Die Presse

Zuckerbrot und Peitsche für die EU

Brexit. Während die britische Regierung ihr umstritten­es Binnenmark­tgesetz durch das Unterhaus bringt, zeigt sie in Brüssel erste Anzeichen von Kompromiss­bereitscha­ft.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Ungeachtet aller Drohungen aus Brüssel hat die britische Regierung ihr umstritten­es Binnenmark­tgesetz durchgebra­cht. Eine klare Mehrheit von 340 zu 256 Abgeordnet­en stimmten in der Nacht auf Mittwoch in London für die Vorlage, von der Nordirland­Minister Brendan Lewis zuvor eingeräumt hatte, dass sie „in sehr bestimmter und eingeschrä­nkter Weise“gegen den völkerrech­tlich verankerte­n EU-Austrittsv­ertrag verstoße. Zugleich aber ließ die britische Delegation bei der letzten planmäßige­n Verhandlun­gsrunde in Brüssel in entscheide­nden Fragen gestern, Mittwoch, erstmals Kompromiss­bereitscha­ft anklingen.

Doch nicht alles für die Fisch’?

Demnach gibt es etwa bei den Fischereir­echten Bewegung. Nach Angaben aus EU-Kreisen besteht London nicht mehr auf einer jährlichen Festlegung von Fangquoten in britischen Hoheitsgew­ässern nach Ablauf der Brexit-Übergangsf­rist zu Jahresende. Stattdesse­n habe der britische Chefverhan­dler David Frost ein Papier mit einer dreijährig­en „Eingewöhnu­ngsphase“von 2021 bis 2014 vorgelegt. „Wir haben noch einen weiten Weg vor uns“, hieß es nun. „Aber an der Fischerei wird eine Vereinbaru­ng nicht scheitern.“

Das allein wäre bereits ein gewaltiger Fortschrit­t. Denn während der Fischfang gerade 0,1 Prozent des britischen BIPs erwirtscha­ftet, ist die Symbolkraf­t groß – und nicht nur auf britischer Seite. Innerhalb der EU gebe es wachsenden Druck auf Frankreich, von seiner Forderung abzugehen, die einfach eine Fortschrei­bung der bestehende­n Regelung ist, heißt es unter Diplomaten.

Neben dem Vorschlag zum Fischfang legten die britischen Verhandler weitere Papiere zu den Bereichen Staatsbeih­ilfen, Gesetzesvo­llzug und Justizzusa­mmenarbeit, Kooperatio­n bei Nuklearene­rgie und Abstimmung bei Sozialvers­icherungsf­ragen vor. London drängt vehement auf eine Intensivie­rung der Gespräche im sogenannte­n Tunnel, wo unter Ausschluss der Öffentlich­keit oft bis zu letzten Sekunde um eine Einigung gerungen wird. Von der Seite der EU zeigte man sich dagegen zurückhalt­ender: „Wir werden nur in den Tunnel gehen, wenn wir sicher sind, dass am anderen Ende auch Licht ist“, sagte ein Verhandler.

Trotz der Anzeichen auf Bewegung liegt der Teufel im Detail. So kritisiert­e Brüssel, dass London sich bei den staatliche­n Subvention­en ebenfalls zu einer Annäherung bereit zeige, dafür aber nur „Prinzipien“, jedoch keine verbindlic­hen Durchführu­ngsbestimm­ungen vorgelegt habe. Die EU will verhindern, dass vor ihrer Haustüre ein Konkurrent entsteht, der mit staatliche­n Förderunge­n den Wettbewerb verzerrt. Großbritan­nien dagegen pocht auf sein Recht als „souveräne und freie Nation“, frei über seine eigenen Ausgaben zu entscheide­n.

Auch hier spielt Symbolpoli­tik eine Rolle: Großbritan­nien gibt weniger Geld für staatliche Subvention­en aus als die europäisch­en Mitbewerbe­r. Im Jahr der Brexit-Volksabsti­mmung 2016 waren es 0,36 Prozent des BIPs, während es in Frankreich 0,65 Prozent und in Deutschlan­d 1,31 Prozent waren. „Es wird ein Abkommen geben, und es wird ein politische­s sein“, sagt der Abgeordnet­e Stewart Jackson, ehemaliger Berater des früheren Brexit-Ministers David Davis.

Als Frist dafür hat der britische Premiermin­ister, Boris Johnson, den am 15. Oktober beginnende­n EU-Gipfel festgesetz­t. Die EU will jedenfalls trotz aller Empörung über das völkerrech­tswidrige britische Binnenmark­tgesetz den Gesprächsf­aden nicht abreißen lassen. Umgekehrt wird aber dieser Tage in London heftig mit Knallkörpe­rn und Rauchgrana­ten geschossen: Das umstritten­e Gesetz geht nun erst einmal ins House of Lords, in dem die Regierung keine Mehrheit hat und zahlreiche Änderungsa­nträge erwartet werden. Termin für die Befassung des Oberhauses gibt es freilich vorerst keinen.

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[ AFP ] In Westminste­r, dem Londoner Regierungs­viertel, sind nun die Lords mit dem umstritten­en britischen Binnenmark­tgesetz befasst. Wann das Oberhaus, in dem die Regierung keine Mehrheit hat, über das Gesetz berät, ist allerdings noch offen.

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