Aufrüttelnde Musik über Musik
Jana´cek-ˇFestival. Brünn feiert Mährens Nationalkomponisten mit einer spannenden Neudeutung seiner problematischen Oper „Osud“(„Schicksal“) durch Robert Carsen.
Soeben stolz eröffnet, stellen sich beim Brünner Jana´cek-ˇFestival bereits die ersten Fragezeichen ein: Der Notstand droht in der tschechischen Republik ausgerufen zu werden, und es ist noch ungeklärt, ob nächste Woche ein Opernchor überhaupt auf die Bühne darf. Für den Brünner Lokalmatador Jana´cekˇ diese Festspiele auf die Beine zu stellen war und ist also ein kühnes Unterfangen.
Nach dezenten Programmänderungen weist nun die Eröffnungspremiere in eine solide Richtung des im Biennale-Rhythmus ablaufenden Festivals. Für die siebente Auflage wurde nicht an Aufwand gespart. Eine internationale Besetzung war für Jana´cek-ˇ Kenner Robert Carsen aufgeboten, der in Brünn die Neuproduktion von „Osud“(„Schicksal“) erarbeitete.
Vor zwei Jahren war hier Carsens wegweisende Inszenierung von „Katja´ Kabanova“´ zu bestaunen. Distanzierter und optisch weniger spektakulär erzählte der Regisseur nun die an Umständlichkeit kaum überbietbare „Osud“-Story.
Schaffensprobleme, auch auf der Bühne
Sein und Schein auf der Bühne. Erinnerung, Imagination und Realität verschwimmen ineinander. Who is who? Fast schon surreale Spielereien. Autobiografisches wird ernst genommen bis überbewertet, der Künstler belästigt das Publikum mit seinen Schaffensproblemen und Geburtswehen.
Daraus sollte eine gute Oper entstehen? Leosˇ Jana´cekˇ war dies in den Jahren 1903 bis 1907 nicht gegeben, als er an „Osud“bastelte – es sollten drei separate, romanhafte Szenen werden im Bestreben, neue Ausdrucksformen für das Musiktheater zu finden. Herausgekommen ist ein nicht abendfüllendes Konglomerat mit knapp neunzig Minuten Musik, dessen Dramaturgie von A bis Z hinkt (der Komponist zimmert sich selbst ein Libretto).
Auch bringt es nichts, den Abend durch eine lange Pause zu strecken. Als das Werk 2005 in der Ära Ioan Holenders an der Staatsoper gegeben wurde, war es mit dem Puccini-Erstling „Le Villi“kombiniert – und erlebte immerhin 14 Aufführungen.
Jana´cekˇ war kein unkomplizierter Mensch, eher ein verquerer Charakter, Egomane wie Erotomane. Gebeutelt nach dem Tod seiner Tochter Olga sowie beschäftigt mit der Revision seiner „Jenufa“, suchte er Abwechslung und Konzentration in einem mährischen Kurbad. Eine Bekanntschaft inspirierte ihn zu einer Rahmenhandlung, in deren Innerem sich ein Komponist verbirgt, der Kunst und Leben mit der Frage nach der Liebe vermengt.
Sich selbst auf die Bühne zu bringen, diese Chance lässt sich Jana´cekˇ nicht entgehen. Und eben hier setzt Robert Carsen seinen Kunstgriff an: Er führt eine weitere Zeitebene ein, indem er die Figur des Komponisten Zˇivny´ auf zwei Tenöre aufteilt. Eine reizvolle und illustrierende Lösung.
Was an diesen Short Stories über realisierbares Liebesglück und Hindernisläufe beim Opernkomponieren lebt, ist die Qualität von Jana´ceksˇ expressiven Sprachmelodien und fetzengleichen Tonfloskeln – in dieser Musik ist die einzigartige Theaterpranke zu spüren, einmal rast und tobt sie, dann wieder zeichnet sie Natur nach und besinnt sich der Folklore.
Unter Chefdirigent Marko Ivanovic´ spielt das Mährische Nationaltheater seine höchst profunden Kapazitäten in Chor und Orchester aus. Scharf gezeichnete Charaktere beherrschen die Szene: der Engländer Philip Sheffield als alter Zˇivny´, der Italiener Enrico Casari als dessen jugendliches Alter Ego, die Tschechin Alzbˇetaˇ Polackov´a´ als liebende Mila und die aus Wien gebürtige Natascha Petrinsky als deren bitterböse Mutter.
Jedenfalls ein musikalisch aufrüttelnder Kurzabend – und die Moral von der Geschicht’? Manche Musik ist eben nicht komponierbar, so bleibt das Schicksal der letzten Szene in Gottes Händen.