Leitartikel von Gerhard Hofer
Der Tourismus hatte vor der Krise oft einen negativen Beigeschmack. Nun gibt es die Chance, ihn neu zu gestalten: nachhaltiger, ökologischer, sozialer.
Es sind diese kleinen Selbstverständlichkeiten, die uns zeigen, wie wir ticken. Als der Kanzler jüngst zum Wintertourismus Stellung nahm und strengere Coronaregeln einmahnte, war dies der Austria Presse Agentur eine Eilt-Meldung wert. „Eilt: Kurz stimmt auf Skivergnügen ohne Apr`es-Ski ein“lautete die Schlagzeile. Und auch „Die Presse“setzte unverzüglich eine Push-Meldung ab: „Skivergnügen ja, aber ohne Apr`es-Ski.“Bei aller Liebe zum Wintersport: Muss man wirklich gleich Alarm geben, wenn wir auf das Apr`es-Ski verzichten müssen? Ist das unser Selbstverständnis, wenn wir an Skiurlaub denken? Falls ja, sollten wir diese schwierige Zeit, in der unser Tourismus steckt, nicht nur dafür nutzen, endlich wieder verantwortungsvoll miteinander umzugehen und so die Infektionen einzudämmen. Es wäre auch die Chance, den Tourismus in vielen Bereichen neu zu denken. Nachhaltiger, ökologischer und sozialer.
Denn noch nie war so vielen Menschen so klar, wie bedeutend diese Branche für den Wohlstand in diesem Land ist. 15 Prozent der österreichischen Wirtschaftsleistung hängen direkt und indirekt am Tourismus. Und vor allem die indirekte Wertschöpfung wurde lange Zeit in der Diskussion viel zu wenig beachtet. Tourismus heißt nämlich nicht nur Hotel, Gasthaus, Skistation. Das bedeutet auch Bäcker, Bauer, Zimmermann. Wenn keine Touristen nach Tirol kommen, sperren dort auch Handwerksbetriebe und Biobauern zu, dann geht – salopp formuliert – in ganzen Talschaften das Licht aus.
Zu diesem Bekenntnis zum Wirtschaftsstandort und der volkswirtschaftlich so wichtigen Tourismusbranche gehört vor allem auch das Bewusstsein, dass dies nun nicht das Problem der Westösterreicher ist. Dass Niederösterreich am Freitag nach kurzem Zögern vorgeprescht ist und Sicherheitsmaßnahmen verschärft, ist mindestens genauso wichtig, um das Gesamtbild unseres Landes im Ausland zu verbessern, wie die Vorkehrungen, die nun in Tirol und Vorarlberg getroffen werden. Zumal Wintertourismus schon lang nicht mehr auf Skiurlaub beschränkt werden darf. Nach Tirol und Salzburg zählte in den vergangenen Jahren Wien bereits die drittmeisten Nächtigungen in den Wintermonaten. Bei den Zuwächsen war die Hauptstadt sogar Spitzenreiter. Von den 625.000 Jobs, die am Tourismus hängen, sind 116.000 in Wien.
In den kommenden Monaten geht es im Städtetourismus um das nackte wirtschaftliche Überleben und in den Skigebieten darum, das Vertrauen der ausländischen Gäste wieder zurückzugewinnen. Langfristig wird sich der Tourismus aber nur weiterentwickeln, wenn es ihm endlich gelingt, sich das Vertrauen der österreichischen Bevölkerung zu erarbeiten. „Der Tourismus muss mit der Region und nicht von der Region leben“, sagte kürzlich die Chefin der Österreich Werbung, Petra Stolba, im Gespräch mit der „Presse“. Solche Sätze klingen gut, sie müssen aber mit neuem Leben erfüllt werden. Viele in der Branche müssen endlich von ihrem hohen Ross herunterkommen, auf dem sie noch gesessen sind, als in Ischgl so ziemlich alles aus dem Ruder gelaufen ist. Zuerst reagierten sie auf die berechtigte Kritik mit Selbstgefälligkeit und Präpotenz, am Schluss fühlten sie sich falsch verstanden und ungerecht behandelt.
Und natürlich hat der Tourismus nicht nur das Image, ein Niedriglohnsektor zu sein, er ist es auch in vielen Bereichen. Seit einer halben Ewigkeit wird von Nachhaltigkeit und Ganzjahresjobs gesprochen, doch de facto hat sich kaum etwas geändert. Noch immer gleichen viele österreichische Wintersportorte nach der Saison Geisterstädten. Da ist doch mehr möglich, wenn man will. Aber vielleicht musste der Leidensdruck erst einmal so groß sein wie jetzt, um umzudenken. Durchzutauchen und dann wieder in den alten Trott zu verfallen wäre fatal. Corona geht hoffentlich vorüber, der Klimawandel bleibt.
Ein kluger Hotelier hat kürzlich gesagt: „Vielleicht schafft der Tourismus nach Corona das gleiche Kunststück wie die Winzer einst nach dem Weinskandal.“Es wäre uns allen zu wünschen. Mehr zum Thema:
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