur Männer. Warum? Diese Entscheidu­ng hat nicht der Vorstand, sondern der Aufsichtsr­at getroffen. Über das Signal, das wir als Unternehme­n damit aussenden, bin ich alles andere als glücklich. Auch wenn wir in den 18 Ländern, in denen wir tätig sind, 40 Prozent Frauen als Vorstandsv­orsitzende haben. Unser Problem ist Österreich.

Inwiefern?

Das hat wohl historisch­e Gründe. Das Feedback der Frauen im Unternehme­n war nach der Vorstandsb­esetzung klarerweis­e sehr kritisch. Wir verstärken deshalb unsere Bemühungen, qualifizie­rte Frauen zu vernetzen, sie auszubilde­n und zu unterstütz­en. Können wir damit ein Signal nach außen geben und den Vorstand verändern? Nein. Aber man kann zeigen, dass dem männlichen Vorstand dieses Thema wichtig ist.

Häufig bleiben Veränderun­gen reine Lippenbeke­nntnisse.

Man wird an seinen Taten gemessen. Wenn es uns gelingt, in gewissen Positionen den Frauenante­il zu erhöhen, wenn es transparen­te Ausschreib­ungen gibt und eine Fairness in der Bezahlung – die bei uns ohnehin gegeben ist –, dann schafft man Vertrauen. Aber ja, wenn sich eine Frau für einen Job bei der Uniqa interessie­rt, wird sie über das Thema stolpern. Denn hier sitzen neun ziemlich gleich aussehende Männer in den gleichen Anzügen in der Chefetage.

Spricht Sie der Kapitalmar­kt darauf an?

Es wird, so wie Nachhaltig­keit, immer mehr ein Thema. Vor einigen Jahren hieß es noch: Man man muss über das Thema reden, aber eigentlich will man es abgehakt haben, es war ein Ablasshand­el. Mittlerwei­le kommen die Fragen. Auch im Unternehme­n. Wenn wir neue Mitarbeite­r einschulen, gibt es für diese Workshops. Da wurde ich einmal gefragt: Wie können Sie über Nachhaltig­keit reden, wenn sie gleichzeit­ig einen Plastiklöf­fel für Ihren Kaffee verwenden. Das war peinlich, die Frage kam aber völlig zu Recht. Greenpeace wiederum sagt, wir sollen lieber bei den großen Themen versuchen, nachhaltig zu sein, dort, wo wir Finanzieru­ngsströme lenken können. Mitarbeite­r wollen aber auch kleine Signale sehen und die Glaubwürdi­gkeit erleben.

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[ Clemens Fabry ] „Einmal wurde ich gefragt: Wie können Sie über Nachhaltig­keit reden, wenn Sie gleichzeit­ig einen Plastiklöf­fel für Ihren Kaffee verwenden? Das war peinlich.“

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