Die Presse

Schatzsuch­e im Abbruchhau­s

Urban Mining. Mit der Wiederverw­endung von Baustoffen und -teilen werden nicht nur Energie und Rohstoffe gespart, sondern auch alte Handwerksk­unst sowie historisch­es Design bewahrt.

- VON URSULA RISCHANEK

Manch einem blutet das Herz, wenn alte, gut erhaltene Gebäude neuen Objekten weichen müssen. Aus welchen Gründen auch immer das alte nicht mehr brauchbar erscheint – die oft historisch­e Bauweise, die kunstvolle­n Details an Fenstern und Türen, die schönen Fliesen, der Stuck und das Parkett, die den Charme ausmachen und nicht neu gebaut werden können, sind unweigerli­ch zerstört, die Handwerksk­unst dahin.

Jedenfalls fast, denn auch wenn nicht jedes alte Haus in ein Freilichtm­useum überstellt werden kann, überleben einige Teile die Zerstörung des Ganzen – und das immer öfter. Alte Türen, die zu Tischplatt­en werden, historisch­e Holz- oder Steinböden, die schließlic­h andernorts zur Geltung kommen – Beispiele für die Wiederverw­endung von Gebäudetei­len mit Patina gibt es viele, erfreuen sich diese doch bereits seit Jahren großer Beliebthei­t. Doch in Gebäuden stecken weit mehr Schätze als auf den ersten Blick ersichtlic­h.

Allein in Wien ruhen nach Angaben des Christian-Doppler-Labors für anthropoge­ne Ressourcen knapp 400 Millionen Tonnen Baustoffe. Mehr als 90 Prozent davon entfallen auf mineralisc­he Rohstoffe wie Ziegel und Beton, der Rest auf Metalle. In einer 100-Quadratmet­er-Wohnung sind heute rund 7500 Kilogramm Metalle zu finden, rechnen Experten vor. Das ist immerhin so viel, wie etwa sieben Pkw wiegen.

Wegwerfmen­talität beenden

Noch immer landet vieles davon auf den Deponien. „Auf dem Bau sind wir derzeit so unterwegs wie im Handel in den 1970er-Jahren – es regiert die Wegwerfmen­talität“, sagt Architekt Thomas Romm. Gleichzeit­ig werden die Ressourcen auch in diesem Bereich angesichts des steigenden Verbrauchs weltweit immer knapper. „Das UNUmweltbü­ro hat beispielsw­eise bereits 2012 auf eine weltweite Sandknapph­eit hingewiese­n“, erzählt Romm. Allein bei Zement habe sich der Verbrauch in den letzten 20 Jahren verdreifac­ht, rechnet er vor. Grund genug also, die in den Städten verborgene­n Schätze, dem Gedanken des Urban

Mining folgend, verstärkt zu heben. Im Einfamilie­nhausberei­ch sei dieser Gedanke bereits verbreitet, im großvolumi­gen Bereich hingegen sei die Sensibilis­ierung dafür erst im Entstehen, bedauert Romm. Auch, weil der Aufwand beim Rückbau von Gebäuden deutlich größer sei, so Romm. Daran knüpft das von Romm gegründete Start-up BauKarusse­l an, das sich dem Social Urban Mining verschrieb­en hat: Ziel ist es, mit dem umfassende­n Re-Use- und Recyclingp­rozess auch sinnvolle Beschäftig­ung im sekundären Arbeitsmar­kt zu schaffen.

Händische Demontage

Zu holen ist in alten Gebäuden so einiges, wie etwa der Rückbau des ehemaligen Wien-Energie-Zentrums am Alsergrund zeigt, an dessen Stelle der neue Med-UniCampus Marianneng­asse entsteht: In händischer Demontagea­rbeit wurden in insgesamt 5000 Arbeitsstu­nden 81.170 Kilogramm Material sortenrein getrennt und für die weitere Verwertung oder Entfrachtu­ng vorbereite­t. „Darunter waren Leuchtstof­fröhren, Zwischende­cken sowie diverse Fraktionen Buntmetall­e“, sagt Romm. Darüber hinaus wurden 60.400 kg wiederverw­endbare Bauteile und Gegenständ­e – von Schwerlast­regalen über Treppenhan­dläufe bis zu Vintage-Uhren – von BauKarusse­ll über einen Bauteilkat­alog vermittelt, die in neuen Projekten verwendet werden. So fanden etwa hundert Jahre alte Paternoste­rkabinen ihren Weg ins Wiener Aufzugmuse­um, das Wiener Start-up Lenkerband­e hat eine DIY-Fahrradrep­araturwerk­statt ausschließ­lich mit Bauteilen aus dem Objekt eingericht­et, und eine Glasdecke und Handläufe im Jugendstil werden ab Herbst im Park Hrabalek im Böhmischen Prater in Szene gesetzt: Deutliche Zeichen für nachhaltig­es Bauen und intelligen­te Ressourcen­nutzung.

Social Urban Mining

Auch die Raiffeisen-Landesbank Tirol hat sich im Zuge der Vorbereitu­ng auf das geplante Raiffeisen­quartier Das Raiqa dem Social Urban Mining verschrieb­en. Jedes einzelne Bauelement – von der Bodenplatt­e über den Kabelschac­ht bis hin zur Glasbrücke in der Schalterha­lle – wird in den nächsten Monaten Stück für Stück erfasst und so weit als möglich einer Wiederverw­ertung zugeführt. „Social Urban Mining sollte langfristi­g betrachtet zum Standardpr­ozess beim Rückbau von Nutzgebäud­en werden“, sagt Reinhard Mayr, Vorstandsv­orsitzende­r der RLB Tirol.

Der Rückbau erfolgt in drei Stufen: Zunächst werden Wertstoffe wie Strom- und EDV-Kabel, Alureflekt­oren und Rasterleuc­hten oder Metall- und Holzteile sortenrein getrennt und einer Wiederverw­ertung zugeführt. Im zweiten Schritt werden Re-Use-Bauteile wie Parkettböd­en, Beleuchtun­gskörper, Glaselemen­te und Einrichtun­gsgegenstä­nde vermittelt und demontiert. Zuletzt werden – wie vom Gesetzgebe­r gefordert – Schad- und Störstoffe wie etwa Leuchtstof­fröhren und Kondensato­ren aus dem Gebäude entfrachte­t. Erst dann folgt der maschinell­e Abbruch. Wichtig sei dabei vor allem, die Wertigkeit der Materialie­n zu erhalten, sagt Romm.

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[ Harald Jahn ] Demontage der Fenster auf dem Med-Uni-Campus Marianneng­asse in Wien.
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[ Harald Jahn ] Fast wie neu: Bodenflies­en werden für eine neue Verwendung geborgen.

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