Die Pfandleihe als letzter Ausweg
Krise. Es sind wirtschaftlich schwierige Zeiten, Menschen in einer Notlage gehen wieder verstärkt zum Pfandleiher. Über die Geschichte einer Institution, die in Krisenzeiten boomt.
Pfandleiher machen derzeit das Geschäft ihres Lebens. Durch die angespannte wirtschaftliche Lage seien immer mehr Menschen bereit, ihren Besitz zu verpfänden, um an Bargeld zu kommen, hieß es vor Kurzem bei einem Lokalaugenschein des ORF Oberösterreich. Die Palette der Dinge, die sich bei den Pfandleihern bis zur Decke stapeln, reicht von Alltagsgegenständen wie Fernsehern, Stereoanlagen, Möbeln bis zu Kuriositäten wie ausgestopften Tieren.
Die Zeiten, in denen Pelzmäntel, Lederjacken oder Anzüge gebracht wurden, sind heute vorbei, sie wurden abgelöst durch das Handy. Erfahrene Pfandleiher können gut unterscheiden bei ihren Kunden: Kommt jemand, weil die Oma gestorben ist und er den Keller entrümpelt hat, ist es ein treuer Kunde, der den Gegenstand sicher wieder abholen wird, wenn er nicht mehr in Geldnot ist, oder einfach eine Familie, die sich den Urlaub finanziert. Pfandleiher sind Menschenkenner.
Seit dem Ausbruch der Coronakrise sei der Umsatz um ein Viertel gestiegen, wird geschätzt. Das verwundert nicht. Es gibt keine ursprünglichere Art des Kredits als die Pfandleihe. Das Verfahren war im Mittelalter gang und gäbe, nicht nur als Überbrückungsdarlehen in Notsituationen, sondern bei Geschäften jeder Art. Auch Fürsten, Adelige, Städte, Handwerker nahmen diese Art der Geschäftsbeziehung in Anspruch. Ohne Pfand bzw. Bürge kein Kredit.
Der Geldleiher war auf Nummer sicher: Kam es zu einem Prozess, hatte der Schuldner nicht die Möglichkeit, seine Schuld abzustreiten, im Pfand gab es ein sicheres Beweismittel. Wegen des kanonischen Zinsverbots der katholischen Kirche wanderte im Mittelalter das Darlehensgeschäft in die Hände der Juden, sie waren nach geltenden Stadtrechten von anderen Handelstätigkeiten ausgeschlossen, so blieb ihnen das Geldgeschäft.
Die Höhe der Zinssätze war meist festgelegt, der Pfandgeber sollte vor Wucherzinsen geschützt werden. Kam es zu Missbrauch, steigerte das die Beliebtheit der jüdischen Pfandleiher nicht gerade und lieferte Vorwände für Antisemitismus. Shakespeare hat in seinem „Kaufmann von Venedig“ein solches Zerrbild entworfen: Der alte Geldverleiher Shylock verlangt für ein Pfanddarlehen das Recht, dem Kaufmann Antonio, wenn das Geld nicht zurückgezahlt wird, ein Pfund Fleisch aus dem Leib zu schneiden.
Den Armen unter die Arme greifen
Kirchliche Kreise wollten die Juden aus diesem Geschäftszweig verdrängen. Es kam zuerst im Italien des 15. Jahrhunderts zur Gründung bankähnlicher Anstalten, die im
Interesse der öffentlichen Wohlfahrt agieren und Bürgern, die in einer Notlage waren, mit günstigen Krediten unter die Arme greifen sollten. Sie wurden Monti di Piet`a („Berge der Barmherzigkeit“) genannt und vor allem von Orden wie den Franziskanern gegründet. Wucherzinsen waren ihnen strikt verboten, sie sollten nicht gewinnorientiert, sondern mildtätig sein. Der Bischof von London gründete 1361 sogar eine Bank, die Geld ohne Zinsen gegen Pfand verlieh. Das Modell hatte, was nicht verwundert, keinen Erfolg.
Doch auch wenn nur sehr geringfügige Zinsen verlangt wurden, hatten die strengen Theologen schon Bedenken. Trotzdem gingen viele Kunden weiter zu den Juden: Sie erschienen ihnen diskreter, man genierte sich hier weniger. Es galt also schon damals, was heute noch vorkommen soll: Obwohl nichts Verwerfliches daran ist, einen Gegenstand zu versetzen, um Bargeld zu erhalten, legten Kunden Wert auf Anonymität, nur die nötigsten Daten sollten notiert werden.
Der erste Monte di Piet`a entstand 1462 in Perugia. Man konnte hier Pfänder wie Schmuck, Kleidung oder Haushaltsgeräte gegen einen Kredit abgeben, die Zinsen waren zwischen vier und zehn Prozent. Die 2016 ins Trudeln geratene Banca Monte dei Paschi di Siena, sie gilt als die älteste noch existierende Bank der Welt, geht auf eine solche Gründung zurück. Ab dem 16. Jahrhundert gab es derartige öffentliche Pfandhäuser oder Leihhäuser auch auf deutschem Boden.
Allmählich begannen sie so zu agieren, wie es heute noch üblich ist. Brachte jemand einen mehr oder weniger wertvollen Gegenstand aus seinem Besitz ins Leihhaus, bekam er dafür Bargeld, je nach dem Wert des Pfandes. Eigene Schätzer legten diesen Wert fest. Es wurde eine Frist gesetzt. Konnte das Geld innerhalb dieser Frist nicht bezahlt werden, erhielt der Pfandleiher im Gegenzug den hinterlegten Gegenstand und konnte versuchen, bei einer Versteigerung einen Gewinn damit zu erzielen.
Als er seinen Tod nahen spürte, stiftete auf Salzburger Boden Fürsterzbischof Jakob Ernst Graf Liechtenstein 33.000 Gulden aus seinem Privatvermögen (je 1000 zum Gedächtnis an die 33 Lebensjahre des Erlösers, der sein irdisches Dasein in Armut verbracht hatte). Die Stiftung war der Grundstein eines
Monte di Piet`a, sie hatte den Zweck, den Bedürftigen in der Stadt Salzburg Geldmittel gegen Pfand zur Verfügung zu stellen, um die Notleidenden nicht in die Arme von Wucherern zu treiben.
Die Stiftung hatte ihren Sitz anfangs in einem Haus in der Getreidegasse, später etablierte sich das Leihhaus in einem Gebäude am Hannibalgarten (heute Makartplatz) unmittelbar vor der Dreifaltigkeitskirche. Das neue „Hochfürstliche Versatzhaus“oder „Milde Leihhaus“wurde hier 1751 bezogen. Das Gebäude musste Anfang des 20. Jahrhunderts weichen, es stand einer Straßenbahnkurve im Weg. Heute erinnert noch eine Inschrift über einem Rokoko-Portal aus rosa Marmor mit dem Wappen des erzbischöflichen Stifters an den alten Standort. Sie ist verziert mit dem Bild des Pelikans, der sich die Brust aufreißt, um mit seinem Blut die Jungen zu nähren, ein altes Symbol für Christus.
Der Wiener geht ins „Pfandl“
Bekannter und langlebiger als die Salzburger Gründung wurde allerdings das Wiener Pendant in der Dorotheergasse, eine Gründung aus der Zeit von Kaiser Joseph I. Die Anstalt wird von den Wienern liebevoll als „Pfandl“bezeichnet, auch „Tante Dorothee“, jemand „trägt was ins Pfandl“wurde in Wien ein gängiger Ausdruck für die Belehnung eines Gebrauchsgegenstandes in Zeiten der Geldnot.
1707 entstand in der Inneren Stadt ein Frag- und Versatzamt, eine Art Verkaufsagentur, bei der man zu Verkauf angebotene Güter wie Bücher, Pferde, Wein, Immobilien gegen eine Einschreibgebühr eintragen lassen konnte. Irgendwann ging das in einem Annoncenteil in der „Wiener Zeitung“auf, und es blieb das für das Pfandgeschäft zuständige Versatzamt im ehemaligen Kloster der Heiligen Dorothea.
Das heutige Dorotheum ist ein Bau aus der Ringstraßenepoche, sein Name taucht in der „Neuen Freien Presse“am 17. September 1901 zum ersten Mal auf: Man wunderte sich hier, dass eine kappadokische Märtyrerin Namensgeberin für eine solche Einrichtung sei, aber leichter einbürgern ließ sich so ein Name doch als die sperrige Bezeichnung „K.k. Versatz-, Verwahrungs- und Versteigerungsamt“.
Zudem sei den meisten Wienern, hieß es, das alte Dorotheerkloster noch ein Begriff, sodass sie sich die Adresse leicht merken könnten. Und überhaupt: Vielleicht sei der Name einer Heiligen doch ein Trost für die „Versatzamt-Clienten“. Und er erinnere doch nachhaltig an die ursprünglichen wohltätigen Schöpfungen der Monti di Piet`a aus dem Mittelalter, in denen Geld ohne Zinsen geliehen wurde.