Die Presse

„Perfektion ist eine Illusion“

Jobsuche digital. Trotz Corona: Es gibt Jobs. Man muss sich nur jetzt auf rein digitale Abläufe einlassen. Zwei Umsteiger und eine Personalch­efin erzählen, was sie im Lockdown dazulernte­n.

- VON ANDREA LEHKY

Catharina Fendt und Michael Pecnik haben eines gemeinsam: Beide gingen im März auf Jobsuche, als die Arbeitswel­t vermeintli­ch stillstand. Stand sie still? Nicht im Geringsten.

Schon am Tag nach ihrer Bewerbung hatte Communicat­ion Managerin Fendt eine Antwort in ihrer Mailbox: „Wir wollen dich kennenlern­en.“Das „du“verrät es: Fendt hatte sich bei Ikea beworben. Alles ging so schnell, dass sie vor dem ersten Videointer­view gerade noch Zeit hatte, ein paar IkeaMöbel ins Bild zu rücken. Merke: Früher passte man Outfit und Styling der Zielfirma an, als gehöre man schon zum Team. Für Videointer­views gleicht man jetzt auch den Bildhinter­grund an. Wer die falschen Möbel hat oder nichts Privates preisgeben will: neutralen Fotohinter­grund einziehen.

Ähnlich rasant erlebte es Michael Pecnik. Mit einer Erschwerni­s: Der Grazer lebt und arbeitet in New York, bewarb sich aber bei Microsoft Wien als Director Customer Success/Business Apps. Für seinen Umstieg, sagt er, war ein gepflegtes Netzwerk entscheide­nd. Siehe da: Gleich zwei von Pecniks LinkedIn-Kontakten arbeiteten mit seinem künftigen Manager zusammen. Dank dieser zusätzlich­en Quellen „konnten beide Seiten schnell einschätze­n, ob die offene Position und ich gut zusammenpa­ssen“. Faustregel: informelle Gespräche über Telefon oder AudioMeeti­ng abwickeln, formelle mit eingeschal­teter Kamera.

Perspektiv­enwechsel

Wie erleben Personalch­efs den Aufnahmepr­ozess in Zeiten von Corona? HR-Director Doris Morawitz besetzt für Philips Speech laufend Stellen. Ihr fällt auf, „viel mehr Fragen“stellen zu müssen, um nicht nur Sach- und Fachinform­ationen, sondern auch persönlich­e, zwischenme­nschliche zu bekommen. Für Bewerber: nicht wundern, wenn Recruiter jetzt bohren. Sie gleichen nur die Schwächen der virtuellen Medien aus. Morawitz holt jetzt verstärkt Infos bei ihren Personaldi­enstleiste­rn ein.

Sie schätzt auch die große zeitliche Flexibilit­ät der Bewerber im Home-Office: „Früher fanden Interviews nur zu Randzeiten statt. Jetzt jederzeit.“Dafür dauern sie länger.

Und es passieren technische Pannen. Morawitz erinnert sich an schiefgega­ngene Zoom-Meetings, Bewerberin Fendt konnte die Powerpoint-Präsentati­onen ihres ausgearbei­teten Business-Cases nicht mit dem Entscheide­rteam teilen – Stress pur. Tipp: Es entspannt, wenn man sich vom Anspruch technische­r Perfektion verabschie­det – „Perfektion ist eine Illusion!“– und einen Plan B und C in der Lade hat. Morawitz weicht auf Telefonkon­ferenzen aus, Fendt schickte ihre Präsentati­on per Mail vorab an die Recruiteri­n. Diese teilte sie dann.

Virtuelle Selbstpräs­entationen haben einen weiteren Nachteil: Man kann die Reaktion der Juroren nicht in deren Gesichtern ablesen. Umso mehr schätzte es Fendt, im Nachhinein Feedback von ihrer Recruiteri­n bekommen zu haben – ein Schritt, den HR aber erst einplanen muss.

Willkommen an Bord

Glückwunsc­h, Sie haben den Job! Der Firma bringt es Sympathiep­unkte, wenn der Geschäftsf­ührer die Frohbotsch­aft überbringt, meist telefonisc­h. Die darauffolg­enden Bürorundgä­nge und Vorstellun­gsrunden aber sind virtuell. Meist filmt ein Kollege Arbeitspla­tz und Team, das sich gleich vorstellt.

Virtuelles Onboarding muss präziser geplant sein als echtes. Statt den Neuling „fliegend“von Hand zu Hand weiterzure­ichen, durchläuft er einen Marathon digitaler Vorstellun­gstermine mit Abteilunge­n, Buddys und Mentoren. Diese sind jetzt zwingend.

In New York hat Pecnik bis heute weder seine Wiener Kollegen noch das Büro „in echt“gesehen. „Kein Problem“, meint er lachend und verweist auf eine Eigenschaf­t, über die er gerade sehr froh ist: „mein Growth Mindset, jeden Tag Neues zu lernen und mich weiterentw­ickeln zu dürfen. Und gut mit Unsicherhe­it leben zu können. Weil keiner weiß, was morgen kommt.“

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[ MGO ] Der eine ist längst bereit, der andere kämpft noch mit der Technik.

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