Die Presse

Wie Italien zum Musterschü­ler wurde

Analyse. Warum Italien die Pandemie unter Kontrolle bekommen hat – und Optimismus dennoch verfrüht ist.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Rom/Wien. Es gibt Bilder, die zum Symbol der Pandemie geworden sind: Aufnahmen der Armeefahrz­euge, die Särge mit Covid-Opfern aus dem lombardisc­hen Bergamo abtranspor­tiert haben, gehören dazu. Italien mit seinen fast 36.000 Coronatote­n und Hunderttau­senden Infizierte­n galt bisher als abschrecke­ndes Beispiel für die Virulenz von Sars-CoV-2 und ein überforder­tes System.

Nun aber hat Italien sein Image revidiert: Nicht nur Brüssel lobt Italiens Krisenmana­gement, sondern auch einflussre­iche Zeitungen wie die „Financial Times“oder das „Wall Street Journal“. Denn die Zahl der Neuinfekti­onen gehört inzwischen zu den geringsten Europas: In den vergangene­n zwei Wochen verzeichne­te Italien pro 100.000 Einwohner 33,5 Neuinfekti­onen, so die EU-Behörde für Seuchenbek­ämpfung ECDC. Spanien meldete 300,5 neue Fälle, Frankreich 185,8 – und in Österreich 101,3.

Einige Gründe für Italiens Erfolg:

Akzeptanz für strikte Regeln

Urlauber, die sich im Sommer in Italien aufhielten (vor allem im Nordwesten), konnten sich selbst ein Bild machen: Schutzmask­en waren auch nach Ende des Lockdowns omnipräsen­t. Maskenpfli­cht herrscht in Geschäften, Restaurant­s und Bars, seit August ab 18 Uhr im Freien. Bei Verstößen drohen 400 Euro Geldstrafe. Sanktionie­rt werden Lokalbesit­zer, wenn Kunden keine Masken tragen. Viele tragen den Gesichtssc­hutz freiwillig auch tagsüber im Freien. Einige Regionen wollen dies nun verpflicht­end einführen. Immerhin befürworte­n 84 Prozent der Italiener laut einer Umfrage eine Schutzmask­enpflicht. Die Mehrheit der Bürger akzeptiert­e auch den strikten Lockdown.

Kurz: Nach der Schockerfa­hrung des Frühjahrs ist die Bereitscha­ft zur Eigenveran­twortung deutlich gewachsen: „Italiens Bürger waren im Sommer vorsichtig, abgesehen von Ausnahmen in Ferienorte­n. Vielleicht haben nicht alle die ganze Lektion gelernt, aber einen großen Teil der Lektion sehr wohl“, sagt Mediziner Franco Locatelli.

Strikter Lockdown

Monatelang (März bis Ende Mai) durften die Italiener ihre Häuser kaum verlassen, Geschäfte waren geschlosse­n, Grenzen auch zwischen Regionen abgeriegel­t, die Produktion wurde herunterge­fahren, Schulen sind erst seit September offen. Dank des Lockdowns flachte die Infektions­kurve ab. Zurück in die Normalität kehrte Italien langsam und graduell: Schutzmaßn­ahmen wie Maskenpfli­cht, Desinfizie­rungen oder Distanzreg­eln galten auch nach der Lockerung.

Tests und Contact Tracing

Italiens Testrate liegt knapp im EU-Schnitt (1018 Tests pro 100.000 Einwohner, in Österreich sind es 1158 Tests) und ist laut Experten zu gering. Allerdings sind inzwischen nur 1,7 Prozent der Tests positiv, in Österreich 4,9. Italien gelingt es derzeit, Kontakte der Infizierte­n zu identifizi­eren und zu isolieren. Um aus der Quarantäne entlassen zu werden, sind zwei negative PCR-Tests nötig.

Frühe erste Welle

Italien wurde als erstes europäisch­es Land von der Pandemie getroffen – und zahlte für Unerfahren­heit und sein prekäres Gesundheit­ssystem einen hohen Preis. Allerdings hat Italien als eines der ersten Länder den Coronahöhe­punkt überschrit­ten. In Frankreich und Spanien brach die Pandemie später aus. Sie befanden sich mittendrin, als im Sommer Maßnahmen gelockert wurden.

Doch Experten warnen: Wahrschein­lich stehe Italien eine verspätete zweite Welle noch bevor. Dazu Virologe Massimo Galli: „Diesmal sind wir besser gerüstet.“

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[ Reuters ] Italienisc­her Schulunter­richt zu Coronazeit­en: Die Angst vor einer zweiten Welle ist groß.

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