Die Presse

Freifahrts­chein für die Nummer eins

French Open. Auf dem Centre Court ist Novak Djokovi´c heuer das Maß aller Dinge, das bisherige Geschehen in Paris spielt ihm noch zusätzlich in die Karten. Der Serbe wäre der logische Champion.

- VON JOSEF EBNER

Paris/Wien. Besiegt hat Novak Djokovic´ heuer noch niemand. Seine Matchbilan­z 2020 lautet 32:1, die eine Niederlage war vielmehr eine Disqualifi­kation, nachdem er bei den US Open versehentl­ich eine Linienrich­terin abgeschoss­en hatte. Der 33-Jährige befindet sich in einer Form, vergleichb­ar mit den Jahren 2011 und 2015, als er Siegesseri­en mit 43 bzw. 28 Matches hingelegt hat. Gegen die Top Ten der Welt hält er heuer bei 7:0, die Corona-Erkrankung im Juni scheint der Nummer eins nichts ausgemacht zu haben.

„Ich habe definitiv sehr viel Selbstvert­rauen. Ich habe jedes Match gewonnen, das ich gespielt habe, außer natürlich dieses eine in New York, bei dem ich disqualifi­ziert wurde“, meinte der Serbe in Paris. „Mit jedem Sieg klettert dieses Vertrauen eine Stufe höher.“

Abseits des Platzes steht Djokovic´ heuer in der Kritik. Da wäre sein Hang zur Esoterik, seine Adria-Tour, die als Corona-Cluster endete, seine neu gegründete Spielerver­einigung PTPA. Auf den Centre Courts aber kann ihm niemand das Wasser reichen. Anfang des Jahres gab es noch Gegenwehr, so musste er gegen Dominic Thiem im Australian-Open-Finale fünf Sätze spielen. Zuletzt aber waren die Auftritte mehr als souverän. Der Weltrangli­stenzehnte Roberto Bautista Agut zwang Djokovic´ in Cincinnati einmal in ein Entscheidu­ngstiebrea­k, doch selbst das gewann der Serbe zu null.

Vorteile im Showdown

Djokovic´ hat auf dem Platz stets die richtige Antwort, er lauert geradezu auf seine Gegner, trotz mancher Wutausbrüc­he ist er nie gefährdet, ein Match aus der Hand zu geben. Vor den French Open hat er sechs Turniere gespielt und mit Ausnahme der US-Open-Disqualifi­kation alle gewonnen. Zuletzt die Generalpro­be in Rom.

Seine Titelmissi­on in Paris startete Djokovic´ mit einem 6:0-Satzgewinn. Am Ende ließ er Erstrunden­gegner Mikael Ymer (ATP 80) gerade einmal fünf Games. Ricardasˇ Berankis (ATP 66) stellt heute ebenfalls keine Hürde dar. Überhaupt: Der Weg ins Finale – und möglicherw­eise auch zum Titel – ist frei für den Serben.

Während sich in der unteren Tableau-Hälfte die Turnierfav­oriten Rafael Nadal und Thiem, dazu US-Open-Finalist Alexander Zverev, Ex-Paris-Sieger Stan Wawrinka oder ein Diego Schwartzma­n in Topform das Leben gegenseiti­g schwer machen, kann Djokovic´ frühestens im Achtelfina­le auf einen Gesetzten treffen.

Am ehesten gefährlich werden können ihm der zähe Bautista Agut (Viertelfin­ale) und Stefanos Tsitsipas (Halbfinale), der in Paris noch den Rhythmus sucht. Daniil Medwedew hat sich bereits verabschie­det. Nicht nur der Papierform nach hält Djokovic´ alle Trümpfe. Das Herbstwett­er, die neuen schwereren Bälle bremsen Sandplatzk­önner wie Nadal und Thiem.

So ist in der Schlusspha­se folgendes Szenario alles andere als unwahrsche­inlich: Thiem und Nadal kämpfen sich durchs Turnier und liefern sich im Halbfinale einen kräfteraub­enden Schlagabta­usch, ehe im Endspiel ein vergleichs­weise ausgeruhte­r Djokovic´ wartet. Thiem kennt diese Konstellat­ion aus dem Vorjahr. Damals rang er Gegner um Gegner nieder, im Halbfinale Djokovic´ in fünf Sätzen, und hatte dem frischeren Nadal im Finale nichts mehr entgegenzu­setzen.

Parallelen zum Meilenstei­n

Djokovic´ macht kein Hehl daraus, die Grand-Slam-Bestmarken von Roger Federer (20) und Nadal (19) zu jagen. Er hält bei 17 Titeln und hat in New York, wo beide Rivalen fehlten, eine große Chance vergeben. In Paris hat er bisher nur 2016 gewonnen, nun gibt es Parallelen. Damals reiste er mit ähnlicher Matchbilan­z an (36:3), gewann im Vorfeld ein Sand-Masters (Madrid). „Jedes Jahr ist anders, obwohl viele Dinge ähnlich scheinen“, sagt Djokovic.´ „Ich bin bereit, weit im Turnier zu kommen, physisch, mental und emotional.“

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[ AFP ] „Definitiv sehr viel Selbstvert­rauen“: Novak Djokovic´ hat die Tenniswelt im Griff.

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