Haller über Karl V.
Im Oktober 1520 wird Karl V. in Aachen zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt. Der junge Monarch wollte Einheit und Frieden durch ein „vornationales Europa“. Der Historiker Heinz Schilling bringt uns Person und Epoche dieses frühneuzeitlichen Kaisers nahe.
Im Oktober 1520 wird Karl V. in Aachen zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt. Der Historiker Heinz Schilling bringt uns Karl und seine Zeit nahe. Rezensiert von Günther Haller.
Eigentlich waren die Titel, mit denen Karl am 24. Februar 1500 in Gent das Licht der Welt erblickte, nichts Besonderes: Erbe von Burgund, Erzherzog von Österreich, Infant von Spanien. Prinzen-Titel, die noch nicht auf die Machtfülle von später verwiesen. Doch glückliches Heiraten und rechtzeitiges Sterben hatten in der Welt der neuzeitlichen Fürstenstaaten oft große Folgen. Möglichkeiten wurden Wirklichkeit. Durch reine Zufälle. 20 Jahre nach seiner Geburt trug Karl die Kaiserwürde und regierte die Länder seiner burgundischen, deutschen und spanischen Vorfahren allein, von Österreich im Osten bis zu den von Kolumbus entdeckten transatlantischen Gebieten im Westen, von Friesland im Norden bis zum Mittelmeer im Süden. „Ein Reich, in dem die Sonne nicht unterging“: Biologische Zufälle hatten alle Herrschaftskandidaten in seiner Verwandtschaft vorteilhaft früh sterben lassen. Der Weg war gebahnt.
Gent als Geburtsort – das war symbolhaft. Hier hatte sein Großvater, Maximilian I., Maria von Burgund geheiratet. Er wuchs in eine dynastische Tradition hinein, die sich aufgrund der Mittellage Burgunds zur Neugestaltung Europas aufgerufen fühlte. Karl entwickelte das ausgeprägte, sakral fundierte Majestätsbewusstsein, das sein Auftreten zeitlebens bestimmen sollte: Distanz zu den Menschen, sein hochmütig wirkendes Mienenspiel ließen ihn unnahbar wirken. Bereits der Siebenjährige wirkte bei der Inauguration als Herzog von Burgund majestätisch. Mit 17 wurde er König von Spanien, da war er schon von dem Rang seiner gottgegebenen Majestät durchdrungen.
Hoch entfaltete Hofkultur und Herrscher-Repräsentation bestimmten sein Auftreten und verschafften ihm 1519 die Würde des deutschen Königs und Kaisers. Nicht zuletzt dank Bestechung und einer effektiven Propaganda, die überdeckte, dass er kein Deutscher war, ja nicht einmal diese Sprache beherrschte. So wurde einer Kaiser, durch dessen Adern internationales Blut floss, und das in einer Zeit, in der die Deutschen das Spanische und das welsche Papsttum abzulehnen begannen. Die deutsche, lange Zeit hindurch nationalprotestantische Geschichtsschreibung kümmerte sich daher wenig um Karl V. Nun hat aber eine Koryphäe der Neuzeitforschung, Heinz Schilling, bekannt durch Bücher über die Reformation, diesem Manko abgeholfen. Er versteht es, uns Karl und seine Zeit nahezubringen.
Karls Reich wurde durch dynastische Heiraten zum Familienunternehmen. Überall saßen Familienmitglieder, auch Frauen, als Statthalter. Doch das änderte nichts daran: Der Herrschaftsraum mit seinem Völkergemisch war überspannt, die geografische Ausdehnung zu groß, diese erste Globalisierung war nicht zu bewältigen. Der Informationsfluss von Spanien nach Deutschland oder Italien brauchte Wochen. Die Information über einen Friedensschluss mit Frankreich erreichte den Kaiser 1530 nach drei Wochen. Tagelang diktierte Karl Briefe mit politischen Anweisungen. Ein zentral regierter neuzeitlicher Gesamtstaat? Dafür war es zu früh. Der junge Monarch wollte Einheit und Frieden, ein „vorstaatliches und vornationales Europa“(Schilling). Ersetzt man das „vor“durch „über“, hat man die Idee der EU vor sich. Es verwundert daher, dass diese sich fast immer auf Karl den Großen beruft und nicht auf Karl V., der die Idee der Universalität konsequent vertrat.
Der Orden vom Goldenen Vlies und spanischer Katholizismus machten ihn glaubensstark, im Kampf gegen Feinde, Ketzer und Beschmutzer eines Christentums, das immer wieder erneuert und gestärkt werden sollte. Das war in Spanien möglich, in Deutschland immer schwieriger. Karl, der Kreuzritter und religiöse Mensch, verlor nie die sakrale Qualität seines Herrscheramts aus den Augen. Er hörte auf seine Beichtväter, bis zum letzten Atemzug. Man erwartete von ihm, dass er mit Feuer und Schwert das Christentum in der Welt zum Sieg führen werde. Gewissenhaft sollte er weltliche und kirchliche Sphäre, Politik und Sakrales, als Kaiser aufeinander abstimmen.
Als er Martin Luther 1521 zum ersten und einzigen Male gegenübersaß, formulierte Karl ein sehr persönliches Glaubensbekenntnis zu seiner Kirche. Mit großer innerer Sicherheit. Doch Luther stellte ihn vor ein schier unlösbares Problem: Kirche und Staat, Religion und Gesellschaft waren derart verzahnt, dass die Umsetzung von Luthers Idee einer Rückkehr zum evangelischen Urzustand zugleich einen Umbruch in der politisch-gesellschaftlichen Ordnung mit sich bringen musste. Es war unmöglich, es allen Seiten recht zu machen, religiöser Protest und politischer Widerstand bildeten ein explosives Gemisch. Es kam zum Flächenbrand der Bauernkriege.
Aus der Idee der Universalität wurden Streit und Spaltung, die lateinische Christenheit im Feuersturm der Kirchenkritik zerrissen. Häretiker waren Karl verhasst, doch angesagt waren Pragmatismus und politische Klugheit, nicht religiöse Empfindung. Der Kaiser musste mit dem sächsischen Kurfürsten, einem Luther-Anhänger, kooperieren. Europa drohte im Chaos zu versinken, wenn die Kirche nicht einheitlich blieb. Und das konnte nur gelingen, wenn nicht nur die Häresie überwunden, sondern auch die Kirche reformiert wurde.
Karl hatte keinen religionspolitischen Spielraum. Der Kaiser sah Gott auf seiner Seite und nahm den Kampf auf. Er folgte seinem Gewissen – wie der Reformator auch. Beide Kontrahenten scheiterten. „Kaiser wie Reformator gelang es nicht, ihre jeweils universell angelegten Programme zu realisieren: Luther scheiterte in seinem Gesamtziel, die Kirche zu reformieren, Karl mit seinem Plan, den Aufstieg neuzeitlicher Partikularstaaten zu bremsen und Einheit wie Frieden Europas durch sein universell verstandenes christlich-römisches Kaisertum neu zu sichern“(Heinz Schilling).
Karls Rücktritt 1556, nach dem Kompromiss im Augsburger Religionsfrieden, war Folge eines Gewissenskonflikts: Ein Kaiser dankt nicht ab. Schilling vergleicht das mit der Resignation Benedikts XVI. und spekuliert, zu dieser Entscheidung habe nicht Altersschwäche, sondern ein religiöser Impetus geführt. Man muss dem gescheiterten Kaiser freilich zugestehen, dass er mit Problemen konfrontiert war, die zu seiner Zeit überhaupt nicht lösbar waren.
Heinz Schilling Karl V. Der Kaiser, dem die Welt zerbrach. 458 S., 3 Karten und 40 Abb., geb., € 30,80
(C. H. Beck Verlag, München)