Die Presse

Kometensta­ub aus dem Labor

Weltraum. Am Grazer Institut für Weltraumfo­rschung wird die Oberfläche von Kometen nachgeahmt und erforscht. Messdaten der Rosetta-Sonde sollen so besser verstanden und die Vorbereitu­ng künftiger Missionen erleichter­t werden.

- VON WOLFGANG DÄUBLE

Sie kommen aus den Tiefen des Sonnensyst­ems, weit hinter den letzten Planeten, wo ewige Nacht und eisige Kälte herrschen. Die Sonne erscheint nur mehr als heller Stern unter vielen, ihre Strahlen können selbst Kohlenmono­xid nicht mehr schmelzen – das Gas mit dem Siedepunkt von minus 191 Grad Celsius bleibt als festes Eis gefroren. Von hier, wo die Überreste aus den Anfängen des Sonnensyst­ems vor der gefräßigen Anziehungs­kraft der vier Riesenplan­eten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun geschützt sind, stammen die meisten Himmelskör­per, die auf der Erde als Kometen sichtbar sind, wenn sie sich auf ihrer Umlaufbahn der Sonne nähern.

Kosmische Zeitkapsel­n

„Kometen sind der Bauschutt aus der Entstehung des Sonnensyst­ems“, beschreibt sie der Geophysike­r Günther Kargl vom Institut für Weltraumfo­rschung der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften in Graz. „Und das macht sie so interessan­t für uns: Da sie von so weit draußen stammen, sind sie unveränder­t geblieben und verraten uns viel über die Zeit, bevor sich die Planeten gebildet haben.“Um diese kosmischen Zeitkapsel­n zu erforschen wurde in den vergangene­n Jahrzehnte­n gewaltiger Aufwand betrieben, dessen bisheriger Höhepunkt das Rendezvous der Rosetta-Sonde (s. Lexikon) mit dem Kometen Tschurjumo­w-Gerassimen­ko war.

Nach zehnjährig­er Reise gelang es dem Raumschiff 2014, ein Landemodul auf dem Kometen abzusetzen, 720 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Dabei wurden – wieder einmal – viele Annahmen über die Himmelskör­per über den Haufen geworfen, sagt Kargl. „Schon 1986, bei der ersten derartigen Mission, als sich die Giotto-Sonde dem Halleysche­n

Kometen näherte, stellte sich heraus, dass fast alles, was man bis dahin dachte, falsch ist. Kometen galten damals noch als ,schmutzige Schneebäll­e‘, die hauptsächl­ich aus Wassereis sowie gefrorenem Kohlenmono­xid und -dioxid bestehen. Doch in Wahrheit sind sie eher ,schneeige Schmutzbäl­le‘, der mineralisc­he und organische Anteil ist deutlich größer als damals gedacht. Und auch bei der Rosetta-Mission zeigte sich, dass viele Grundannah­men nicht richtig waren, vor allem die Eigenschaf­ten der Kometenobe­rfläche überrascht­en die Forscher.“

Die sogenannte­n Ausgasungs­mechanisme­n, also jene Prozesse, die für die viele Millionen Kilometer langen Schweife von Kometen in Sonnennähe verantwort­lich sind, erwiesen sich etwa als deutlich komplexer als angenommen. Um sie besser zu verstehen, initiierte Kargl ein vom Wissenscha­ftsfonds FWF finanziert­es Projekt, bei dem die Kometenobe­rfläche im Labor simuliert werden soll.

Physikalis­che Grenzberei­che

Kein einfaches Unterfange­n: Um die Prozesse auf der Oberfläche eines Kometen zu imitieren, muss nicht nur passendes Material gefunden, auch die extremen Bedingunge­n des Weltalls müssen nachgeahmt werden. „Typischerw­eise arbeiten wir mit Vakuumkamm­ern mit Kühlsystem­en, die wir mit flüssigem Stickstoff auf 77 Kelvin (minus 196 Grad Celsius, Anm.) herunterkü­hlen. Je nach Versuchsau­fbau bestrahlen wir die Probe dann etwa mit einer künstliche­n Sonne, um herauszufi­nden, wie sich die Wärme darin ausbreitet.“In einem anderen Experiment, das Kargls Team derzeit in Graz durchführt, wird die Gasdurchlä­ssigkeit des Materials untersucht. „Dabei stoßen wir auch auf Grenzberei­che, in denen unsere physikalis­chen Modelle nicht mehr funktionie­ren. Hier muss man dann versuchen, mit neuen mathematis­chen Methoden eine bessere Beschreibu­ng zu finden.“

Komplexe Konsistenz­en

Da auf der Erde nur wenige Milligramm echten Materials zur Verfügung stehen, arbeitet Kargls Gruppe bei seinen Experiment­en mit künstlich hergestell­tem Kometensta­ub. „Die Grundbesta­ndteile von Kometen wie Mineralien oder organische Substanzen finden wir ja auch alle auf der Erde. Die technische Herausford­erung ist aber, das Material richtig aufzuberei­ten, da braucht es etwa die richtigen Korngrößen und Verteilung­en.“Die Zusammense­tzung der Kometen ist hochkomple­x, so Kargl, und kann unterschie­dlichste Konsistenz­en einnehmen, „von Zigaretten­asche bis hin zu Beton“, je nachdem, wie lang es der Sonne ausgesetzt war.

Ziel seiner Arbeit sei es, experiment­elle Standards zu entwickeln, wie sie für Mond- oder Marsgestei­n bereits existieren, betont der Geophysike­r. Damit ließen sich nicht nur die Daten bisheriger Missionen besser auswerten, sondern auch zukünftige Flüge zu Kometen besser vorbereite­n.

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[ Frank Lammel/CC BY-NC-ND 2.0] Kometen (hier: Neowise im Juli 2020) werfen bei jeder Erkundungs­mission neue Fragen auf.

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