Anatomie einer fatalen TV-Debatte
US-Wahl. Das Duell Trump gegen Biden war voller Untergriffe und Beleidigungen. Auf der Strecke blieb die Sachpolitik. Bang blickt die gespaltene Nation auf den 3. November.
Das Duell Donald Trump gegen Joe Biden war voller Untergriffe und Beleidigungen. Bang blickt die gespaltene Nation auf den Wahltag.
New York. Am Tag nach einem TV-Duell, wie es die USA noch nicht gesehen hatten, herrschte in weiten Teilen der Bevölkerung Fassungslosigkeit. „Wir sind besser als das, was wir vergangene Nacht präsentiert bekommen haben“, sagte der frühere republikanische Senator aus Arizona, Jeff Flake. Die „Washington Post“schrieb: „Das war eine Beleidigung der Öffentlichkeit, ein trauriges Beispiel für den Zustand der amerikanischen Demokratie fünf Wochen vor der Wahl.“
Dabei hatten sich die Amerikaner schon im Vorfeld auf eine brutale Debatte zwischen Präsident Donald Trump und seinen Herausforderer, Joe Biden, eingestellt. Doch die Kandidaten für das Weiße Haus sollten die schlimmsten Befürchtungen übertreffen. 96 Minuten lang gingen sie aufeinander los und tauschten in der Nacht auf Mittwoch in Cleveland im Bundesstaat Ohio persönliche Untergriffe aus. Einen eindeutigen Gewinner gab es nicht, bloß eine klare Verliererin: die US-amerikanische Debattenkultur.
Moderator Chris Wallace, eine der Größen des US-Nachrichtenfernsehens, hatte alle Mühe, die Regeln einzufordern. Mehrmals erhob er sichtlich verärgert seine Stimme. „Genug jetzt“, wies er den Präsidenten in die Schranken, als dieser Biden wieder einmal unterbrach. Man wähnte sich zwischenzeitlich eher auf dem Pausenhof der Unterstufe denn in einer Debatte um die Präsidentschaft der USA. „An dir ist überhaupt nichts klug“, ließ Trump seinen Kontrahenten wissen. Biden forderte den Präsidenten auf, die Klappe zu halten: „Will you shut up, man.“
Angriff auf die Familie
Deutlich zeigte sich die Ablehnung der beiden Konkurrenten, als es um Bidens Familie und dessen Söhne, Beau und Hunter, ging. Der ehemalige Vizepräsident bezog sich auf Berichte, wonach Trump gefallene Soldaten als „Verlierer“bezeichnet haben soll. „Mein Sohn war im Irak. Er verbrachte ein Jahr dort“, sagte Biden. „Er war kein Verlierer. Er war ein Patriot.“Offensichtlich bezog sich der Demokrat auf seinen Sohn Beau, der 2015 an einem Hirntumor gestorben war.
Trump fiel ihm ins Wort und lenkte das Gespräch auf Hunter Biden, der wegen Drogenkonsums aus dem Militär geflogen sein soll. Sichtlich aufgewühlt erhob Biden seine Stimme: „Er hatte ein Problem mit Drogen, und er hat es gelöst. Er hat an sich gearbeitet, ich bin stolz auf ihn.“Nicht nur wegen seines Drogenkonsums versuchen die Republikaner Hunter Biden zum Thema zu machen. Sie orten auch ein ethisches Problem, weil der Sohn des damaligen Vizepräsidenten während dessen Amtszeit im Aufsichtsrat des ukrainischen Gaskonzerns Burisma saß.
Auf der Strecke blieb die Sachpolitik, konkrete Antworten zu den wichtigsten Fragen gaben die Kandidaten nicht. Trump punktete im Streit um die Nachbesetzung der Höchstrichterin Ruth Bader Ginsburg, indem er darauf verwies, dass die von ihm nominierte Amy Coney Barrett auch von liberalen Rechtsexperten geschätzt werde. Selbst Biden gestand Barrett Kompetenz zu. Er betonte, dass es ihm um den Anstand gehe und die Konservativen vor der Wahl keine Höchstrichterin bestellen sollten. Doch Trumps Partei hält im Senat die Mehrheit und will die Juristin noch vor der Wahl am 3. November bestätigten, um so eine konservative Zweidrittelmehrheit im Supreme Court zu zementieren.
Die Strategie des Präsidenten war offensichtlich. Biden sollte als „trojanisches Pferd der radikalen Linken“dargestellt werden. Es dauerte dann auch keine zehn Minuten, bis er Biden einen Sozialisten nannte. Wiederholt warnte Trump vor einem Linksruck und einer Zerstörung der US-Wirtschaft im Fall eines Biden-Siegs. „Ich bin die demokratische Partei“, versicherte Biden, der sich zum moderaten Flügel zählt. Damit versuchte er sich unter anderem von der linken Galionsfigur, Bernie Sanders, abzugrenzen, um so die umkämpften Wechselwähler im Herzen der USA auf seine Seite zu ziehen.
Jedenfalls gelang es Biden, die von Trump im Vorfeld vorgetragene Attacke, wonach er senil und zu alt für das Amt sei, zu entkräften. Der frühere Vizepräsident gab sich angriffslustig, belächelte Trump immer wieder und nannte ihn „den schlechtesten Präsidenten, den Amerika jemals hatte“. Im Gegensatz zu Trump blickte Biden immer wieder in die Kameras und wandte sich direkt an die Wähler. So konnte er die Debatte rund um das Coronavirus für sich beanspruchen: „Er hat es vermasselt“, sagte der Demokrat in Richtung Trump und richtete sich danach mit ernstem Blick an die Amerikaner. „Jeder von uns kennt jemanden, der daran gestorben ist.“Bisher verloren mehr als 200.000 Menschen in den USA ihr Leben an Covid-19. Laut Trump wären es „viele Millionen“gewesen, wäre Biden im Weißen Haus gesessen.
Sorge vor Postwahl-Chaos
Der Wahlkampf bleibt nach der Schlammschlacht von Cleveland offen, Biden scheint seine Führung in den Umfragen vorerst verteidigt zu haben. In der Bevölkerung wird indes die Sorge größer, dass die Supermacht in den Wochen nach der Abstimmung ins Chaos stürzen könnte. Trump äußerte neuerlich seine Sorge, wonach Wahlkarten potenziellen Betrügern Tür und Tor öffnen würden. Zwar belegen überparteiliche Studien, dass es dafür kaum Hinweise gibt. Doch erhöhen Fehler der Behörden, etwa in New York, wo kürzlich Tausende Wahlkarten an falsche Adressen verschickt wurden, den Druck auf die Demokraten.
Thematisch gab es in der Debatte keine Überraschungen: Der Präsident stützte sich auf seine vermeintliche Wirtschaftskompetenz und das Thema Recht und Ordnung. Er verwies auf die zunehmende Kriminalität in von Demokraten geführten Großstädten und bezweifelte, dass sich Biden als Präsident hinter die Polizei stellen würde. Biden nutzte den bekanntgewordenen Steuerakt Trumps zu seinen Gunsten. Der Präsident wollte erneut nicht bestätigen, ob er in den Jahren 2016 und 2017 tatsächlich nur 750 Dollar an Bundessteuern gezahlt habe.
Im nächsten TV-Duell treffen nun am 7. Oktober die Kandidaten für die Vizepräsidentschaft, Mike Pence und Kamala Harris, aufeinander. Am 15. und 22. Oktober folgen weitere Debatten zwischen Trump und Biden. Es darf bezweifelt werden, dass es dabei weniger aggressiv und untergriffig als in der Nacht auf Mittwoch zugehen wird. Die USA machen sich auf turbulente Wochen gefasst.