Was künftig besser werden muss
Die Entlastung von 1450, der flächendeckende Einsatz von Schnelltests sowie effizienteres Contact Tracing – nur so kann die Ausbreitung des Coronavirus unter Kontrolle gehalten werden.
Wien. Die Zahl der Neuinfektionen steigt zu schnell zu stark. Ebenso wie die der Hospitalisierungen, was in Wien bereits zur Auslastung des ersten Krankenhauses geführt hat. Dabei steht Österreich die Grippesaison erst bevor, die in den vergangenen Jahren die Spitalskapazitäten auch ohne Pandemie an ihre Grenzen gebracht hat.
Zur Erinnerung: Im Winter sind Intensivbetten selbst im Routinebetrieb zu mehr als 90 Prozent ausgelastet – und dieser Routinebetrieb soll trotz Covid-19-Patienten aufrechterhalten werden, um Kollateralschäden wie übersehene und daher nicht behandelte Erkrankungen zu vermeiden. Das Containment, also die Eindämmung der Ausbreitung des Virus, muss sich verbessern.
Entlastung von 1450
Dass es den Begriff Verdachtsfall überhaupt gibt, impliziert das Akzeptieren des Umstands, dass zwischen einer möglichen Ansteckung und deren endgültiger Bestätigung eine bestimmte Zeit vergeht, in der es zu weiteren Übertragungen kommen kann. Denn könnten Personen unmittelbar nach einer befürchteten Infektion getestet werden und läge das Ergebnis sofort vor, wären das Definieren und Melden eines Verdachtsfalls überflüssig. Das Ziel muss somit lauten, die Phase zwischen der Äußerung des Verdachts und seiner Abklärung so kurz wie möglich zu halten – was in weiten Teilen Österreichs nicht gut funktioniert, weil die dafür zuständige Hotline, 1450, überfordert ist.
Das ist auch der Grund dafür, warum beispielsweise Wien zuletzt frei zugängliche Teststraßen für Reiserückkehrer sowie mobile Teams zur Verfügung gestellt hat, die direkt in Schulen Testungen durchführen. Angefordert werden sie nicht über 1450, sondern über eine eigene Nummer.
Um Verdachtsfälle noch schneller zu testen, braucht es aber für Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde des Kepler-Universitätsklinikums in Linz, zusätzliche Möglichkeiten – beispielsweise Ordinationen. „Selbstverständlich nur jene, die die personellen sowie räumlichen Möglichkeiten dafür haben und mit genügend Schutzausrüstung ausgestattet werden“, sagt er. „Um 1450 zu entlasten, kommen aber grundsätzlich alle Einrichtungen mit Ärzten infrage, die aufgrund der Symptome Tests anordnen können – also Spitalsambulanzen, Niederlassungen des Roten Kreuzes, Sprengelärzte sowie hausärztliche Notdienste.“
Nur so könne die oft Tage dauernde Prozedur über die Hotline 1450 – anrufen, irgendwann durchkommen, Stunden später Anweisungen erhalten, wann jemand zur Probenentnahme kommt bzw. bei welcher Teststation (Autobahnraststätten etc.) sich der Anrufer einfinden soll, das Ergebnis abwarten, um schließlich Gewissheit zu haben – abgekürzt werden.
Antigen-Schnelltests
Die bisher im Einsatz befindlichen Tests erfolgen nach dem sogenannten PCR-Verfahren und benötigen für die Auswertung eine hoch spezialisierte Laborinfrastruktur – dabei spielt es keine Rolle, ob die Probenentnahme mittels Gurgelwassers (Gurgeltests) oder Wattestäbchen (Nasen-Rachen-Abstrich) erfolgt. Der reine Labordurchgang dauert zumeist vier Stunden, bei den etwas schnelleren Modellen nur 90 Minuten.
Diese sind aber nur begrenzt verfügbar und werden hauptsächlich in dringenden Fällen verwendet, beispielsweise bei medizinischem Personal mit viel Patientenkontakt oder älteren, gebrechlichen Personen in Spitälern, die nicht so ohne Weiteres nach Hause geschickt werden können, um einen Tag auf das Ergebnis zu warten. In lediglich 15 Minuten liegt bei den neuartigen AntigenSchnelltests ein Resultat vor, zudem sind sie günstig und benötigen kein Labor, können also überall durchgeführt werden, etwa in Schulen, auf Flughäfen und bei Großveranstaltungen wie Sportereignissen. Das Testverfahren ist ein anderes, die Probenentnahme erfolgt aber wie bei PCR-Tests mit Wattestäbchen aus dem Nasen-Rachen-Raum, sie sollte durch geschultes Personal erfolgen.
Die Antigentests sind nicht ganz so zuverlässig wie das PCR-Verfahren, beim Modell des Schweizer Unternehmens Roche beispielsweise liegt die Sensitivität eigenen Angaben zufolge bei 96,52 Prozent, die Spezifität bei 99,68 Prozent. Das heißt, dass in geringem Ausmaß sowohl falsch negative als auch falsch positive Tests möglich sind.
Diese Unschärfe wird von den Behörden als Grund dafür angegeben, warum Antigentests noch nicht großflächig eingesetzt werden sollten. Für Bernd Lamprecht angesichts der aktuell angespannten Lage in Österreich kein schlüssiges Argument. „Jemand, der sich testen lässt, macht das für gewöhnlich aus gutem Grund. Etwa wegen Symptomen wie Fieber und dem Verlust des Geschmacks- sowie Geruchssinns oder wegen eines ungeschützten Kontakts mit einer infizierten Person“, sagt er. „Ein positives Ergebnis wäre also mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig. Dennoch könnte und sollte in diesen Fällen ein zusätzlicher PCR-Test durchgeführt werden, um sicherzugehen.“Eine solche Vorgehensweise würde die bisherige Strategie gut ergänzen und dazu beitragen, Verdachtsfälle rascher abzuklären und das Contact Tracing zu erleichtern.
Contact Tracing
Das Contact Tracing, also das Ermitteln, Testen und gegebenenfalls Isolieren der Kontaktpersonen von Infizierten, gilt als wirksamstes Mittel zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus und ist der Grund für die Einführung von verpflichtenden Gästelisten in der Gastronomie in Wien und Niederösterreich – wie auch in Teilen Deutschlands und der Schweiz. Aber so effizient das Contact Tracing unter günstigen Bedingungen sein kann, so fragil ist es, wenn die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind, schließlich hängt die Umsetzung von zahlreichen Faktoren ab, insbesondere von der raschen Erreichbarkeit der Verdachtsfälle (nach Möglichkeit innerhalb von Stunden) sowie von deren Bereitschaft zur Mitarbeit.
Ersteres funktioniert wegen der schnell gestiegenen Zahl an Infektionen sowie Clustern in Kombination mit zu kleinen ContactTracing-Teams nicht optimal, Letzteres wegen der mittlerweile stark verbreiteten Weigerung zur Kooperation – zum einen, weil viele keine Angst vor einer Erkrankung bzw. einem schweren Verlauf haben; zum anderen, weil sie in ihrem Alltag keine Einschränkungen wie etwa Heimquarantäne verordnet bekommen wollen. Manche verschweigen auch Symptome und geben keine Kontaktpersonen an, weil sie Verdienstausfälle und die vorübergehende Schließung von Betrieben befürchten, in denen sie oder ihre Freunde arbeiten, etwa in der Gastronomie.
„Kontaktnachverfolgung funktioniert nur dann wirksam, wenn es wenige Cluster-Bildungen gibt, die rasch eingegrenzt werden können, ausreichend personelle Kapazitäten vorhanden sind und die Betroffenen mitmachen“, sagt Lamprecht. Als erfolgreiches Beispiel für eine Bekämpfung nennt er den Cluster in einem Rotarier-Klub in Salzburg Mitte Juni, der innerhalb von zwei Wochen unter Kontrolle gebracht wurde, weil alle Beteiligten rasch erreicht wurden und sich an die Quarantäneregeln hielten. Anders als beim Freikirchen-Cluster in Oberösterreich Ende Juni, dessen Isolierung wegen der weit verstreuten Kirchenmitglieder sowie ihrer mangelhaften Mitarbeit bzw. wegen Sprachbarrieren mehrere Wochen dauerte und eine Verschärfung der Maßnahmen in Oberösterreich nach sich zog.
„Wenn solche Ereignisse die Ausnahme bleiben sollen, müssen die Behörden, um ihrer Verantwortung nachzukommen, über ausreichend Mitarbeiter verfügen“, sagt Lamprecht. „Genauso wichtig ist aber die Verantwortung der Bevölkerung, die das Contact Tracing nicht sabotieren darf, indem sie aus Bequemlichkeit oder Ignoranz keine bzw. falsche Angaben macht.“