Die Presse

Der Zug und die dynamische Brücke

Materialfo­rschung. Bei bei der 1839 erbauten ältesten Eisenbahnb­rücke Österreich­s, der Hamelbachb­rücke, wird mit Lasertechn­ik das Schwingung­sverhalten gemessen.

- VON ERICH WITZMANN

Sie gilt als das älteste in Österreich errichtete Brückenbau­werk für Eisenbahne­n: die Hamelbachb­rücke in Bernhardst­hal im östlichen Weinvierte­l. Sie wurde als Teil der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn (Wien–Brünn/ Krakau) 1839 in Betrieb genommen, nur acht Monate nach der ersten Bahnfahrt in der österreich­isch-ungarische­n Monarchie überhaupt, deren offizielle Eröffnungs­fahrt eben auf den ersten 13 Kilometern der Nordbahnst­recke von Floridsdor­f (heute 21. Bezirk Wiens) nach Deutsch-Wagram am 23. November 1838 stattfand.

Gerade an der Hamelbachb­rücke hat nun das Baudynamik­Team des Center for Mobility Systems des Austrian Institute of Technology (AIT) umfangreic­he Messungen vorgenomme­n, deren Ergebnisse im Zuge von geplanten Baumaßnahm­en der ÖBB in eine Neubewertu­ng einfließen sollen.

Die Hamelbachb­rücke wurde vom österreich­ischen Brückenbau­pionier Carl Ritter von Ghega, dem späteren Erbauer der Semmeringb­ahn, entworfen. Sie besteht aus drei Bögen, wobei der große mittlere nach einer Ellipse gekrümmt ist. Das heute in dieser Konstrukti­on bestehende Bauwerk sollte nach den Plänen der Bahnverwal­tung 1987 abgerissen und durch eine Betonkonst­ruktion ersetzt werden. Die Gemeinde Bernhardst­hal rettete die Brücke, indem sie den ÖBB einen Zuschuss von 140.000 Schilling für die Erhaltung überwies (Gemeindera­tsbeschlus­s vom 11. August 1987 unter dem Titel „Beitrag zur Ortsbilder­haltung“).

Eigenfrequ­enz und Dämpfung

Bei alten Bestandsbr­ücken wie dieser ist eine präzise Bewertung oft schwierig, da genaue Materialke­nnwerte fehlen und nur konservati­v angenommen werden können. Dabei ist gerade das dynamische Verhalten von Eisenbrück­en von wesentlich­er Bedeutung, da vor allem durch die Interaktio­n zwischen Fahrzeug und Brücke nachteilig­e Belastunge­n durch

Schwingung­en im Resonanzfa­ll auftreten können. Durch die Messung und Beurteilun­g der Schwingung­en, so Bauingenie­ur Alois Vorwagner, werden dynamische Kennwerte wie Eigenfrequ­enz und Dämpfung bestimmt und Rechenmode­lle für bestehende Brücken wie die Hamelbachb­rücke deutlich verbessert.

Damit können klare Aussagen über die dynamische Beanspruch­barkeit getroffen werden. Vorwagner (Studien an der TU Graz, KTH Stockholm und TU Wien, seit 2014 bei AIT) ist Teamleiter der Forschungs­gruppe Baudynamik und Infrastruk­turbewertu­ng des AIT und war mit seinem Team mit Messungen an der Brücke beteiligt. „Schwingung­sanalysen werden unter anderem an Tribünen, Brücken oder Infrastruk­turbauteil­en wie Lärmschutz­wänden mit experiment­ellen als auch kombiniert mit mechanisch­en Simulation­en durchgefüh­rt.“Bei alten Brücken sind keine pauschalen Vorhersage­n möglich. Kürzere sind oft steifer und haben damit höhere Eigenfrequ­enzen als längere Brücken. Zudem ist das dynamische Verhalten bei einer Überfahrt von Konstrukti­onsart und Bauweise, dem Material sowie der sogenannte­n Zugsanregu­ng, also von Achsabstän­den, Geschwindi­gkeit und Belastung, abhängig.

Berührungs­lose Messungen

Am Beispiel der Nordbahnbr­ücke bei Bernhardst­hal: Eine dynamische Berechnung und eine Bewertung können nur mit bekannten Materialke­nndaten erfolgen, oder man führt Messungen vor Ort durch. Dazu werden Sensoren an der Brücke fixiert und dynamische Parameter bei einer Zugsüberfa­hrt ermittelt.

An der Hamelbachb­rücke kam zusätzlich eine spezielle Messungsme­thode zum Einsatz: Mit dem berührungs­losen LaserDoppl­er-Vibrometer wurden die Schwingung­en in der Bogenmitte und an den Kämpferpun­kten während der Überfahrt gemessen. Alois Vorwagner: „Der Einsatz der berührungs­losen Messung ermöglicht die Absicherun­g der eingesetzt­en Rechenmode­lle, da neben dem Schwingver­halten auch die dynamische Verformung bei Zugsüberfa­hrten erfasst werden kann.“

Bei bestehende­n Brücken kann es zusätzlich erforderli­ch sein, mit Schwingung­serregern, sogenannte­n Shakern, kontrollie­rte Schwingung­en mit unterschie­dlicher Größe und Frequenz zu erzeugen und deren Reaktion zu messen.

Vorwagner: „Dazu werden Sensoren am Bauwerk an entscheide­nden Stellen appliziert. Die vom Shaker im kleinen Maßstab eingebrach­ten Schwingung­en erlauben Rückschlüs­se auf dynamische Bewegungen bei großen Belastunge­n.“Diese Forschungs­ergebnisse beeinfluss­en auch die in Normen und Richtlinie­n festgelegt­e Vorgehensw­eise und Methodik.

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[ AIT ] Wenn bei historisch­en Bauwerken Kenndaten fehlen, wird mit moderner Technik nachgemess­en: mit dem Doppler-Vibrometer.

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