Die „Freyheit“, die wir meinen
Kunsthistorisches Museum. Die Kunst und Musik verbindende Beethoven-Ausstellung ist die Überraschung des Herbsts. Ein Trost durch Emotion.
Sie ist nicht von dieser Welt. Nicht in Wien, nicht im Kunsthistorischen Museum zu verorten, sondern in einem Raum scheinbar ohne Zeit, Zwänge, Grenzen zwischen Kunst und Leben, Gefühl und Verstand, Augen und Ohren, zwischen diesen beiden Gattungen, die sonst so getrennt voneinander existieren – bildender Kunst und klassischer Musik. Diese Ausstellung scheut weder Pathos noch Emotion, ist in hinreißender Inszenierung, durch kluge Assoziationen und exzellente Leihgaben dem puren Erlebnis von Kunst gewidmet.
Schon die ersten Schritte, mit denen man die Flucht der vier Säle betritt, die man auf den alles dämpfenden Teppichboden in ein gleißendes, als Gemäldegalerie nicht wiedererkennbares Auditorium setzt, machen die Ausnahme der Situation bewusst. Das also kann geschehen, wenn man vier großartige Kuratoren (Andreas Kugler, Jasper Sharp, Stefan Weppelmann, Andreas Zimmermann) in einer Art anarchistischem Freiraum agieren lässt. Denn einen solchen bildete die Entstehungsgeschichte dieser Ausstellung, die zwar der dezidierte, inhaltlich aber so vage wie an diesem Ort absurd wirkende Wunsch des kurzzeitig designierten KHM-Direktors Eike Schmidt war. Dann war er weg. Hinterließ das Vakuum, in dem nach anfänglicher Frustration ein Wunderwerk entstand, das vermag, uns in der hysterischen Starre, in der wir uns am Ende dieses Jahres befinden, emotional abzuholen.
Warum eint uns Beethoven nur so?
„Beethoven bewegt“, heißt die Ausstellung nicht von ungefähr. Sie bebildert eindrücklich den Zufall, dass ausgerechnet Beethovens Musik, durch dessen 250. Geburtstag heuer präsent wie nie, den Soundtrack der Pandemie liefert. Man denke nur an die Tausenden weltweit, die während des Lockdowns jeden Tag die Beethoven-Hauskonzerte des Pianisten Igor Levits via Twitter verfolgten. In dieser Ausstellung wird für Laien wie Kenner spürbar, warum uns gerade dieses Werk, diese Person zu einen vermag, untrennbar verbunden mit europäischen Mythen wie Sehnsucht nach Freiheit, Kampf mit dem Schicksal, Befreiung durch Kunst und Natur, Ergriffenheit vor sich selbst, der eigenen, individuellen Berührtheit. Es sind doch immer die alten Erzählungen, die, am Corona-Feuer erzählt, den Trost spenden.
Dem pflichtet diese Ausstellung bei, indem sie in bisher in dieser Qualität unerreichter Verdichtung von Kunst, Musik und Artefakten spielerisch eine Brücke zwischen
Jahrhunderten zu schlagen vermag – zwischen Beethovens Zeit um 1800, gezeichnet von der Französischen Revolution, und unserer heutigen Krise. Vier Säle wie vier Gesamtkunstwerke sind dazu bereitet worden, man möchte die Überraschung ihrer Entdeckung (Architektur Tom Posta, Amsterdam) gar nicht durch vorauseilende Beschreibungen schmälern. Nur einige Stränge hervorheben.
Die Beschreibung des verletzlichen Genies zu Beginn etwa, in großer Helligkeit den 32 Klaviersonaten gewidmet. An den Wänden schwirren sie alle wie Vogelschwärme, von der deutschen Zeichnerin (und Musikerin) Jorinde Voigt in ihre persönliche Notation übersetzt. Was für ein Moment, wenn man in der Vitrine darunter den Autografen der letzten Sonate entdeckt, was für eine auch bildhafte Vehemenz. Da rattert über einem das berühmte Klavier der Rebecca Horn. Verkehrt hängt es von der Decke, lässt plötzlich alles fallen, Tasten, Deckel, gesamte Contenance. So viel zu Beethovens Geist.
In der ganzen Ausstellung wird man ihn übrigens nicht abgebildet finden, keine Statuen, keine Porträts. Nur mit dem, was tatsächlich von ihm blieb, seiner Handschrift und Musik, ist er präsent, präsenter als nur irgend möglich. Ein riesiges, leeres Plateau in Brusthöhe, ausgelegt darauf der Parkettboden seines Totenzimmers, gemahnt an die Projektionsfläche, die er immer geboten hat. Eine beeindruckende Reihe Landschaften von Caspar David Friedrich erzählt vom Naturempfinden seiner Zeit, die Skizzenbücher William Turners neben Beethovens Notizbüchern von vergleichbarer Spontanität. Der lichtbringende Prometheus an der Wand hinter der „Eroica“-Partitur, deren Widmung an Napoleon Beethoven schließlich aus Enttäuschung über die Selbstkrönung auskratzte, von der Hoffnung auf Wandel.
Nach Quirligkeit und Helle, Stille und Depression, heiligem Ernst und hoher Politik dann der letzte Akt, gewidmet uns selbst, ein Auftragswerk des KHM vom deutschen Performance-Pionier Tino Sehgal. Was hier in dem zufälligen Moment, in dem man eintritt, passiert, was man hier mit sich geschehen lässt, muss offen bleiben. Es führt jedenfalls zurück zu einem Beethoven-Zitat, mit dem die Ausstellung einsetzt: „allein Freyheit, weiter gehn ist in der Kunstwelt, wie in der ganzen großen schöpfung, zweck . . .“
Von 29. 9. bis 24. 1., tägl. 10–18 h, Do.–21 h.