„Perfektion ist eine Illusion“
Jobsuche digital. Trotz Corona: Es gibt Jobs. Man muss sich nur jetzt auf rein digitale Abläufe einlassen. Zwei Umsteiger und eine Personalchefin erzählen, was sie im Lockdown dazulernten.
Catharina Fendt und Michael Pecnik haben eines gemeinsam: Beide gingen im März auf Jobsuche, als die Arbeitswelt vermeintlich stillstand. Stand sie still? Nicht im Geringsten.
Schon am Tag nach ihrer Bewerbung hatte Communication Managerin Fendt eine Antwort in ihrer Mailbox: „Wir wollen dich kennenlernen.“Das „du“verrät es: Fendt hatte sich bei Ikea beworben. Alles ging so schnell, dass sie vor dem ersten Videointerview gerade noch Zeit hatte, ein paar IkeaMöbel ins Bild zu rücken. Merke: Früher passte man Outfit und Styling der Zielfirma an, als gehöre man schon zum Team. Für Videointerviews gleicht man jetzt auch den Bildhintergrund an. Wer die falschen Möbel hat oder nichts Privates preisgeben will: neutralen Fotohintergrund einziehen.
Ähnlich rasant erlebte es Michael Pecnik. Mit einer Erschwernis: Der Grazer lebt und arbeitet in New York, bewarb sich aber bei Microsoft Wien als Director Customer Success/Business Apps. Für seinen Umstieg, sagt er, war ein gepflegtes Netzwerk entscheidend. Siehe da: Gleich zwei von Pecniks LinkedIn-Kontakten arbeiteten mit seinem künftigen Manager zusammen. Dank dieser zusätzlichen Quellen „konnten beide Seiten schnell einschätzen, ob die offene Position und ich gut zusammenpassen“. Faustregel: informelle Gespräche über Telefon oder AudioMeeting abwickeln, formelle mit eingeschalteter Kamera.
Perspektivenwechsel
Wie erleben Personalchefs den Aufnahmeprozess in Zeiten von Corona? HR-Director Doris Morawitz besetzt für Philips Speech laufend Stellen. Ihr fällt auf, „viel mehr Fragen“stellen zu müssen, um nicht nur Sach- und Fachinformationen, sondern auch persönliche, zwischenmenschliche zu bekommen. Für Bewerber: nicht wundern, wenn Recruiter jetzt bohren. Sie gleichen nur die Schwächen der virtuellen Medien aus. Morawitz holt jetzt verstärkt Infos bei ihren Personaldienstleistern ein.
Sie schätzt auch die große zeitliche Flexibilität der Bewerber im Home-Office: „Früher fanden Interviews nur zu Randzeiten statt. Jetzt jederzeit.“Dafür dauern sie länger.
Und es passieren technische Pannen. Morawitz erinnert sich an schiefgegangene Zoom-Meetings, Bewerberin Fendt konnte die Powerpoint-Präsentationen ihres ausgearbeiteten Business-Cases nicht mit dem Entscheiderteam teilen – Stress pur. Tipp: Es entspannt, wenn man sich vom Anspruch technischer Perfektion verabschiedet – „Perfektion ist eine Illusion!“– und einen Plan B und C in der Lade hat. Morawitz weicht auf Telefonkonferenzen aus, Fendt schickte ihre Präsentation per Mail vorab an die Recruiterin. Diese teilte sie dann.
Virtuelle Selbstpräsentationen haben einen weiteren Nachteil: Man kann die Reaktion der Juroren nicht in deren Gesichtern ablesen. Umso mehr schätzte es Fendt, im Nachhinein Feedback von ihrer Recruiterin bekommen zu haben – ein Schritt, den HR aber erst einplanen muss.
Willkommen an Bord
Glückwunsch, Sie haben den Job! Der Firma bringt es Sympathiepunkte, wenn der Geschäftsführer die Frohbotschaft überbringt, meist telefonisch. Die darauffolgenden Bürorundgänge und Vorstellungsrunden aber sind virtuell. Meist filmt ein Kollege Arbeitsplatz und Team, das sich gleich vorstellt.
Virtuelles Onboarding muss präziser geplant sein als echtes. Statt den Neuling „fliegend“von Hand zu Hand weiterzureichen, durchläuft er einen Marathon digitaler Vorstellungstermine mit Abteilungen, Buddys und Mentoren. Diese sind jetzt zwingend.
In New York hat Pecnik bis heute weder seine Wiener Kollegen noch das Büro „in echt“gesehen. „Kein Problem“, meint er lachend und verweist auf eine Eigenschaft, über die er gerade sehr froh ist: „mein Growth Mindset, jeden Tag Neues zu lernen und mich weiterentwickeln zu dürfen. Und gut mit Unsicherheit leben zu können. Weil keiner weiß, was morgen kommt.“