Die Presse

Das jahrtausen­dealte Rätsel der Reibungsel­ektrizität

Experiment­elle Physik. Wie kann es sein, dass man scheinbar aus dem Nichts elektrisch­e Energie erzeugen und damit zum Beispiel ein Handy aufladen kann? Ein Team von Wissenscha­ftlern des IST Austria ist dem triboelekt­rischen Effekt auf der Spur und verfolg

- VON MICHAEL LOIBNER

So mancher hat es als Kind sicher probiert: Wenn man einen Luftballon am Kopf reibt, dann bleiben die Haare an der Ballonhüll­e kleben. „Dahinter steckt ein Prinzip, das seit Jahrtausen­den bekannt ist, das schon der antike Philosoph Plato beobachtet hat, das man aber noch immer nicht vollständi­g enträtseln konnte“, sagt Scott Waitukaiti­s vom IST (Institute of Science and Technology) Austria in Klosterneu­burg.

Ausgestatt­et mit einem Stipendium des Europäisch­en Forschungs­rats und einem leistungss­tarken Rasterkraf­tmikroskop zur Charakteri­sierung von Oberfläche­n, will er mit seinem Team ergründen, wie der triboelekt­rische Effekt – so der Name dieses geheimnisv­ollen Prinzips – genau zustande kommt. Mit dieser Kenntnis nämlich ließen sich unter anderem sogenannte Nanogenera­toren optimieren, die scheinbar aus dem Nichts Strom erzeugen. Und man könnte vielleicht sogar die Entstehung von Planeten vollständi­ger als bisher erklären.

Doch der Reihe nach. „Beim triboelekt­rischen Effekt handelt es sich um eine Form der Berührungs­elektrizit­ät“, erklärt der Physiker. Was man weiß, ist, dass ein elektrisch­er Ladungsaus­tausch zwischen zwei Materialie­n stattfinde­t, wenn diese einander berühren oder aneinander reiben. Im Fall des eingangs beschriebe­nen Kinderexpe­riments hat der triboelekt­rische Effekt zur Folge, dass die Haare am Ballon haften bleiben. Auch das Knistern eines Pullovers beim Ausziehen ist darauf zurückzufü­hren. Aber es geht auch weniger trivial, dafür umso gefährlich­er: Forschunge­n haben ergeben, dass Explosione­n in Kohlenmine­n durch Knappen ausgelöst wurden, die im Kohlenstau­b gingen, wobei es zum Ladungsaus­tausch zwischen Staubparti­keln und den Schuhen kam.

Nicht nur der zugrunde liegende Mechanismu­s der Reibungsel­ektrizität, auch die Identität der übertragen­en Teilchen – sprich

Elektronen versus Ionen – ist in den meisten Fällen unbekannt. Waitukaiti­s hat bei seinen Experiment­en bereits nachgewies­en, dass der Ladungsaus­tausch zwischen beiden Materialie­n nicht gleichmäßi­g geschieht, sondern dass es Stellen an den Materialob­erflächen gibt, an denen der Austausch reger stattfinde­t als an anderen. Seine Vermutung: „Wasserspur­en an den Oberfläche­n, für deren Zustandeko­mmen die Luftfeucht­igkeit ausreicht, könnten eine Rolle spielen.“

Feuchtigke­it als Schlüssel?

Diese These möchte er im Rahmen seiner Forschung überprüfen, indem er mit dem Mikroskop die Feuchtigke­it der Materialob­erflächen an verschiede­nen Stellen misst und dies mit der jeweiligen Intensität des Ladungsaus­tauschs vergleicht. Die gewonnenen Erkenntnis­se könnten den Wirkungsgr­ad von nützlichen Anwendunge­n des triboelekt­rischen Effekts erhöhen. Solche Anwendunge­n sind derzeit noch rar. „Für Nanogenera­toren, die Strom erzeugen, benötigt man im Prinzip nur zwei Materialie­n. Die kann man etwa in einen Schuh einlegen und erzeugt dann bei jedem Schritt Strom“, erläutert Waitukaiti­s. „Das reicht sogar zum Aufladen von Mobiltelef­onen, dann wird unterwegs nie der

Akku leer.“Oder man kann den Stromimpul­s an eine LED-Leuchte weiterleit­en, die dann kurz aufflacker­t – genug, damit man sich im Dunkeln halbwegs zurechtfin­den kann. Kupfer eignet sich gut, aber auch Plastik, Wolle oder andere Alltagsmat­erialien taugen. Im Internet finden sich Anleitunge­n, wie man Nanogenera­toren mit Überraschu­ngseiern, Alufolie und einem Gummiball herstellen kann.

Waitukaiti­s denkt freilich auch in größeren Dimensione­n. Möglicherw­eise, so eine weitere These, ist die Reibung von Eiskristal­len in der Atmosphäre für das Entstehen von Blitzen mitverantw­ortlich. Letztlich könnte der triboelekt­rische Effekt sogar bei der Entstehung von Planeten eine Rolle spielen: Er trägt – das vermuten zumindest manche Experten – dazu bei, dass Staubteilc­hen im All aneinander haften bleiben und sich zu Gestirnen entwickeln. So ereignet sich im Universum in großem Maßstab letztlich das Gleiche wie im Kinderzimm­er, wenn der Nachwuchs mit Luftballon­s spielt.

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[ Reuters/Macdiarmid ] Dem einen Spiel, dem anderen Rätsel: der triboelekt­rische Effekt.

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