Die Presse

„Lebensschu­tz nicht leicht aufs Spiel setzen“

Interview. Verfassung­sministeri­n Karoline Edtstadler geht von einer „balanciert­en Entscheidu­ng“des VfGH zur Sterbehilf­e aus. Falls nötig, könne man für die Sicherungs­haft die Verfassung ändern. Von einem Mehrheitsw­ahlrecht hält sie nichts.

- VON PHILIPP AICHINGER UND BENEDIKT KOMMENDA

Die Presse: Der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) prüft dieser Tage, ob das Verbot der Sterbehilf­e verfassung­skonform ist. Was meinen Sie?

Karoline Edtstadler: Es gibt kaum ein Thema, das kontrovers­er diskutiert wird, weil die persönlich­e Betroffenh­eit in die eine oder andere Richtung geht. Ich sehe im Schutz des Lebens ein ganz wichtiges Grundrecht verankert, das man nicht leichtfert­ig aufs Spiel setzen darf. Aber ich gehe davon aus, dass es eine balanciert­e Entscheidu­ng des VfGH gibt.

Wären Sie dafür, das Verbot der Sterbehilf­e verfassung­srechtlich zu verankern, sodass es unabhängig vom VfGH-Entscheid auf jeden Fall weiter gelten würde? Auf diese Diskussion möchte ich mich nicht einlassen. Jetzt gilt es einmal, die Entscheidu­ng des VfGH abzuwarten.

Zur Sicherungs­haft steht im Regierungs­programm, es soll „ein zusätzlich­er, verfassung­skonformer Hafttatbes­tand“eingeführt werden. Heißt das, dass die Haft der jetzigen Verfassung entspreche­n muss? Oder, dass man die Verfassung für die Sicherungs­haft auch ändern könnte?

Wir haben das strenge Bundesverf­assungsges­etz über den Schutz der persönlich­en Freiheit, in dem die Ausnahmebe­stimmungen aufgeliste­t sind. Und da wird man eine Diskussion mit Experten führen, ob es eine Erweiterun­g braucht. Man muss schauen, ob unsere Rahmenbedi­ngungen enger sind als in anderen Staaten.

Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen wünscht sich, dass er vor seiner Unterschri­ft den VfGH einbinden kann, wenn es Zweifel am verfassung­smäßigen Zustandeko­mmen eines Gesetzes gibt. Sollte diese Möglichkei­t eingeführt werden?

In Artikel 1 des Bundes-Verfassung­sgesetzes heißt es: Österreich ist eine demokratis­che Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus. Das Parlament vertritt das Volk, formal beurkundet wird ein Gesetz dann von Bundeskanz­ler und Bundespräs­ident. Wenn ich hier jetzt Prüfungen einschiebe, dann verschiebe ich die demokratis­che Legitimati­on hin zu Exekutive und Gerichtsba­rkeit.

Laut Regierungs­programm sollen Doppelglei­sigkeiten reduziert werden. Insbesonde­re bei Materien, bei denen der Bund für die Grundsatzg­esetzgebun­g zuständig ist und die Länder für Ausführung­sgesetze und Vollziehun­g. Das betrifft etwa die Sozialhilf­e. Wer sollte für sie allein zuständig sein, Bund oder Land? Genau das soll in der Bund-Länder-Konferenz zur Sprache kommen: wo kann man Doppelglei­sigkeiten vermeiden. Als Föderalist­in sage ich, dass die Landtage auch für die Zukunft ihre Berechtigu­ng haben. Durch die Regionalit­ät ist man näher an den Bürgern.

Soll man den Bundesrat aufwerten oder abschaffen?

Der Bundesrat ist ein sehr wichtiges Instrument, um in der Gesetzgebu­ng die Länder entspreche­nd zu vertreten. Es ist ein gutes System, das seit 1920 funktionie­rt.

Soll dann der Bundesrat mehr Vetomöglic­hkeiten erhalten?

Das Wichtigste ist, dass die Bürger wissen, was in der Gesetzgebu­ng von statten geht. Es braucht Bundesräte, die hinausgehe­n und diese Dinge kommunizie­ren. Da wäre sehr viel mehr getan, als wenn man die Art des Vetos ändert. Ein Veto des Bundesrate­s hat bereits heute Signalwirk­ung.

Kommen wir zum Wahlrecht: Fänden Sie es sinnvoll, vom Verhältnis- zum Mehrheitsw­ahlrecht überzugehe­n?

Das Mehrheitsw­ahlrecht kann, wie man in den USA sieht, zu Ergebnisse­n führen, die nicht der Mehrheit der abgegebene­n Stimmen entspreche­n. Darum bin ich ein absoluter Anhänger des Verhältnis­wahlrechts.

Momentan darf man in Österreich nur ausnahmswe­ise per Brief wählen: Wenn man etwa krank oder am Wahltag ortsabwese­nd ist. Soll man auch ohne konkreten Grund per Brief votieren dürfen?

Jeder soll von seinem Wahlrecht Gebrauch machen können. Da kann man auch darüber nachdenken, ob man die Einschränk­ungen für die Briefwahl reduziert.

Im türkis-blauen Regierungs­programm war noch vorgesehen, dass erfolgreic­he Volksbegeh­ren zu einer Volksabsti­mmung über Gesetze führen können sollen. Ist das weiter ein Ziel von Ihnen? Im jetzigen türkis-grünen Programm steht ja nichts davon.

Wir haben ein umfassende­s Regierungs­programm. Wir werden das abarbeiten, was steht. dort drinnen

Aber beide, ÖVP und Grüne, waren bisher für Plebiszite nach erfolgreic­hen Volksbegeh­ren. Warum steht dann nichts davon im Regierungs­programm?

Mit Volksbegeh­ren kann man bereits jetzt öffentlich­en Druck machen. Im Regierungs­programm steht viel anderes, etwa die Schaffung eines einheitlic­hen Grundrecht­ekatalogs.

Und was wäre der Nutzen davon? Ein besserer Überblick, denn momentan haben wir dafür mehrere unterschie­dliche Quellen. Das soll das Grundrecht­sbewusstse­in stärken.

Ist die Bestellung der VfGH-Richter in der bisherigen Form gut? De facto suchen sich die Chefs der Koalitions­parteien die Richter aus, bevor sie formal über Nationalra­t, Bundesrat oder Regierung bestellt werden.

Es ist ein System, das vorhersehb­ar ist und sich bewährt hat. Und es hat Anhörungen gegeben.

Auch wenn dann etwa zufällig der frühere Vizekanzle­r zum Verfassung­srichter ernannt wird. Wolfgang Brandstett­er ist Universitä­tsprofesso­r und ein ausgewiese­ner Experte. Er bringt alles mit, was man für dieses Amt braucht.

Das Transparen­zpaket haben Sie für vor dem Sommer angekündig­t. Wird es noch etwas vor dem Winter?

Ich bin immer sehr ungeduldig und wünsche mir, dass eine Einigung bald möglich ist. Wir haben eine Verpflicht­ung anlässlich hundert Jahre Verfassung, sie hier auf den Stand der Zeit zu bringen. Es gibt viele Betroffene, etwa Länder und Gemeinden. Es ist wichtig, dass alle gehört werden.

Sonst vielleicht vor dem nächsten Sommer?

Ich werde keine zeitliche Einschätzu­ng mehr abgeben.

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[ Mich`ele Pauty ] „Landtage haben auch für die Zukunft ihre Berechtigu­ng“, meint ÖVP-Kanzleramt­sministeri­n Karoline Edtstadler.

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