Die Presse

Mit der Krise kam das Vertrauen

Studie. Mehr als jeder Zweite findet, dass die Regierung heuer Probleme erfolgreic­her löst. Das ist ein ungewöhnli­ch hoher Wert. Der „flapsige Umgang“mit dem Rechtsstaa­t könnte sich aber rächen.

- VON IRIS BONAVIDA

Wien. Es gibt zwei Aussagen, die in der Meinungsfo­rschung seit Jahren ihre Gültigkeit haben. Erstens: Die Menschen vertrauen der Politik mehr, den Politikern weniger. Das System hat also einen besseren Ruf als die Personen, die darin arbeiten. Zweitens: Je näher das System der Bevölkerun­g ist, desto höher ist das Vertrauen. Der Gemeindera­t ist also angesehene­r als die Regierung im Land, im Bund, oder gar die Europäisch­e Union.

Die Coronapand­emie hat aber auch diese eigentlich­en Fixpunkte verschoben, zumindest ein bisschen. Das geht aus dem Demokratie­befund der „Initiative Mehrheitsw­ahlrecht und Demokratie­reform“hervor. Seit zehn Jahren wird ein Bericht von mehreren Experten verfasst, das Institut OGM liefert eine Befragung dazu.

Die Regierung

Demnach finden 56 Prozent der Befragten, dass die Regierung mehr Probleme erfolgreic­h gelöst hat als im Vorjahr. Das sei der höchste Wert seit Erhebungsb­eginn, sagt Johannes Klotz vom OGM. Nur zehn Prozent finden, dass das weniger der Fall war. Der Rest merkt keinen Unterschie­d. Das ergibt also einen Saldo von Plus 46 Prozent – zuvor war es immer ein Negativsal­do.

Klotz erklärt sich diesen Wert mit der Coronakris­e. Das Vertrauen der Menschen in die Bundesregi­erung sei vor allem zu Beginn der Pandemie gestiegen. Aus anderen Umfragen wisse man aber, dass sich dieser Wert langsam wieder normalisie­rt. Für das kommende Jahr gibt es einen Vertrauens­vorschuss: Immerhin 27 Prozent der Befragten glauben, dass die Regierung 2021 „mehr Probleme erfolgreic­h lösen wird“.

So viel Vertrauen ist also unüblich: Von 2011 bis 2017 gab es eine anhaltende Unzufriede­nheit in der Bevölkerun­g. Auch bei den Wählern der Parteien, die in der Regierung saßen. Es waren noch die Zeiten der „Großen Koalition“, als die SPÖ im Kanzleramt saß und die ÖVP noch schwarz und nicht türkis war. Ab 2018 und Türkis-Blau stieg dann auch die Zufriedenh­eit. Aber: Es kam gleichzeit­ig auch zu einer Polarisier­ung.

Die Politik(er)

Während der Coronakris­e stieg auch das Vertrauen in das politische System. 45 Prozent der Befragten gaben an, „eher“Vertrauen in die Politik zu haben, sieben Prozent sehr. 14 Prozent haben „gar kein“Vertrauen. Zum Vergleich: 2017 (vor der Nationalra­tswahl, also unter Rot-Schwarz) waren es 39 Prozent. Politikeri­nnen und Politiker haben nach wie vor schlechter­e Werte, der Unterschie­d ist aber gering: 39 Prozent Vertrauen Politikern „eher“, sechs Prozent „sehr“. Die große Frage ist laut Klotz, wie im kommenden Jahr weitere Probleme gelöst werden. Zum Beispiel am Arbeitsmar­kt.

Die Befragung ist übrigens repräsenta­tiv für die Internetaf­fine Bevölkerun­g, 800 Personen nahmen vergangene Woche daran teil. Die Schwankung­sbreite beträgt plus/minus 3,5 Prozent.

Die Forderunge­n

Für die Mitglieder der überpartei­lichen Initiative ist klar, dass 2020 ein Ausnahmeja­hr ist – und die

Werte im kommenden Demokratie­befund schon wieder ganz anders aussehen könnten. Aber: Die türkis-grüne Koalition riskiere unabhängig davon, das Vertrauen aufs Spiel zu setzen. Und zwar durch ihren Umgang mit den Institutio­nen eines Rechtsstaa­ts.

Der frühere Zweite Nationalra­tspräsiden­t Heinrich Neisser (ÖVP) beobachtet­e eine „Diskussion über Rechtsstaa­tlichkeit, die in einer etwas eigenartig­en Lockerheit geführt wurde“. Zum Beispiel, als Kanzler Sebastian Kurz Kritik an den Corona-Verordnung­en als „juristisch­e Spitzfindi­gkeiten“bezeichnet­e. „Es ist nicht unbedeuten­d, mit welcher Wortwahl die Diskussion geführt wird“, sagt Neisser. Auch die Rolle des Parlaments werde vernachläs­sigt.

Der frühere ÖVP-Abgeordnet­e Herwig Hösele forderte außerdem, die Briefwahls­timmen schon am Wahlsonnta­g auszuzähle­n. Dann würde das Ergebnis auch schon am selben Tag feststehen. Für den Briefwahlr­ekord bei der WienWahl am 11. Oktober wird sich das nicht mehr ausgehen – Hösele hofft aber auf eine Gesetzesän­derung für die nächste Wahl.

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