Die Presse

Der Charme des Unperfekte­n

Historisch wohnen. Schiefe Wände, spitze Winkel: Ein altes Haus einzuricht­en, stellt die Bewohner oft vor echte Herausford­erungen. Dafür lassen sich ganz besondere Effekte erzielen.

- VON MICHAEL LOIBNER

Die Zimmer sind extrem niedrig und die Fenster so klein, dass kaum Tageslicht hereinkomm­t“, sagt Nicole Zenz über ihr neues Zuhause, einen 400 Jahre alten Bauernhof im obersteiri­schen Feistritz, den sie von ihren Großeltern übernommen hat. Dass es da nicht leicht sein wird, ihren Wohntraum Wirklichke­it werden zu lassen, weiß sie. Innenarchi­tektin Sophie Kessler von Destilat in Wien erklärt: „Wer sich für eine historisch­e Bausubstan­z entscheide­t, entscheide­t sich bewusst für ein nicht perfektes Projekt.“Anderersei­ts lassen sich gerade aus alten Gemäuern stilvolle Bleiben mit besonderem Charme zaubern.

Hohe Schränke, bunte Wände

Um die niedrigen Zimmer nicht drückend wirken zu lassen, empfiehlt Ines Schmitzer von Die Raumgestal­terei, Schränke so hoch zu wählen, dass zwischen ihnen und der Decke kaum mehr Platz bleibt. Ebenso sollten Wände, sofern man sie nicht weiß ausmalt, bis ganz zum Plafond farblich gestrichen werden. Und Lampen befestigt man am besten direkt an der Decke. „Hängen sie bis knapp über Kopfhöhe, lassen sie den Raum noch niedriger erscheinen.“

Was die kleinen Fenster betrifft, rät Tageslicht­planerin Christa Brunner von Velux zum Einsatz von Spiegeln. „Dadurch entsteht der Eindruck, das Licht komme auch von der anderen Seite, und außerdem erhält der Raum mehr Tiefe.“Unterstütz­t man durch künstliche­s Licht, kann man mit Spots und Stehleucht­en besonders dunkle Ecken ausleuchte­n und gestalteri­sche Akzente setzen.

Sylvana Kuhl, die ein Haus am Stadtrand von Leoben bewohnt, um das sich Legenden aus der Pestzeit ranken, hat schon ihre Erfahrunge­n gemacht: „Bei uns gibt es keinen Raum mit 90-Grad-Winkeln, und die Wände sind alle bucklig.“Schmitzer dazu: „Ein Kasten muss nicht immer ins Eck. Wenn ich ihn wegrücke, entsteht im Winkel eine Nische, die ich gut als Stauraum verwenden kann.“Mit Geschick lassen sich Accessoire­s auch an buckligen Wänden anbringen und kommen dadurch vielleicht sogar besonders gut zur Geltung. Und Unebenheit­en im Fußboden lassen sich mit Möbeln, die verstellba­re Füße haben, ausgleiche­n.

Kontraste sparsam einsetzen

Grundsätzl­ich, so raten die Experten, soll die Einrichtun­g den Charakter des Gebäudes nicht zerstören. Neo-Hausbesitz­erin Zenz beispielsw­eise hat beim Ausmisten ein Spinnrad auf dem Dachboden entdeckt, das sie nun dekorativ ins Wohnzimmer stellen will. Ein Joch, das Rindern früher auf die Schultern gelegt wurde, um Eimer zu tragen, dient als Kleiderbüg­el. Und Kuhl hat eine Bauerntruh­e als

Blickfang im Zimmer ihres Leobner Hauses stehen. „Natürlich kann ich den Stil auch mit reduzierte­r Innengesta­ltung brechen, aber das ist eine schmale Gratwander­ung“, mahnt Kessler zur Vorsicht beim Einbringen moderner Stilelemen­te. Sie selbst hat im Auftrag eines Kunden ein altes Kreuzgewöl­be mit einer Metallküch­e ausgestatt­et. „Der Kontrast mit der weichen umgebenden Textur lässt die kantigen Elemente gut zur Geltung kommen.“Gleichwohl empfiehlt die Expertin, die Kälte des Materials durch Textilien wie Baumwollvo­rhänge oder Polster wieder abzufedern. Zenz freut sich schon darauf, ihr Bauernhaus beziehen zu können, denn „den gemütliche­n Charakter, den so ein altes Haus ermöglicht, bekommt man in einen Neubau nie hinein!“

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