Wie Italien zum Musterschüler wurde
Analyse. Warum Italien die Pandemie unter Kontrolle bekommen hat – und Optimismus dennoch verfrüht ist.
Rom/Wien. Es gibt Bilder, die zum Symbol der Pandemie geworden sind: Aufnahmen der Armeefahrzeuge, die Särge mit Covid-Opfern aus dem lombardischen Bergamo abtransportiert haben, gehören dazu. Italien mit seinen fast 36.000 Coronatoten und Hunderttausenden Infizierten galt bisher als abschreckendes Beispiel für die Virulenz von Sars-CoV-2 und ein überfordertes System.
Nun aber hat Italien sein Image revidiert: Nicht nur Brüssel lobt Italiens Krisenmanagement, sondern auch einflussreiche Zeitungen wie die „Financial Times“oder das „Wall Street Journal“. Denn die Zahl der Neuinfektionen gehört inzwischen zu den geringsten Europas: In den vergangenen zwei Wochen verzeichnete Italien pro 100.000 Einwohner 33,5 Neuinfektionen, so die EU-Behörde für Seuchenbekämpfung ECDC. Spanien meldete 300,5 neue Fälle, Frankreich 185,8 – und in Österreich 101,3.
Einige Gründe für Italiens Erfolg:
Akzeptanz für strikte Regeln
Urlauber, die sich im Sommer in Italien aufhielten (vor allem im Nordwesten), konnten sich selbst ein Bild machen: Schutzmasken waren auch nach Ende des Lockdowns omnipräsent. Maskenpflicht herrscht in Geschäften, Restaurants und Bars, seit August ab 18 Uhr im Freien. Bei Verstößen drohen 400 Euro Geldstrafe. Sanktioniert werden Lokalbesitzer, wenn Kunden keine Masken tragen. Viele tragen den Gesichtsschutz freiwillig auch tagsüber im Freien. Einige Regionen wollen dies nun verpflichtend einführen. Immerhin befürworten 84 Prozent der Italiener laut einer Umfrage eine Schutzmaskenpflicht. Die Mehrheit der Bürger akzeptierte auch den strikten Lockdown.
Kurz: Nach der Schockerfahrung des Frühjahrs ist die Bereitschaft zur Eigenverantwortung deutlich gewachsen: „Italiens Bürger waren im Sommer vorsichtig, abgesehen von Ausnahmen in Ferienorten. Vielleicht haben nicht alle die ganze Lektion gelernt, aber einen großen Teil der Lektion sehr wohl“, sagt Mediziner Franco Locatelli.
Strikter Lockdown
Monatelang (März bis Ende Mai) durften die Italiener ihre Häuser kaum verlassen, Geschäfte waren geschlossen, Grenzen auch zwischen Regionen abgeriegelt, die Produktion wurde heruntergefahren, Schulen sind erst seit September offen. Dank des Lockdowns flachte die Infektionskurve ab. Zurück in die Normalität kehrte Italien langsam und graduell: Schutzmaßnahmen wie Maskenpflicht, Desinfizierungen oder Distanzregeln galten auch nach der Lockerung.
Tests und Contact Tracing
Italiens Testrate liegt knapp im EU-Schnitt (1018 Tests pro 100.000 Einwohner, in Österreich sind es 1158 Tests) und ist laut Experten zu gering. Allerdings sind inzwischen nur 1,7 Prozent der Tests positiv, in Österreich 4,9. Italien gelingt es derzeit, Kontakte der Infizierten zu identifizieren und zu isolieren. Um aus der Quarantäne entlassen zu werden, sind zwei negative PCR-Tests nötig.
Frühe erste Welle
Italien wurde als erstes europäisches Land von der Pandemie getroffen – und zahlte für Unerfahrenheit und sein prekäres Gesundheitssystem einen hohen Preis. Allerdings hat Italien als eines der ersten Länder den Coronahöhepunkt überschritten. In Frankreich und Spanien brach die Pandemie später aus. Sie befanden sich mittendrin, als im Sommer Maßnahmen gelockert wurden.
Doch Experten warnen: Wahrscheinlich stehe Italien eine verspätete zweite Welle noch bevor. Dazu Virologe Massimo Galli: „Diesmal sind wir besser gerüstet.“