„Lebensschutz nicht leicht aufs Spiel setzen“
Interview. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler geht von einer „balancierten Entscheidung“des VfGH zur Sterbehilfe aus. Falls nötig, könne man für die Sicherungshaft die Verfassung ändern. Von einem Mehrheitswahlrecht hält sie nichts.
Die Presse: Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) prüft dieser Tage, ob das Verbot der Sterbehilfe verfassungskonform ist. Was meinen Sie?
Karoline Edtstadler: Es gibt kaum ein Thema, das kontroverser diskutiert wird, weil die persönliche Betroffenheit in die eine oder andere Richtung geht. Ich sehe im Schutz des Lebens ein ganz wichtiges Grundrecht verankert, das man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen darf. Aber ich gehe davon aus, dass es eine balancierte Entscheidung des VfGH gibt.
Wären Sie dafür, das Verbot der Sterbehilfe verfassungsrechtlich zu verankern, sodass es unabhängig vom VfGH-Entscheid auf jeden Fall weiter gelten würde? Auf diese Diskussion möchte ich mich nicht einlassen. Jetzt gilt es einmal, die Entscheidung des VfGH abzuwarten.
Zur Sicherungshaft steht im Regierungsprogramm, es soll „ein zusätzlicher, verfassungskonformer Hafttatbestand“eingeführt werden. Heißt das, dass die Haft der jetzigen Verfassung entsprechen muss? Oder, dass man die Verfassung für die Sicherungshaft auch ändern könnte?
Wir haben das strenge Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit, in dem die Ausnahmebestimmungen aufgelistet sind. Und da wird man eine Diskussion mit Experten führen, ob es eine Erweiterung braucht. Man muss schauen, ob unsere Rahmenbedingungen enger sind als in anderen Staaten.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen wünscht sich, dass er vor seiner Unterschrift den VfGH einbinden kann, wenn es Zweifel am verfassungsmäßigen Zustandekommen eines Gesetzes gibt. Sollte diese Möglichkeit eingeführt werden?
In Artikel 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes heißt es: Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus. Das Parlament vertritt das Volk, formal beurkundet wird ein Gesetz dann von Bundeskanzler und Bundespräsident. Wenn ich hier jetzt Prüfungen einschiebe, dann verschiebe ich die demokratische Legitimation hin zu Exekutive und Gerichtsbarkeit.
Laut Regierungsprogramm sollen Doppelgleisigkeiten reduziert werden. Insbesondere bei Materien, bei denen der Bund für die Grundsatzgesetzgebung zuständig ist und die Länder für Ausführungsgesetze und Vollziehung. Das betrifft etwa die Sozialhilfe. Wer sollte für sie allein zuständig sein, Bund oder Land? Genau das soll in der Bund-Länder-Konferenz zur Sprache kommen: wo kann man Doppelgleisigkeiten vermeiden. Als Föderalistin sage ich, dass die Landtage auch für die Zukunft ihre Berechtigung haben. Durch die Regionalität ist man näher an den Bürgern.
Soll man den Bundesrat aufwerten oder abschaffen?
Der Bundesrat ist ein sehr wichtiges Instrument, um in der Gesetzgebung die Länder entsprechend zu vertreten. Es ist ein gutes System, das seit 1920 funktioniert.
Soll dann der Bundesrat mehr Vetomöglichkeiten erhalten?
Das Wichtigste ist, dass die Bürger wissen, was in der Gesetzgebung von statten geht. Es braucht Bundesräte, die hinausgehen und diese Dinge kommunizieren. Da wäre sehr viel mehr getan, als wenn man die Art des Vetos ändert. Ein Veto des Bundesrates hat bereits heute Signalwirkung.
Kommen wir zum Wahlrecht: Fänden Sie es sinnvoll, vom Verhältnis- zum Mehrheitswahlrecht überzugehen?
Das Mehrheitswahlrecht kann, wie man in den USA sieht, zu Ergebnissen führen, die nicht der Mehrheit der abgegebenen Stimmen entsprechen. Darum bin ich ein absoluter Anhänger des Verhältniswahlrechts.
Momentan darf man in Österreich nur ausnahmsweise per Brief wählen: Wenn man etwa krank oder am Wahltag ortsabwesend ist. Soll man auch ohne konkreten Grund per Brief votieren dürfen?
Jeder soll von seinem Wahlrecht Gebrauch machen können. Da kann man auch darüber nachdenken, ob man die Einschränkungen für die Briefwahl reduziert.
Im türkis-blauen Regierungsprogramm war noch vorgesehen, dass erfolgreiche Volksbegehren zu einer Volksabstimmung über Gesetze führen können sollen. Ist das weiter ein Ziel von Ihnen? Im jetzigen türkis-grünen Programm steht ja nichts davon.
Wir haben ein umfassendes Regierungsprogramm. Wir werden das abarbeiten, was steht. dort drinnen
Aber beide, ÖVP und Grüne, waren bisher für Plebiszite nach erfolgreichen Volksbegehren. Warum steht dann nichts davon im Regierungsprogramm?
Mit Volksbegehren kann man bereits jetzt öffentlichen Druck machen. Im Regierungsprogramm steht viel anderes, etwa die Schaffung eines einheitlichen Grundrechtekatalogs.
Und was wäre der Nutzen davon? Ein besserer Überblick, denn momentan haben wir dafür mehrere unterschiedliche Quellen. Das soll das Grundrechtsbewusstsein stärken.
Ist die Bestellung der VfGH-Richter in der bisherigen Form gut? De facto suchen sich die Chefs der Koalitionsparteien die Richter aus, bevor sie formal über Nationalrat, Bundesrat oder Regierung bestellt werden.
Es ist ein System, das vorhersehbar ist und sich bewährt hat. Und es hat Anhörungen gegeben.
Auch wenn dann etwa zufällig der frühere Vizekanzler zum Verfassungsrichter ernannt wird. Wolfgang Brandstetter ist Universitätsprofessor und ein ausgewiesener Experte. Er bringt alles mit, was man für dieses Amt braucht.
Das Transparenzpaket haben Sie für vor dem Sommer angekündigt. Wird es noch etwas vor dem Winter?
Ich bin immer sehr ungeduldig und wünsche mir, dass eine Einigung bald möglich ist. Wir haben eine Verpflichtung anlässlich hundert Jahre Verfassung, sie hier auf den Stand der Zeit zu bringen. Es gibt viele Betroffene, etwa Länder und Gemeinden. Es ist wichtig, dass alle gehört werden.
Sonst vielleicht vor dem nächsten Sommer?
Ich werde keine zeitliche Einschätzung mehr abgeben.