Kometenstaub aus dem Labor
Weltraum. Am Grazer Institut für Weltraumforschung wird die Oberfläche von Kometen nachgeahmt und erforscht. Messdaten der Rosetta-Sonde sollen so besser verstanden und die Vorbereitung künftiger Missionen erleichtert werden.
Sie kommen aus den Tiefen des Sonnensystems, weit hinter den letzten Planeten, wo ewige Nacht und eisige Kälte herrschen. Die Sonne erscheint nur mehr als heller Stern unter vielen, ihre Strahlen können selbst Kohlenmonoxid nicht mehr schmelzen – das Gas mit dem Siedepunkt von minus 191 Grad Celsius bleibt als festes Eis gefroren. Von hier, wo die Überreste aus den Anfängen des Sonnensystems vor der gefräßigen Anziehungskraft der vier Riesenplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun geschützt sind, stammen die meisten Himmelskörper, die auf der Erde als Kometen sichtbar sind, wenn sie sich auf ihrer Umlaufbahn der Sonne nähern.
Kosmische Zeitkapseln
„Kometen sind der Bauschutt aus der Entstehung des Sonnensystems“, beschreibt sie der Geophysiker Günther Kargl vom Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz. „Und das macht sie so interessant für uns: Da sie von so weit draußen stammen, sind sie unverändert geblieben und verraten uns viel über die Zeit, bevor sich die Planeten gebildet haben.“Um diese kosmischen Zeitkapseln zu erforschen wurde in den vergangenen Jahrzehnten gewaltiger Aufwand betrieben, dessen bisheriger Höhepunkt das Rendezvous der Rosetta-Sonde (s. Lexikon) mit dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko war.
Nach zehnjähriger Reise gelang es dem Raumschiff 2014, ein Landemodul auf dem Kometen abzusetzen, 720 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Dabei wurden – wieder einmal – viele Annahmen über die Himmelskörper über den Haufen geworfen, sagt Kargl. „Schon 1986, bei der ersten derartigen Mission, als sich die Giotto-Sonde dem Halleyschen
Kometen näherte, stellte sich heraus, dass fast alles, was man bis dahin dachte, falsch ist. Kometen galten damals noch als ,schmutzige Schneebälle‘, die hauptsächlich aus Wassereis sowie gefrorenem Kohlenmonoxid und -dioxid bestehen. Doch in Wahrheit sind sie eher ,schneeige Schmutzbälle‘, der mineralische und organische Anteil ist deutlich größer als damals gedacht. Und auch bei der Rosetta-Mission zeigte sich, dass viele Grundannahmen nicht richtig waren, vor allem die Eigenschaften der Kometenoberfläche überraschten die Forscher.“
Die sogenannten Ausgasungsmechanismen, also jene Prozesse, die für die viele Millionen Kilometer langen Schweife von Kometen in Sonnennähe verantwortlich sind, erwiesen sich etwa als deutlich komplexer als angenommen. Um sie besser zu verstehen, initiierte Kargl ein vom Wissenschaftsfonds FWF finanziertes Projekt, bei dem die Kometenoberfläche im Labor simuliert werden soll.
Physikalische Grenzbereiche
Kein einfaches Unterfangen: Um die Prozesse auf der Oberfläche eines Kometen zu imitieren, muss nicht nur passendes Material gefunden, auch die extremen Bedingungen des Weltalls müssen nachgeahmt werden. „Typischerweise arbeiten wir mit Vakuumkammern mit Kühlsystemen, die wir mit flüssigem Stickstoff auf 77 Kelvin (minus 196 Grad Celsius, Anm.) herunterkühlen. Je nach Versuchsaufbau bestrahlen wir die Probe dann etwa mit einer künstlichen Sonne, um herauszufinden, wie sich die Wärme darin ausbreitet.“In einem anderen Experiment, das Kargls Team derzeit in Graz durchführt, wird die Gasdurchlässigkeit des Materials untersucht. „Dabei stoßen wir auch auf Grenzbereiche, in denen unsere physikalischen Modelle nicht mehr funktionieren. Hier muss man dann versuchen, mit neuen mathematischen Methoden eine bessere Beschreibung zu finden.“
Komplexe Konsistenzen
Da auf der Erde nur wenige Milligramm echten Materials zur Verfügung stehen, arbeitet Kargls Gruppe bei seinen Experimenten mit künstlich hergestelltem Kometenstaub. „Die Grundbestandteile von Kometen wie Mineralien oder organische Substanzen finden wir ja auch alle auf der Erde. Die technische Herausforderung ist aber, das Material richtig aufzubereiten, da braucht es etwa die richtigen Korngrößen und Verteilungen.“Die Zusammensetzung der Kometen ist hochkomplex, so Kargl, und kann unterschiedlichste Konsistenzen einnehmen, „von Zigarettenasche bis hin zu Beton“, je nachdem, wie lang es der Sonne ausgesetzt war.
Ziel seiner Arbeit sei es, experimentelle Standards zu entwickeln, wie sie für Mond- oder Marsgestein bereits existieren, betont der Geophysiker. Damit ließen sich nicht nur die Daten bisheriger Missionen besser auswerten, sondern auch zukünftige Flüge zu Kometen besser vorbereiten.