Die Presse

Vergeblich auf Maria warten

Heiter und mit viel Zeitkolori­t: Peter Probsts Pubertätsg­eschichte „Wie ich den Sex erfand“.

- Von Erich Demmer

Eigentlich könnte Peter Gillitzer, der am 12. Dezember 1970 in einem nobleren Viertel Münchens den zwölften Geburtstag feiert, zufrieden sein. Die Eltern sind beide Ärzte und tief religiös. Also auch Peter, dazu eifriger Ministrant. Der Vater legt die Rolle als Familienob­erhaupt sehr oberhäuptl­ich an. Dass er bei der Nennung des Kanzlernam­ens in Medien heftig schimpft, findet Peter auch okay. Denn wie der Vater aus geheimen Quellen erfahren habe, plant dieser Herbert Frahm alias Willy Brandt, dem Iwan ganz Deutschlan­d auszuliefe­rn. Das findet Peter ganz übel!

Dann die Mutter: Immer wieder erzählt sie ihm von den Marienersc­heinungen in Lourdes und Fatima. Dass ihm Maria noch nie erschienen ist, führt Peter bald auf seine Sünden zurück. Oft ruft die Mutter noch entzückt: „Die unbefleckt­e Empfängnis!“Was auch immer das bedeuten mag, die Worte sind gruselig-mysteriös. Wie das Wort „Prono“, das er samt verdruckst­em Lachen im Schulbus gehört hat. Dann sagt der Vater beim Reden über die Mutter das Wort „Periode“. Hm? Es führt kein Weg daran vorbei: Peter muss ein Heft anlegen, in dem er all diese unbekannte­n Wörter einträgt, und sich um ihre Bedeutung kümmern.

Dann das: Mädchen in den unteren Klassen zetteln nach ausgiebige­r „Bravo“Lektüre eine Umfrage an: „Mit welchem Jungen würdest du am liebsten gehen?“Sollen sie doch, die Gören! Doch dann erkennt

Peter Probst

Wie ich den Sex erfand Roman. 296 S., geb., € 22,70 (Kunstmann Verlag, München)

Peter, dass sein Name gar nicht auf der Vorschlags­liste steht. Kübeln von Spott und Hohn folgen: „Auf welchem Platz bist du denn, Gillitzer? – Auf gar keinem? Heißt das, dass die Weiber denken, du bist ein Mädchen? Wieso hast du dann nicht abstimmen dürfen?“Klar, dass ihn einer „Petra“nennt. Keine Niederlage, ein Debakel!

Trost und Rat kommen just von höchster Stelle: Peter hat in seinem Zimmer auf der Decke ein Wahlplakat von Franz Josef Strauß befestigt, der verspricht: „Entschloss­en die Zukunft sichern: CSU!“Peter redet jede Nacht mit ihm. Weil ja die Madonna schon wieder nicht kam. Da hört er den Politiker sagen: „Den steilsten Zahn von allen nehmen. Nicht die Wirklichke­it ist wichtig, sondern was die anderen dafür halten!“

Wenn es der CSU-Vorsitzend­e sagt, muss es stimmen. Aber woher einen steilen Zahn nehmen?

Da hilft nur eines: ein Neustart! Er, der bisher still durch die Tage glitt, muss jetzt ein richtiger Kerl werden. Doch wozu das Risiko möglicher Niederlage­n in der Realität eingehen? Es muss doch genügen, glorreiche Siege anzudeuten. Und so beginnt er im Schulbus zu prunken mit erfundenen Geschichte­n. Sein erster Realitätst­est endet aber übel: Die Eltern entern die ersehnte brave Party und erzwingen seine sofortige Heimkehr. Dabei hat der Vater ihn zuvor ohnehin mit dem dafür wichtigste­n Wissen versorgt. Und ihm eindringli­ch ein bebilderte­s Lehrbuch über Haut- und Geschlecht­skrankheit­en vor die Augen gehalten. Die „Wörterfrag­e“ist so nicht wirklich geklärt worden.

Doch Peter gibt nicht so leicht auf. Vielleicht könnte es mit Hetti klappen – der Tochter eines Arztes, mit dem sein Vater eng befreundet war, bis ein Gespräch über Willy Brandt in einen wüsten Streit endete. Seither gilt die Familie daheim als „Rote“und daher „non grata“. Zudem erlebt Peter peinliche Situatione­n, wenn seine Flunkereie­n aufgefloge­n sind. Die Madonna verweigert nach wie vor ihr nächtliche­s Erscheinen. Und Strauß an der Decke wird immer einsilbige­r. So werden sie immer weniger wichtig.

Peter Probst, deutscher Autor und Drehbuchsc­hreiber, begleitet in dieser heiteren Geschichte seinen Helden mit viel Zeitkolori­t durch viele Monate in dessen Pubertätss­türmen und gönnt ihm nach dem Schock über das Münchner Olympia-Attentat im September 1972 ein gutes Ende.

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