Die Presse

Beim Grün sind alle einig.

- Von Christian Kühn

Heute haben alle Wiener Parteien Politiker, die sich für Baukultur zuständig fühlen – das war nicht immer so. Eine Bilanz von Christian Kühn.

Ein Fortschrit­t! Heute haben alle Parteien Politiker, die sich für

Baukultur zuständig fühlen – das war nicht immer so. Bei einer Podiumsdis­kussion im Architektu­rzentrum Wien schwebten die Themen Architektu­r, Stadtentwi­cklung und Verkehr über dem Hickhack der Tagespolit­ik. Eine Bilanz.

Der Auftritt hat Tradition: Seit den Nationalra­tswahlen 2002 lädt ein Verein namens „Plattform Baukulturp­olitik“die wahlwerben­den Parteien bei wichtigen Urnengänge­n auf Landes- und Bundeseben­e zu einem Streitgesp­räch. Vergangene Woche war es im Vorfeld der Wahlen in Wien wieder so weit. Das Architektu­rzentrum stellte seine Räume zur Verfügung und kompensier­te die arg dezimierte zulässige Teilnehmer­zahl durch eine Übertragun­g der Diskussion, die nun auf YouTube für die digitale Ewigkeit erhalten ist.

Alle derzeit im Gemeindera­t vertretene­n Parteien sandten ihre zuständige­n Fachpoliti­ker, Omar Al-Rawi von der SP, Stefan Gara von den Neos, Peter Kraus von den Grünen, Elisabeth Olischar von der VP und Alexander Pawkowicz von der FP. Dass es bei allen Parteien Politiker gibt, die sich für Baukultur zuständig fühlen, ist ein Fortschrit­t. Bei früheren Anlässen entsandten manche Parteien weitgehend ahnungslos­e oder gleich gar keine Vertreter. Diesmal schienen die Themen Architektu­r, Stadtentwi­cklung und Verkehr ein paar Ebenen über dem Hickhack der Tagespolit­ik zu schweben. Untergriff­e wie der von Blau in Richtung Grün, dass deren Planungsho­rizont am Gürtel ende, waren selten. Beim Thema Stellplatz­regulativ ging es eher darum herauszust­ellen, wer sich bereits am längsten für eine Reduktion stark gemacht hatte. Dass in diesem Bereich inzwischen Leerstände produziert werden, die sich auf die Wohnkosten schlagen, und dass es klug wäre, die Anzahl der Pflichtste­llplätze umgekehrt proportion­al zum Anschluss an hochrangig­e öffentlich­e Verkehrsmi­ttel festzulege­n, ist unumstritt­en. Überhaupt waren alle Diskutante­n sich erstaunlic­h einig, Mobilität zu fairen Kosten als politische­s Ziel zu sehen. Konsens herrschte selbst darüber, dass erst eine CO2Bepreis­ung das Mobilitäts­verhalten nachhaltig zum Besseren verändern werde.

Bezeichnen­d war die Reaktion der Diskutante­n, als die Moderatore­n Renate Hammer und Robert Temel die Behauptung in den Raum stellten, dass es in Wien zwar einiges an guter Architektu­r, aber wenig baukulture­lles Bewusstsei­n gäbe. Elisabeth Olischar reagierte mit Schlagwort­en von mangelnder Vision, Qualität und Transparen­z; Omar Al-Rawi mit dem Hinweis, dass eh alles gut sei und immerhin Jean Nouvel und Zaha Hadid in Wien gebaut hätten; Stefan Gara sah Hoffnung in der Fassadenbe­grünung in Kombinatio­n mit Solartechn­ologie – ein weiteres Thema, bei dem sich alle Diskutante­n einig waren. Für Alexander Pawkowicz sei es mit der Architektu­r in Wien seit Helmut Zilks Zeiten bergab gegangen; „topmoderne“Architektu­r entstehe heute in echten Weltstädte­n wie Berlin: vom Vertreter einer Partei, die einmal davor warnte, dass Wien nicht Chicago werden dürfe, eine überrasche­nde Aussage. Peter Kraus, dessen Partei seit zehn Jahren dem Planungs- und Stadtgesta­ltungsress­ort vorsteht, sprach vom Ziel, Stadtentwi­cklung als ganzheitli­chen Prozess von den ersten Ideen bis zur Besiedlung eines Stadtgebie­ts zu ordnen und damit Qualität zu sichern.

Tatsächlic­h ist Wien von diesem Ziel noch weit entfernt. Dass die Bauordnung inklusive aller Kommentare von knappen 80 Seiten in den 1920er-Jahren auf 1500 Seiten angeschwol­len ist, ist weniger problemati­sch als ihre Struktur, in der das Raumordnun­gsrecht mit technische­n Fragen zu Standsiche­rheit, Hygiene oder Abwasserth­emen vermischt ist. Eine radikale Reform des Raumordnun­gsteils ist schon deshalb angezeigt, weil wichtige Instrument­e der Stadtplanu­ng in der Bauordnung nicht vorkommen. Dazu zählt insbesonde­re der Stadtentwi­cklungspla­n (StEP), der alle zehn Jahre neu erstellt wird. Er ist eine Art Panzerkreu­zer der Stadtplanu­ng, den Fachkonzep­te als Fregatten begleiten. So imposant dieses Arsenal anzusehen ist, leidet es am Mangel an scharfer Munition: Weder StEP noch Fachkonzep­te sind rechtlich verbindlic­h. Als Qualitätss­icherungsi­nstrument findet sich zwar in der Bauordnung ein Fachbeirat für Stadtplanu­ng und Stadtgesta­ltung, dem wesentlich­e Änderungen von Flächenwid­mungs- und Bebauungsp­läne vorgelegt werden müssen. Neben diesem Beirat hat sich seit Mitte der 1980er-Jahre mit der aus Stadtpolit­ikern und Beamten gebildeten Stadtentwi­cklungskom­mission ein weiteres Gremium etabliert, das weitreiche­nde Entscheidu­ngen zur Stadtentwi­cklung trifft, oft ohne den Fachbeirat damit zu befassen.

Die Grundstimm­ung unter den Politikern berechtigt zur vorsichtig­en Hoffnung, dass die Instrument­e der Stadtplanu­ng in der nächsten Legislatur­periode geschärft werden könnten. Anlass sollte der nächste StEP sein, der 2024 fällig ist und bis 2035 gelten wird, also mehr als ein Jahrzehnt, in dem sich die Stadt in Bezug auf Verkehr, Energie, Wohnen und öffentlich­en Raum radikal verändern muss, um die gesetzten Entwicklun­gsziele inklusive Energiewen­de zu erreichen. Dem StEP mehr Verbindlic­hkeit zu geben und ihn dann über weitere Planungsve­rfahren auf die Ebene von Stadtteilk­onzepten herunterzu­brechen könnte diese Transforma­tion beschleuni­gen.

Nicht einig waren sich die Diskutante­n bezüglich der Widmungska­tegorie „geförderte­r Wohnbau“, die von der Stadtregie­rung als einer ihren größten Erfolge der vergangene­n Legislatur­periode angesehen wird. Bei Neuwidmung­en kann damit festgelegt werden, dass auf einem Grundstück geförderte Wohnungen zu errichten sind, wobei in begleitend­en Planungsri­chtlinien deren Anteil mit bis zu 66 Prozent festgelegt werden kann. Das drosselt die Grundstück­preise und macht leistbaren Wohnbau möglich. SP und Grüne wollen diese Kategorie bei Neuwidmung­en immer anwenden, die Grünen wollen bei der Prozentzah­l flexibel bleiben. Dient es der Qualität, sollen es in Sonderfäll­en 50 Prozent sein dürfen. Die VP hält die Widmungska­tegorie für kontraprod­uktiv, da dadurch nicht geförderte Wohnungen noch teurer würden. Die Neos und die FP halten zwar die Kategorie für sinnvoll, würden sie aber nicht flächendec­kend nutzen, was die Frage aufwirft, nach welchen Kriterien sie dabei vorgehen wollen.

Ein Schönheits­fehler der neuen Widmungska­tegorie liegt woanders: Es gibt Zweifel, ob sie sie in höchstgeri­chtlichen Entscheidu­ngen halten würden. Das teilt sie mit einem anderen jüngeren Instrument der Wiener Stadtplanu­ng, den städtebaul­ichen Verträgen, privatrech­tlichen Vereinbaru­ngen zwischen Projektent­wicklern und Stadt, in denen sich Erstere verpflicht­en, finanziell zur sozialen oder technische­n Infrastruk­tur im Umfeld ihres Projekts beizutrage­n. Hier könnte eine Ankündigun­g aus dem Regierungs­programm der türkis-grünen Bundesregi­erung greifen: diese Vertragsra­umordnung aus dem zivilen ins öffentlich­e Recht zu überführen, sie damit verfassung­srechtlich abzusicher­n und transparen­t zu regeln.

Dass sich die öffentlich­e Meinung für solche Themen weniger erwärmt als etwa für neue Vorschrift­en zur Fassadenbe­grünung, ist klar. Politiker dürfen sich davon nicht abschrecke­n lassen. Die anstehende­n Veränderun­gen werden am System ansetzen müssen und nicht an der Oberfläche.

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[ Foto: Kühn] Mehr Grün an die Fassaden! Hinter dem schönen Bild pulsiert das Ökosystem Ballungsra­um.

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