Zuckerbrot und Peitsche für die EU
Brexit. Während die britische Regierung ihr umstrittenes Binnenmarktgesetz durch das Unterhaus bringt, zeigt sie in Brüssel erste Anzeichen von Kompromissbereitschaft.
London. Ungeachtet aller Drohungen aus Brüssel hat die britische Regierung ihr umstrittenes Binnenmarktgesetz durchgebracht. Eine klare Mehrheit von 340 zu 256 Abgeordneten stimmten in der Nacht auf Mittwoch in London für die Vorlage, von der NordirlandMinister Brendan Lewis zuvor eingeräumt hatte, dass sie „in sehr bestimmter und eingeschränkter Weise“gegen den völkerrechtlich verankerten EU-Austrittsvertrag verstoße. Zugleich aber ließ die britische Delegation bei der letzten planmäßigen Verhandlungsrunde in Brüssel in entscheidenden Fragen gestern, Mittwoch, erstmals Kompromissbereitschaft anklingen.
Doch nicht alles für die Fisch’?
Demnach gibt es etwa bei den Fischereirechten Bewegung. Nach Angaben aus EU-Kreisen besteht London nicht mehr auf einer jährlichen Festlegung von Fangquoten in britischen Hoheitsgewässern nach Ablauf der Brexit-Übergangsfrist zu Jahresende. Stattdessen habe der britische Chefverhandler David Frost ein Papier mit einer dreijährigen „Eingewöhnungsphase“von 2021 bis 2014 vorgelegt. „Wir haben noch einen weiten Weg vor uns“, hieß es nun. „Aber an der Fischerei wird eine Vereinbarung nicht scheitern.“
Das allein wäre bereits ein gewaltiger Fortschritt. Denn während der Fischfang gerade 0,1 Prozent des britischen BIPs erwirtschaftet, ist die Symbolkraft groß – und nicht nur auf britischer Seite. Innerhalb der EU gebe es wachsenden Druck auf Frankreich, von seiner Forderung abzugehen, die einfach eine Fortschreibung der bestehenden Regelung ist, heißt es unter Diplomaten.
Neben dem Vorschlag zum Fischfang legten die britischen Verhandler weitere Papiere zu den Bereichen Staatsbeihilfen, Gesetzesvollzug und Justizzusammenarbeit, Kooperation bei Nuklearenergie und Abstimmung bei Sozialversicherungsfragen vor. London drängt vehement auf eine Intensivierung der Gespräche im sogenannten Tunnel, wo unter Ausschluss der Öffentlichkeit oft bis zu letzten Sekunde um eine Einigung gerungen wird. Von der Seite der EU zeigte man sich dagegen zurückhaltender: „Wir werden nur in den Tunnel gehen, wenn wir sicher sind, dass am anderen Ende auch Licht ist“, sagte ein Verhandler.
Trotz der Anzeichen auf Bewegung liegt der Teufel im Detail. So kritisierte Brüssel, dass London sich bei den staatlichen Subventionen ebenfalls zu einer Annäherung bereit zeige, dafür aber nur „Prinzipien“, jedoch keine verbindlichen Durchführungsbestimmungen vorgelegt habe. Die EU will verhindern, dass vor ihrer Haustüre ein Konkurrent entsteht, der mit staatlichen Förderungen den Wettbewerb verzerrt. Großbritannien dagegen pocht auf sein Recht als „souveräne und freie Nation“, frei über seine eigenen Ausgaben zu entscheiden.
Auch hier spielt Symbolpolitik eine Rolle: Großbritannien gibt weniger Geld für staatliche Subventionen aus als die europäischen Mitbewerber. Im Jahr der Brexit-Volksabstimmung 2016 waren es 0,36 Prozent des BIPs, während es in Frankreich 0,65 Prozent und in Deutschland 1,31 Prozent waren. „Es wird ein Abkommen geben, und es wird ein politisches sein“, sagt der Abgeordnete Stewart Jackson, ehemaliger Berater des früheren Brexit-Ministers David Davis.
Als Frist dafür hat der britische Premierminister, Boris Johnson, den am 15. Oktober beginnenden EU-Gipfel festgesetzt. Die EU will jedenfalls trotz aller Empörung über das völkerrechtswidrige britische Binnenmarktgesetz den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen. Umgekehrt wird aber dieser Tage in London heftig mit Knallkörpern und Rauchgranaten geschossen: Das umstrittene Gesetz geht nun erst einmal ins House of Lords, in dem die Regierung keine Mehrheit hat und zahlreiche Änderungsanträge erwartet werden. Termin für die Befassung des Oberhauses gibt es freilich vorerst keinen.