Wenn eine Dachterrasse zum Zankapfel wird
Wohnungseigentum. Unklarheiten bei der Parifizierung können sehr unangenehme Folgen haben – auch noch Jahrzehnte später. Einer Wohnungseigentümerin, der das passiert ist, hilft jetzt selbst ein gewonnener Gerichtsprozess nur bedingt.
wien. Wohnungen mit Freiflächen sind begehrt – jetzt mehr denn je. Seit dem Lockdown sei die Nachfrage nach Balkonen, Terrassen oder Gartenanteilen noch weiter gestiegen, berichten Makler und Immobilienfirmen. Umso schlimmer wäre es für einen Wohnungseigentümer, würde ihm eine jahrelang benützte Dachterrasse plötzlich gerichtlich aberkannt. Nicht nur die Wohnqualität wäre da schlagartig gemindert, auch der Wiederverkaufswert der Wohnung würde beträchtlich sinken.
Genau das wäre der Eigentümerin einer Maisonettewohnung in Wien beinahe passiert. Was auch deutlich macht, welche Probleme durch Unklarheiten bei der Parifizierung entstehen können.
Es ging um eine Wohnung in einem ausgebauten Dachgeschoß, bezeichnet als Top 12. Den Ausbau hatte vor Jahrzehnten eine Mieterin vorgenommen, die schon damals das von ihrer Wohnung aus begehbare Flachdach als Terrasse benützte. Dort befinden sich allerdings auch die Kaminputztüren, zu denen der Rauchfangkehrer fallweise Zutritt bekommen muss.
Zur erstmaligen Parifizierung für die Begründung von Wohnungseigentum kam es im Jahr 1988. Im damaligen Nutzwertgutachten schien bei der Wohnung Nummer 12 keine Dachterrasse auf. Das hatte formalrechtliche Gründe: Anders als heute mussten damals Kaminputztüren über allgemeine Teile des Hauses zugänglich sein. Wäre das Flachdach offiziell als Terrasse von Top 12 gewidmet worden, hätte man einen eigenen „Rauchfangkehrersteg“errichten müssen – was man sich offenbar sparen wollte.
Die neue Eigentümerin kaufte die Wohnung im Jahr 1994. Genauer gesagt, sie erwarb Miteigentum am Haus „zum Zweck der Begründung von Wohnungseigentum an Top 12“. Und zwar, wie ihr vertraglich zugesagt wurde, einschließlich einer 48 Quadratmeter großen Terrasse. 1995 kam es zu einer neuen Nutzwertfestsetzung, dabei wurde bei Top 12 ein Zuschlag von fünf Prozent für den „Zugang zum begehbaren Flachdach“ aufgeschlagen. Das Wort „Terrasse“vermied man auch diesmal. Ein Jahr später wurden dann die Wohnungseigentumsverträge unterschrieben, in denen auch von „den Wohnungen zugehörigen Terrassen“die Rede war. Alle seien sich zu diesem Zeitpunkt einig gewesen, dass das Flachdach ausschließlich Top 12 zugeordnet sein sollte, stellten die Gerichte später fest.
Weiterhin keine Rechtssicherheit
Die Wohnungseigentümerin genoss also ihre Dachterrasse, stellte dort Gartenmöbel und Blumentröge auf – was jahrelang niemanden störte. So lang, bis ein neuer Miteigentümer auf den Plan trat. Er erwarb im Jahr 2002 das Objekt Nummer 13 – einen noch nicht ausgebauten Rohdachboden. Und verlangte von der Eigentümerin von Top 12, sie habe das Flachdach zu räumen. Es gehöre gar nicht zu ihrer Wohnung, sondern zu den allgemeinen Teilen des Hauses. Er berief sich dabei auf die Kaminputztüren und das Nutzwertgutachten.
Der Rechtsstreit, der schließlich folgte, zog sich durch alle Instanzen. Nach langem Hin und Her ist nun entschieden, dass Gartenmöbel und Blumentröge bleiben können. Beim Abschluss des Wohnungseigentumsvertrags sei es der übereinstimmende Wille der Parteien gewesen, dass dieses Dach Top 12 zugeordnet werden sollte, entschied der Oberste Gerichtshof (OGH; 5 Ob 73/20a). Dass der Rauchfangkehrer viermal pro Jahr kurzfristig Zutritt bekommen muss, spiele keine Rolle – das sei dann eben von den Bewohnern zu dulden. Aber es gibt auch einen Wermutstropfen für die Wohnungseigentümerin: Es handelt sich laut OGH nur um eine vertragliche Widmung als Zubehör, nicht um eine sachenrechtliche.
Und das ist keine bloße Formalität: Eine absolute, dauerhaft unantastbare Rechtsposition werde dadurch nicht geschaffen, erklärt der Immobilienrechtsexperte Christoph Kothbauer. Jeder Wohnungseigentümer kann aus wichtigen Gründen die gerichtliche Abänderung einer Benützungsvereinbarung verlangen. „So gesehen kann diese nur für den Moment Ordnung schaffen, aber den betreffenden Wohnungseigentümer nicht dauerhaft absichern“, stellt Kothbauer klar.
Irgendwann könnte also wieder Streit darüber ausbrechen, wem die Dachterrasse gehört. Nur würde es dann bessere Gründe dafür brauchen als bloß die Kaminputztüren.