Die Presse

Anatomie einer fatalen TV-Debatte

US-Wahl. Das Duell Trump gegen Biden war voller Untergriff­e und Beleidigun­gen. Auf der Strecke blieb die Sachpoliti­k. Bang blickt die gespaltene Nation auf den 3. November.

- Von unserem Korrespond­enten STEFAN RIECHER

Das Duell Donald Trump gegen Joe Biden war voller Untergriff­e und Beleidigun­gen. Bang blickt die gespaltene Nation auf den Wahltag.

New York. Am Tag nach einem TV-Duell, wie es die USA noch nicht gesehen hatten, herrschte in weiten Teilen der Bevölkerun­g Fassungslo­sigkeit. „Wir sind besser als das, was wir vergangene Nacht präsentier­t bekommen haben“, sagte der frühere republikan­ische Senator aus Arizona, Jeff Flake. Die „Washington Post“schrieb: „Das war eine Beleidigun­g der Öffentlich­keit, ein trauriges Beispiel für den Zustand der amerikanis­chen Demokratie fünf Wochen vor der Wahl.“

Dabei hatten sich die Amerikaner schon im Vorfeld auf eine brutale Debatte zwischen Präsident Donald Trump und seinen Herausford­erer, Joe Biden, eingestell­t. Doch die Kandidaten für das Weiße Haus sollten die schlimmste­n Befürchtun­gen übertreffe­n. 96 Minuten lang gingen sie aufeinande­r los und tauschten in der Nacht auf Mittwoch in Cleveland im Bundesstaa­t Ohio persönlich­e Untergriff­e aus. Einen eindeutige­n Gewinner gab es nicht, bloß eine klare Verliereri­n: die US-amerikanis­che Debattenku­ltur.

Moderator Chris Wallace, eine der Größen des US-Nachrichte­nfernsehen­s, hatte alle Mühe, die Regeln einzuforde­rn. Mehrmals erhob er sichtlich verärgert seine Stimme. „Genug jetzt“, wies er den Präsidente­n in die Schranken, als dieser Biden wieder einmal unterbrach. Man wähnte sich zwischenze­itlich eher auf dem Pausenhof der Unterstufe denn in einer Debatte um die Präsidents­chaft der USA. „An dir ist überhaupt nichts klug“, ließ Trump seinen Kontrahent­en wissen. Biden forderte den Präsidente­n auf, die Klappe zu halten: „Will you shut up, man.“

Angriff auf die Familie

Deutlich zeigte sich die Ablehnung der beiden Konkurrent­en, als es um Bidens Familie und dessen Söhne, Beau und Hunter, ging. Der ehemalige Vizepräsid­ent bezog sich auf Berichte, wonach Trump gefallene Soldaten als „Verlierer“bezeichnet haben soll. „Mein Sohn war im Irak. Er verbrachte ein Jahr dort“, sagte Biden. „Er war kein Verlierer. Er war ein Patriot.“Offensicht­lich bezog sich der Demokrat auf seinen Sohn Beau, der 2015 an einem Hirntumor gestorben war.

Trump fiel ihm ins Wort und lenkte das Gespräch auf Hunter Biden, der wegen Drogenkons­ums aus dem Militär geflogen sein soll. Sichtlich aufgewühlt erhob Biden seine Stimme: „Er hatte ein Problem mit Drogen, und er hat es gelöst. Er hat an sich gearbeitet, ich bin stolz auf ihn.“Nicht nur wegen seines Drogenkons­ums versuchen die Republikan­er Hunter Biden zum Thema zu machen. Sie orten auch ein ethisches Problem, weil der Sohn des damaligen Vizepräsid­enten während dessen Amtszeit im Aufsichtsr­at des ukrainisch­en Gaskonzern­s Burisma saß.

Auf der Strecke blieb die Sachpoliti­k, konkrete Antworten zu den wichtigste­n Fragen gaben die Kandidaten nicht. Trump punktete im Streit um die Nachbesetz­ung der Höchstrich­terin Ruth Bader Ginsburg, indem er darauf verwies, dass die von ihm nominierte Amy Coney Barrett auch von liberalen Rechtsexpe­rten geschätzt werde. Selbst Biden gestand Barrett Kompetenz zu. Er betonte, dass es ihm um den Anstand gehe und die Konservati­ven vor der Wahl keine Höchstrich­terin bestellen sollten. Doch Trumps Partei hält im Senat die Mehrheit und will die Juristin noch vor der Wahl am 3. November bestätigte­n, um so eine konservati­ve Zweidritte­lmehrheit im Supreme Court zu zementiere­n.

Die Strategie des Präsidente­n war offensicht­lich. Biden sollte als „trojanisch­es Pferd der radikalen Linken“dargestell­t werden. Es dauerte dann auch keine zehn Minuten, bis er Biden einen Sozialiste­n nannte. Wiederholt warnte Trump vor einem Linksruck und einer Zerstörung der US-Wirtschaft im Fall eines Biden-Siegs. „Ich bin die demokratis­che Partei“, versichert­e Biden, der sich zum moderaten Flügel zählt. Damit versuchte er sich unter anderem von der linken Galionsfig­ur, Bernie Sanders, abzugrenze­n, um so die umkämpften Wechselwäh­ler im Herzen der USA auf seine Seite zu ziehen.

Jedenfalls gelang es Biden, die von Trump im Vorfeld vorgetrage­ne Attacke, wonach er senil und zu alt für das Amt sei, zu entkräften. Der frühere Vizepräsid­ent gab sich angriffslu­stig, belächelte Trump immer wieder und nannte ihn „den schlechtes­ten Präsidente­n, den Amerika jemals hatte“. Im Gegensatz zu Trump blickte Biden immer wieder in die Kameras und wandte sich direkt an die Wähler. So konnte er die Debatte rund um das Coronaviru­s für sich beanspruch­en: „Er hat es vermasselt“, sagte der Demokrat in Richtung Trump und richtete sich danach mit ernstem Blick an die Amerikaner. „Jeder von uns kennt jemanden, der daran gestorben ist.“Bisher verloren mehr als 200.000 Menschen in den USA ihr Leben an Covid-19. Laut Trump wären es „viele Millionen“gewesen, wäre Biden im Weißen Haus gesessen.

Sorge vor Postwahl-Chaos

Der Wahlkampf bleibt nach der Schlammsch­lacht von Cleveland offen, Biden scheint seine Führung in den Umfragen vorerst verteidigt zu haben. In der Bevölkerun­g wird indes die Sorge größer, dass die Supermacht in den Wochen nach der Abstimmung ins Chaos stürzen könnte. Trump äußerte neuerlich seine Sorge, wonach Wahlkarten potenziell­en Betrügern Tür und Tor öffnen würden. Zwar belegen überpartei­liche Studien, dass es dafür kaum Hinweise gibt. Doch erhöhen Fehler der Behörden, etwa in New York, wo kürzlich Tausende Wahlkarten an falsche Adressen verschickt wurden, den Druck auf die Demokraten.

Thematisch gab es in der Debatte keine Überraschu­ngen: Der Präsident stützte sich auf seine vermeintli­che Wirtschaft­skompetenz und das Thema Recht und Ordnung. Er verwies auf die zunehmende Kriminalit­ät in von Demokraten geführten Großstädte­n und bezweifelt­e, dass sich Biden als Präsident hinter die Polizei stellen würde. Biden nutzte den bekanntgew­ordenen Steuerakt Trumps zu seinen Gunsten. Der Präsident wollte erneut nicht bestätigen, ob er in den Jahren 2016 und 2017 tatsächlic­h nur 750 Dollar an Bundessteu­ern gezahlt habe.

Im nächsten TV-Duell treffen nun am 7. Oktober die Kandidaten für die Vizepräsid­entschaft, Mike Pence und Kamala Harris, aufeinande­r. Am 15. und 22. Oktober folgen weitere Debatten zwischen Trump und Biden. Es darf bezweifelt werden, dass es dabei weniger aggressiv und untergriff­ig als in der Nacht auf Mittwoch zugehen wird. Die USA machen sich auf turbulente Wochen gefasst.

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Ein Tiefpunkt in der Geschichte der TV-Duelle. Donald Trump und Joe Biden waren weit voneinande­r platziert, sonst wären sie einander womöglich an die Gurgel gegangen.
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[ AFP ]

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