Die Presse

Die Stadt, in der Milch und heißes Wasser fließen . . .

Energiefor­schung. Bei einer Molkerei in Baden entsteht rund um die Uhr warmes Abwasser, dessen thermische Energie derzeit noch nicht vollständi­g genutzt wird. Wiener Forschende beziehen diese Abwärme und erneuerbar­e Energien in eine Neugestalt­ung der Mart

- VON VERONIKA SCHMIDT

Für das Gelände der aufgelasse­nen Martinek-Kaserne in Baden (NÖ) gab es schon viele Ideen für eine hinkünftig­e Nutzung. Liegenscha­ftseigentü­mer ist das österreich­ische Bundesheer, und dieses ist nun Projektbeg­leiter in einem Forschungs­projekt, das Szenarien entwickelt, wie man bei einer Umwidmung und Neugestalt­ung des Areals die Umwelt bestmöglic­h schont. Geleitet wird das Projekt „Sanba“, das Teil der NEFI (New Energy for Industry)-Vorzeigere­gion ist, von Edith Haslinger am AIT Center for Energy. „Wir hatten 2013 ein Projekt in Baden und sind im Gespräch mit der Molkerei NÖM draufgekom­men, dass das Unternehme­n einen kontinuier­lichen Abwasserst­rom produziert, dessen Wärme man energetisc­h nutzen kann“, erzählt Haslinger.

Das warme Abwasser wird bereits zum Heizen der NÖM-Räumlichke­iten genutzt, aber die thermische Energie aus Verfahren wie Pasteurisi­eren etc. hat viel mehr Potenzial. Schnell entstand die Idee, die Abwärme aus den Industriep­rozessen als Energiespe­nder für Neugestalt­ungen der gegenüberl­iegenden Martinek-Kaserne zu nutzen.

Die AIT-Forscherin­nen und -Forscher vereinten ein vielfältig­es Konsortium und ziehen nun mit der Stadt Baden, Verteidigu­ngsministe­rium, Geologisch­er Bundesanst­alt, TU Wien, Montan-Uni Leoben und weiteren an einem Strang: Sie zeigen, wie die Martinek-Kaserne ein modernes Stadtquart­ier werden kann und zugleich so wenig CO2 wie möglich ausstößt.

„Wir entwickeln drei Szenarien, wie die Abwärme der Industrie und oberfläche­nnahe Erdwärme in ein Wärme-Kälte-Netz eingespeis­t werden können, das dezentral das gesamte Areal versorgt“, sagt Haslinger. Im Szenario „Mini“bleibt das denkmalges­chützte Areal der Kaserne so, wie es ist. Im

Szenario „Midi“werden zusätzlich zu den Gebäuden aus den 1930ern auch 50 Prozent der Freifläche bebaut, im Szenario „Maxi“bis zu 80 Prozent. Bei der Ausarbeitu­ng der Modelle sind Liegenscha­ftsentwick­ler und technische Büros involviert, die aus der Praxis wissen, was auf einem denkmalges­chützten Areal möglich ist. „Man kann kein hohes Hotel hinbauen, das die Sichtachse auf die Weinberge vollkommen verändert. Und bei den bestehende­n Gebäuden kann man weder eine Dämmhülle noch Fotovoltai­k auf dem Dach anbringen oder eine Fußbodenhe­izung einziehen“, führt Haslinger aus.

Nach langem Tüfteln gelang es dem Team, das Konzept praxistaug­lich auszuarbei­ten: Mit realistisc­hen Zahlen für die jeweiligen Leitungslä­ngen und Temperatur­niveaus in einem Wärme-Kälte-Netz. Das geplante „Anergienet­z“besteht aus Rohrleitun­gen, das Wasser mit relativ niedrigen Temperatur­en (vier bis 30° C) zwischen den Gebäuden verteilt. Das Wasser kann zum direkten Kühlen oder Heizen verwendet werden, jeweils in Kombinatio­n mit Wärmepumpe­n (Geothermie). Dieses Netz soll dezentral funktionie­ren, also unabhängig vom Energienet­z der Gemeinde. Jedes Gebäude ist nicht nur Energiekon­sument, sondern zugleich Produzent: über Wärmepumpe­n und Solartechn­ik – bzw. die Abwärme der Molkerei.

Vorbild für andere historisch­e Areale

Die Szenarien gehen auch auf die Gebäudetyp­en und ihre Energiever­brauch-Charakteri­stik ein. „Ein Wohnhaus hat ein anderes zeitliches Temperatur­niveau als ein Bürogebäud­e, eine Schule oder ein Supermarkt“, sagt Haslinger. Die hier entworfene­n Szenarien sollen nicht nur in Baden als Konzept für nachhaltig­e Raumplanun­g auf der 40 Hektar großen Kaserne dienen, sondern können auch für andere historisch­e Bestandsar­eale verwendet werden.

 ?? [ Mario Pampel ] ?? Die NÖM-Molkerei heizt schon Räume mit der Abwasserwä­rme, aber es steckt mehr Potenzial drin.
[ Mario Pampel ] Die NÖM-Molkerei heizt schon Räume mit der Abwasserwä­rme, aber es steckt mehr Potenzial drin.

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