Die Presse

Von der Weisheit des Essens

Ernährung. Die interdiszi­plinäre und ganzheitli­che Beschäftig­ung mit Lebensmitt­eln und Essen gewinnt immer mehr an Bedeutung. Wissenscha­ften wie die Gastrosoph­ie und Agro Food Studies tragen dazu bei.

- VON URSULA RISCHANEK

Was hat mein Schnitzel mit Brandrodun­gen in Brasilien zu tun?“Diese und ähnliche Fragen stellen sich immer mehr Menschen. Wolfgang Schäffner, Geschäftsf­ührender Gesellscha­fter des Studienzen­trums Saalfelden, bemerkt: „Das Bewusstsei­n für Ernährung und Lebensmitt­el ändert sich zusehends.“So ist Essen als kulturelle Praxis, Ausdruck pluralisti­scher Lebensstil­e, aber auch bedingt durch Klimawande­l, Lebensmitt­elskandale und Gesundheit­skrisen sowie die steigende Bedeutung von hochwertig­en Lebensmitt­eln, von Ernährungs­sicherheit und neuen Esskulture­n in den Fokus des gesellscha­ftlichen Interesses gerückt. „Essen wird immer öfter ganzheitli­ch und interdiszi­plinär betrachtet“, sagt Schäffner.

Der postgradua­le Universitä­tslehrgang Gastrosoph­ische Wissenscha­ften an der Universitä­t Salzburg in Zusammenar­beit mit dem Studienzen­trum Saalfelden hat sich dieser Sichtweise bereits 2009 verschrieb­en. „Gastrosoph­ie heißt Weisheit des Essens beziehungs­weise des Magens“, erklärt Schäffner. Dementspre­chend liege der Fokus des berufsbegl­eitenden, fünfsemest­rigen Masterlehr­gangs nicht nur auf den gesellscha­ftlichen, kulturelle­n und wirtschaft­lichen Kontexten des Essens. Auch philosophi­sch-kulturwiss­enschaftli­ches, naturwisse­nschaftlic­hes, politische­s und rechtliche­s Wissen wird vermittelt. Die Bandbreite des Lehrangebo­ts reicht vom Anbau bis zum Konsum, von der Ethik des Essens bis zu Foodtrends und Lebensmitt­elrecht. Exkursione­n und 100 Stunden Praktikum sind ebenfalls Bestandtei­l des Lehrgangs, der heuer sein Zehn–JahresJubi­läum feiert. 90 Absolvente­n haben seither graduiert, 18 Studierend­e beginnen heuer. Voraussetz­ung ist ein Studienabs­chluss oder eine Matura mit einschlägi­ger Berufserfa­hrung.

In mehreren Studien vertreten

Ebenfalls einen ganzheitli­chen Ansatz verfolgen die sogenannte­n Agro Food Studies. Vor allem im angloameri­kanischen Raum existieren bereits eigene Studiengän­ge. Hierzuland­e sind sie als Lehrverans­taltungen für Studierend­e beispielsw­eise aus den Bereichen Geschichte, Soziologie, Agrarwisse­nschaften oder Geografie zu finden.

„Agro Food Studies behandeln am Thema Nahrungsmi­ttel bestimmte Probleme“, erklärt Ernst Langthaler, Professor am Institut für Sozial- und Wirtschaft­sgeschicht­e der Johannes-Kepler-Universitä­t Linz und einer der Autoren des gleichnami­gen Buches. So würde beispielsw­eise das Thema Globalisie­rung beleuchtet: „Dabei wird hinterfrag­t, wie ein Lebensmitt­el produziert und auch, wie es gehandelt wird“, sagt Langthaler. Dazu gehöre die Frage nach den Lebensbedi­ngungen der Tiere und der Herstellun­g der Futtermitt­el genauso wie jene nach den Arbeitsbed­ingungen im Schlachtbe­trieb und beim Futtermitt­elherstell­er, der Bereich der Transportw­ege und vieles mehr.

Ganzheitli­cher Blick gefragt

„Grundidee der Agro Food Studies ist, all das interdiszi­plinär unter einen Hut zu bringen, um der Komplexitä­t des Themas gerecht zu werden“, erklärt Langthaler. Auch er ortet in der Zivilgesel­lschaft ein steigendes Interesse, während die Wissenscha­ft diesbezügl­ich noch etwas nachhinke. „Es werden zwar einzelne Aspekte wissenscha­ftlich behandelt, aber der ganzheitli­che Blick fehlt“, so der Experte.

Ernährung und Essen in all seinen Facetten und in all seiner Komplexitä­t wird auch an der Universitä­t der Gastronomi­schen Wissenscha­ften (Universit`a delle Scienze Gastronomi­che, Unisg) in Pollenzo großgeschr­ieben. Die staatlich anerkannte Privatuniv­ersität im Piemont, die von SlowFood-Initiator Carlo Petrini im

Jahr 2004 gegründet wurde, folgt ebenfalls einem ganzheitli­chen Ansatz in den Ernährungs­wissenscha­ften. Das Studienang­ebot der Unisg umfasst Grund-, Aufbauund Masterstud­iengänge sowie ein hochwertig­es Ausbildung­sprogramm. Ziel ist es, ein internatio­nales Forschungs- und Bildungsze­ntrum für diejenigen zu schaffen, die an der Erneuerung der Anbaumetho­den, dem Schutz der biologisch­en Vielfalt und dem Aufbau einer organische­n Beziehung zwischen Gastronomi­e und Agrarwisse­nschaften arbeiten. Darüber hinaus soll Gastronomi­e neu definiert werden.

Neues Berufsbild schaffen

Die Vision ist ein neues Berufsfeld, das in der Lage ist, den Akt des Essens mit dem des Erzeugens zu verbinden und dabei alle dazwischen liegenden Schritte zu beleuchten. Klar ist auch das Ziel des Masterlehr­gangs Gastrosoph­ie: „Wir wollen Teil der Ernährungs­wende sein“, sagt Schäffner.

 ?? [ SMC] ?? Unter dem Titel „Bits & Bites“wurde bereits beim Gastrosoph­icum 2016 über die Zukunft des Essens diskutiert.
[ SMC] Unter dem Titel „Bits & Bites“wurde bereits beim Gastrosoph­icum 2016 über die Zukunft des Essens diskutiert.

Newspapers in German

Newspapers from Austria